Der Söder-Effekt

Glanz und Strahlkraft der CSU, weit über Bayern hinaus, hatten mit Franz Josef Strauß ihren Höhepunkt erreicht.

Max Streibl und Edmund Stoiber versuchten, diesem Ideal noch gerecht zu werden, Günther Beckstein hat in seiner kurzen Amtszeit sehr viel bayerisches Porzellan zerschlagen. Horst Seehofer, der ihm als Ministerpräsident nachfolgte, erschien vor diesem Hintergrund als Heilsbringer, doch tatsächlich war es Seehofer, der den Grundsatz der faktischen Eigenständigkeit der CSU verwässert hat, der gemeinsam mit der CDU immer weiter nach links wanderte, bis sich rechts von der CSU jener Freiraum für eine weitere, demokratisch legitimierte Kraft öffnete, den es nach dem Diktum des Franz Josef Strauß nie hätte geben dürfen. Dass gleichzeitig dass christliche „C“ verblasste, mag mehr dem Zeitgeist, als Horst Seehofer geschuldet gewesen sein, doch Anstrengungen, diesem Zeitgeist Paroli zu bieten, waren nicht zu erkennen.

Als Markus Söder die im Laufe der 30 Jahre seit Strauß ihres Wesenskerns bereits weitgehend verlustig gegangene CSU übernahm, konnte er die Partei ohne große Mühen zu einer nur noch opportunistisch auf Machterhalt ausgerichteten Partei der programmatischen Beliebigkeit umgestalten. Die CSU verlor ihr scharfes Profil, wandelte sich quasi zum bayerischen Landesverband der von Merkel bereits demolierten CDU. Der alte schwarze Lack wurde großflächig abgeschliffen und durch einen grünen Neuanstrich ersetzt.

Damit ist nach der SPD, die von der CDU assimiliert wurde, und der CDU, die durch ihre Sozialdemokratisierung ihr Profil verloren hat, auch die dritte politische Kraft der alten Bundesrepublik im Meer der Ununterscheidbarkeit untergegangen.

So viel zu dem, was ich, der ich nie einer Partei angehörte, als Essenz aus gut fünfzig Jahren politischen Interesses über die CSU im Hinterkopf habe.

Sehr viel pointierter finden sich die Belege des Niedergangs in jenem Brief, mit dem Florian Stumfall, nach 52 Jahren aktiver Mitgliedschaft in der CSU, dem Vorsitzenden Söder seinen Partei-Austritt erklärte. Florian Stumfall, mit dem ich, als ich noch als Verleger aktiv war, drei Buchprojekte realisiert habe („Das EU-Diktat“, „Das Limburg Syndrom“ und „Tripoli Charlie“), ist alles andere als ein Hitzkopf, der beim ersten Anlass den Büttel hinschmeißen würde. Doch dass er in seiner Partei nicht mehr wirklich glücklich war, das zeigte sich schon, als er Ende 2013 mit dem Manuskript für „Das EU-Diktat“ auf mich zukam. Ich füge hier einen kurzen Abschnitt aus diesem Buch ein. Seine Kritik ist aus diesen wenigen Absätzen klar zu erkennen, doch adressiert er sie nicht an „seine CSU“, von der er sich zuerst Abhilfe hätte versprechen können, sondern belässt es bei der Darstellung des von ihm wahrgenommenen Problems

Zum Lob des Kleinstaats

 

„Außerdem gibt es ein bestimmtes
Maß für die Größe eines Staates.“

Aristoteles

 

Hätte der Architekt des Turmes von Babel in dem Augenblick, als das Scheitern des Baus abzusehen war, verlangt, man solle ihn aufstocken, wäre er schnellstens abberufen worden. Dennoch machen die meisten Politiker in der EU nichts anderes: Im vierten Jahr der Euro-Krise rufen sie nach „mehr Europa“, wobei diesmal nicht eine neue Erweiterung, sondern eine zusätzliche Kompetenzverlagerung nach Brüssel gemeint ist. Dabei fehlt immer noch, was die EU seit ihrem Anbeginn schuldig ist: eine klare Festlegung, wo die geographischen und staatsrechtlichen Grenzen der Gemeinschaft liegen.

Zweierlei aber ist klar: Die Tendenz geht hin zur Zentralisierung, die bereits vor der Eurokrise eine stetige Zunahme Brüsseler Zuständigkeiten mit sich gebracht hat; das andere aber ist der Wille, möglichst viele Länder unter dem Banner der EU zu vereinen. Dieser Wille entspricht einem aus der Geschichte wohlbekannten Phänomen: dem Drang zur Großmacht. Dieser Drang hat verschiedene, aber durchwegs ephemere Weltreiche hervorgebracht: in der Antike Persien und Rom, im Mittelalter die Reiche des Dschingis Khan und des Timur Leng, in der Neuzeit das Osmanische Reich, das koloniale Spanien und das britische Empire. Aus der langen  Liste der gescheiterten Versuche stechen die Kriege Napoleons und Hitlers hervor.

