Die Fortschritts-Koalition

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Da traten sie also auf die Bühne, der Olaf, der Christian, das Annalobert und das Saskibert, gestern kurz nach 15 Uhr, in einem höhlenähnlich-dunklen Saal mit rot-gelb-grünen Lichtinseln an den roh gemauerten Backsteinwänden.

Ich wohnte dem Schauspiel per Phönix bei. Es gab nur einen einzigen dramatischen Höhepunkt, der in der Abfolge der Monologe kurzzeitig für etwas Spannung sorgte.

Olaf Scholz, der seine Freude über die Fertigstellung des Koalitionsvertrages nach langen, bedrohlichen Ausführungen über die Corona-Krise zum Schluss doch noch zum Ausdruck brachte, verkündete stolz, der Mindestlohn von 12 Euro und der Bau von 400.000 Wohnungen, davon 100.000 Sozialwohnungen, seien nun in trockenen Tüchern.

Dem hatte sich Robert Habeck angeschlossen, hin und wieder nach Worten ringend, vor Ergriffenheit, erklärte er dem Publikum, dass nicht das Ziel (die 1,5 Grad) sondern der Weg dorthin gegangen worden sei, dass Maßnahmen auf Maßnahmen gehäuft wurden, so dass am Ende, zu aller Erstaunen, wenn man alles zusammennimmt, die 1,5 Grad sogar unterschritten werden könnten. Da musste ich grinsen. Aber das war noch nicht der angesprochene Höhepunkt der Dramatik. Grinsen musste ich, weil das 1,5 Grad Ziel ja die Marke der angepeilten Begrenzung der globalen Erwärmung darstellt, die Ampel aber nicht als Weltregierung antreten wird, sondern als die Regierung von etwas mehr als einem Prozent der Weltbevölkerung mit einem Anteil von etwas weniger als zwei Prozent am weltweiten, menschengemachten CO2-Ausstoß. Da muss man schon ein großer, blöder Riese sein, wenn man sich vom tapferen Schneiderlein, das so stark ist, dass es mit bloßen Händen einen alten Käse so zusammenpressen kann,  dass das Wasser herausläuft, weismachen lässt, es habe einen Stein erweichen können.

Als ich ausgegrinst hatte sprach bereits Christian Lindner. Mit sehr verantwortungsausstrahlender Mimik und staatsmännische Gestik gelang es ihm durchaus, den Eindruck zu erwecken, als habe die FDP mit am Verhandlungstisch gesessen, wobei es ihr gelungen sei, endlich ihre wahren Ziele und Absichten in dem zu erkennen, was den Grünen so vorschwebt und von der SPD dankend abgenickt worden war. Es war, als hätte der Comic-Zeichner die leere, weiße Spruchblase schon gezeichnet, während dem Texter der passende Spruch einfach nicht einfallen wollte.

Dann war es soweit.

Der mäßige Applaus der versammelten Journalisten war noch kaum verhallt, als Saskia Eskens raue Stimme ertönte, um gleich darauf in einem gezischten „… ist das so?“ wieder zu ersterben.

Der erste Eklat der künftigen Regierung?

Es wurde nicht aufgeklärt, ob es so abgesprochen war oder nicht, ob Saskia die Verabredung vor lauter Mitteilungsdrang vergessen hatte, oder ob Robert Habeck, der sie wohl abgewürgt hatte, entgegen aller Verabredungen die Regie übernommen hatte. Jedenfalls verstummte Frau Esken und der Rohdiamant aus den Tiefen des grünen Bergwerkes mit dem innigen Wunsch, Deutschland auf dem internationalen Parkett zu vertreten, schaltete in den Sprachausgabemodus. Die Zuhörer vor Ort und zuhause an den Lautsprechern konnten feststellen dass die Softwarefehler, die den Eindruck erwecken, es länge eine Wernicke-Aphasie vor, immer noch nicht behoben werden konnten, während die veralteten Codecs dem Sprachtempo nicht gewachsen waren und silbenverschluckende Ausfälle, ganz im Stile Erich Honeckers (liebe Genossssnnungenossn, der antifaschischische Schutzwall, etc.) in gewohnter Weise zu Gehör brachten. Aber mit Eifer und Sendungsbewusstsein gelang es der Grünen, diese Handicaps per Überkompensation vor der inhaltlichen Leere ihres Vortrags vollständig in den Hintergrund treten zu lassen.

Zum guten Schluss durfte Saskia Esken nun alles wiederholen, was die Vorredner bereits angesprochen hatten, nicht ohne, wie diese, darauf hinzuweisen, dass es bereits angesprochen worden war, und Norbert Walter-Borjahns, der Schlussredner,  konnte und wollte seine Freude darüber gar nicht verbergen, dass für ihn nun Schluss war, dass er, wie Moses, das gelobte Land im Koalitionsvertrag zwar heraufziehen sehen konnte, dass er aber nicht mehr dabei sein muss, wenn der Sturmangriff gegen das bestehende Deutschland mit Pauken und Trompeten eingeleitet werden wird.

