Die eng gezogenen Grenzen des straffrei Sagbaren

Es ist wieder einmal ein Satz bekannt geworden, den man nicht sagen darf. Es ist ein Satz, von dem vermutlich mehr als  99 Prozent der Deutschen nicht wissen, dass er zu den Kennzeichen verbotener Organisationen gehört und dass, wer ihn ausspricht, deshalb der Volksverhetzung beschuldigt werden kann.

Natürlich ist „Volksverhetzung“ ein problematischer Begriff, so dass in der Fortschreibung des §86a Abs. 2, des Strafgesetzbuches und der daraus abgeleiteten Rechtssprechung immer wieder Begriffsklärungen stattgefunden haben, die inzwischen vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in eine verständliche, wenn auch nicht immer leicht nachvollziehbare Ordnung gebracht worden sind.

Nehmen wir an, die Ankläger gehen recht in der Annahme, dass Björn Höcke besagten Satz in Kenntnis seiner Eigenschaft als Kennzeichen einer verbotenen Organisation ausgesprochen hat, und zwar zum Abschluss einer Wahlkampfkundgebung im Jahre 2021, dann ist ihm, zwei Jahre später, wohl nicht mehr zu helfen, denn nach Aufhebung seiner Immunität ist durchaus ein Urteil möglich, das den Ausschluss aus öffentlichen Ämtern nach sich ziehen würde. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages führt dazu aus:

Straftaten nach § 86a StGB können mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden. Bei geringer Schuld kann das Gericht von einer Bestrafung absehen (§ 86a Absatz 3 i. V. m. § 86 Absatz 5 StGB).

Erfolgt eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten, kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, für die Dauer von bis zu fünf Jahren aberkennen (§ 92a i. V. m. § 45 Absatz 2 und 5 StGB).

Verboten wurde die verbotene Organisation 1945 vom Alliierten Kontrollrat. Wenn man so will, handelt es sich also an dieser Stelle um „fortgeltendes Besatzungsrecht“. Sie, die verbotene Organisation, beschäftigte sich hauptsächlich damit, politische Gegner in Straßen- und Saalschlachten zu verprügeln, wobei durchaus immer wieder auch Todesopfer zu beklagen waren, und hatte damit ihren Anteil am Gelingen der Machtergreifung 1933. Bei den Nürnberger Prozessen wurde die SA allerdings nicht als „verbrecherische Organisation“ eingestuft, mit der Begründung, dass ihre Mitglieder nach 1939 „im Allgemeinen nicht“ an verbrecherischen Handlungen beteiligt gewesen seien.

Ob für diese Einschätzung der so genannte „Röhm-Putsch“ eine Rolle spielte, sei dahingestellt. Erwähnt werden aber muss, dass die Führer der seinerzeit noch nicht verbotenen Organisation auf Geheiß Hitlers am 30. Juni 1934 festgenommen wurden. Sechs davon wurden noch am gleichen Tag erschossen, der Kopf der Organisation erst am nächsten Tag.

Es drängt sich hier, einem Omen gleich, eine Parallele auf, denn 1934 war die Auseinandersetzung zwischen den in den Zielen grundsätzlich einigen, allerdings in Bezug auf die zur Verwirklichung zu gehenden Wege uneinigen zwei Flügeln der Partei auf ihrem, zur Entscheidung zwingenden Höhepunkt angelangt. Der inkriminierte Satz, dem Höcke die Aufhebung seiner Immunität als Abgeordneter des Landtags zu verdanken hat, war also kennzeichnend für den unterlegenen Flügel.

Die Anklage wurde gestern erhoben. Die Tagesschau berichetete (ab Minute 12:00), was mich überhaupt veranlasste, diesen Kommentar zu verfassen. Es geht mir dabei, auch wenn das so erscheinen mag, nicht um die AfD, auch nicht um Björn Höcke, sondern lediglich darum, dass diese Anklage – bei Umfrage-Ergebnissen von 19 Prozent bundesweit für die AfD und 26 Prozent in den neuen Bundesländern – doch mehr an ein grobes Foul im Strafraum erinnert als an eine inhaltliche politische Auseinandersetzung.

Sollte es also zu einer Verurteilung kommen, mit der die Aberkennung der Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, einhergeht, wären die Weichen für die 2024 stattfindenden Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen für die Fortsetzung der Regierbarkeit der neuen Bundesländer schon einmal gestellt.

Nein. Ich wiederhole den volksverhetzenden Satz nicht. Es lohnt sich nicht. Er besteht aus nicht mehr als fünf Silben, aus denen  immerhin noch drei Worte gebildet werden.

Allerdings möchte ich erwähnen, dass dieser Satz, mit hinreichend bösem Willen betrachtet, auch als die auf den Punkt gebrachte, komprimierte Fassung des in Deutschland üblichen Amtseides angesehen werden könnte.

Jeder Versuch, den Amtseid als weniger ambitionierte pro-deutsche Aussage zu deuten, um die Vergleichbarkeit verneinen zu können, mit der Begründung, im Amtseid komme schließlich das Wörtchen „alles“ nicht vor, birgt die große Gefahr zum Eigentor zu werden. Das muss auch bedacht werden.