Ich habe an dieser Stelle abgeschaltet, in der Überzeugung, dass auch die Fragen der Journalisten keine neuen Erkenntnisse mehr bringen würden.

Ich will mich nicht zu der Aussage versteigen, dass diese Vorstellung gegenüber vergleichbaren Vorstellungen der Vorgänger-Koalition einen krassen Absturz markierte, doch dass der Trend zur Dominanz der und des Nichtssagenden ungebrochen scheint, das glaube ich  festhalten zu dürfen.

Obwohl uns rot-rot-grün erspart geblieben ist, was durchaus ein Grund zum Aufatmen war, bekenne ich in Erwartung der Aktivitäten der Ampel-Regierung freimütig:

Ich bin tief besorgt.

Unabhängig voneinander haben die Grünen und die KfW errechnet, dass die weitgehend unverändert im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziele der Grünen einen Aufwand  von 5 Billionen Euro erfordern. Nach den Vorstellungen der Grünen soll dieser „Etat“ im Laufe von zehn Jahren verpulvert werden, um eine bestehende und (noch) funktionierende Energie- und Verkehrs-Infrastruktur in die Tonne zu treten und durch einen „Fortschritt“ zu ersetzen, der sich außerhalb jener roten Linien befindet, die Funktionales, Wirtschaftliches und Bezahlbares von der Welt der Milchmädchen trennen.

Die Vorstellung, zwei Prozent der Landfläche für Windräder zur Verfügung zu stellen, unter Verzicht auf die bisherigen Regularien der Genehmigungsverfahren, um 80 Prozent der Energie (ob nun Primär- oder elektrische Energie ist nicht so ganz klar geworden) aus „Erneuerbaren“ zu erzeugen, steht in Bezug auf die dem Ansatz innewohnende Irrationalität und Realitätsverweigerung den Glaubensbekenntnissen queerer Genderfantasten in nichts nach.

Wir haben erlebt, welche Qualität von Politik in einer Krisensituation zu erwarten ist, wenn man den Posten des Gesundheitsministers mit einem Bankkaufmann besetzt. Nun soll, dem Vernehmen nach, der Kinderbuchautor Habeck (nichts gegen Kinderbücher, Kinder brauchen gute Kinderbücher) einem Superministerium für Klima und Wirtschaft vorstehen. Ob er dann den Wirtschaftsführern aus seinem Buch „Kleine Helden, große Abenteuer“ vorlesen wird?

Nun gut, es soll nicht verschwiegen werden, dass Habeck von 2012 bis 2018 in Schleswig-Holstein Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung gewesen ist. Seine Erfolge in dieser Zeit wurden von der „MK Kreiszeitung“ gewürdigt.  In Habecks Ministerium wurde das „Landesprogramm ländlicher Raum“ erarbeitet, aus dem Fördermittel für die ökologische Landwirtschaft bzw. für die Umstellung auf dieselbe bereitgestellt wurden.  Außerdem hat Habeck sich Verdienste um den so genannten „Muschelfrieden“ erworben. Mehr fand die Kreiszeitung nicht des Erwähnens wert, vielleicht sitzen dort in der Redaktion aber auch politische Gegner. Ich weiß es nicht.

Beschließen müssen es erst noch die Parteimitglieder der Grünen, ob der Koalitionsvertrag angenommen wird und wer welches grüne Ministerium leiten soll.

Sollte es so kommen, wie es seit Tagen kolportiert wird, und die Grüne Basis tatsächlich Olaf Scholz dazu zwingen wird, dem Bundespräsidenten die Ernennung Annalena Baerbocks zur Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland vorzuschlagen, möchte ich nicht in der Rolle des designierten Bundeskanzlers stecken.

Annalena Baerbock mag schlau sein, ja sogar gerissen, sie mag über eine, für Grüne wirksame, demagogische Begabung verfügen, sie mag überaus durchsetzungsfähig sein, so lange es darum geht, die schönste Vision mit schönen Emotionen zu verknüpfen, aber eines ist sie nach meiner Einschätzung nicht: Diplomatisch. Ich würde eher dazu neigen, zu sagen: Annalena Baerbock als Außenminister – das ist die personifizierte Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln.

Ich halte es für ausgeschlossen, dass Olaf Scholz nicht längst zu einer zumindest ähnlichen Einschätzung gelangt sein muss. Wie aber kann er dann ernsthaft diese Personalie zulassen? Zieht er sich, wie einst Pontius Pilatus zurück, wäscht die Hände in Unschuld und erklärt: Das war nicht meine Entscheidung, sondern die der grünen Basis?

Macht er sich damit nicht vom Anführer der Ampel-Koalition zum Angeführten der Grünen?

Ich hatte 1999 ein Jahreseinkommen von über 150.000 DM und die Unverfallbarkeit meiner betrieblichen Altersversorgung wäre nach einem Jahr erreicht gewesen. Doch ich wollte mich in einer durchaus vergleichbaren Situation nicht verbiegen lassen und habe – ohne Netz und doppelten Boden – meinen Job gekündigt und das nie bereut. Vielleicht ist es arrogant, andere daran zu messen. Verkneifen kann ich es mir nicht.