Wenn also die EU alle Anzeichen des Großmachtstrebens aufweist, so ist das historisch keine neue Erscheinung. Neu ist hingegen die Methodik, womit dies geschieht. Waren es früher durchwegs Kriege, die der Megalomanie dienten, so ist es heute eine Art gelenkter Freiwilligkeit, die als Mittel die Geheimdiplomatie, den wirtschaftlichen Druck, die Macht einer geführten Medienwelt und vor allem den psychologischen Zwang gebraucht, der aus der Angst breiter Bevölkerungsschichten resultiert, das Scheitern der Entwicklung zur Großmacht wäre eine Katastrophe.

Es tut daher not zu untersuchen, welche Vorteile eine Großmacht gegenüber einem Kleinstaat den Bürgern bietet. Da steht an erster Stelle die Behauptung, die Notwendigkeit, global wettbewerbsfähig zu sein, sei vor allem für eine exportorientierte Volkswirtschaft wie die deutsche, gleichbedeutend mit dem Zwang zur großen politischen Einheit. Ohne EU, so lautet die einfache Gleichung, kein Handel, vor allem kein Welthandel. Doch schon der erste Augenschein widerlegt diese Behauptung. Deutschland war bereits vor der derzeitigen Zentralisierung unter Brüssel Exportweltmeister und vor allem schon vor der Einführung des Euro. Auch die beliebte Behauptung, niemand habe vom Euro so stark profitiert, ist falsch. Die Entwicklung der Ausfuhren in den Nicht-Euro-Raum ist seit Jahren signifikant besser als diejenige in den Euro- Raum.

 

In seinem Brief an Markus Söder ist er zu direkteren Aussagen, ja Schuldzuweisungen gelangt. Und es kann davon ausgegangen werden, dass seine Einschätzungen von vielen weiteren CSU-Mitgliedern geteilt werden. Noch sagen die Demoskopen der CSU für Bayern bei der Bundestagwahl einen Stimmenanteil von etwa 36 Prozent vorher. Doch was bedeuten  36 Prozent in Bayern in Bezug auf die 5-%-Hürde im Bund? Bayern stellt etwa 15 Prozent der bundesweit Wahlberechtigten. Damit werden aus 36 Prozent 5,4 Prozent – und sollte die CSU noch ein klein wenig weiter abrutschen, dann würden aus 33 Prozent im Bayern 4,95 Prozent im Bund. Aus der Traum. Der CDU verblieben dann von den jetzt prognostizierten 28 Prozent für CDU/CSU nur noch 22,x Prozent.

Lesen Sie Stumfalls Brief auch vor diesem Hintergrund.


  1. 7. 2021

 

 

Herrn Ministerpräsidenten

Dr. Markus Söder MdL

CSU-Landesleitung

Mies van der Rohe Str. 1

80807 München

 

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

seit ich Ihre ersten Schritte im Landtag publizistisch begleitet habe, ist sehr viel anders geworden, vor allem die CSU. Ich will deshalb hier eine politische Summa der Politik der CSU und im besonderen die Rolle darstellen, welche die CSU als Koalitionspartner in den Regierungsjahren Merkel gespielt hat. Bilanzen aber müssen ehrlich sein, in diesem Falle schonungslos.

Nach Merkels Kanzlerschaft stellt sich der Zustand Deutschlands wie folgt dar:

Die Staatsschulden belaufen sich auf etwas über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was lediglich dem Umstand zu verdanken ist, daß wegen der Politik der EZB keine Zinsen gezahlt werden. Die Risiken aus den Target-Ansprüchen und solchen aus der Politik der EZB übertref­fen die 2-Billionen-Grenze und somit jedes vernünftige Maß. Rechnet man zudem die implizierten Schulden, also die fin­anziellen Zusagen des Staates aus sozialen Ansprüchen der Bürger dazu, so beträgt das ge­sam­te Soll rund 7,5 Billionen Euro. Dafür gibt es hier mit die höchsten Steuern und Abgaben weltweit.

Die Wirtschaft hält den Vergleich mit den Konkurrenten nicht mehr aus. Die Lohnstück­kosten steigen, die Produktivität sinkt. Gerade diese beiden Parameter waren jahrzehntelang der Ausweis für die deutsche Leistungsfähigkeit. Was noch läuft, ist der Agenda 2010 des SPD-Kanzlers Schröder zu ver­danken. Allerdings sind Arbeitsplätze im sechsstelligen Umfang wegen der Energiewende in Gefahr. Diese hat zu den höchsten Energiepreisen bei gleich­zeitiger fataler Unsicherheit der Versorgung geführt. Wird sie weiterhin betrieben, droht die Deindustriali­sierung Deutsch­lands.

Die innere Sicherheit  ist nicht mehr gewährleistet. Vor allem in manchen Großstädten gibt es ganze Viertel, in denen wegen der Herrschaft kulturfremder Sippen deutsches Recht nicht mehr durchsetzbar ist. Hilfskräfte, Polizei, THW, Feuerwehr oder Rotes Kreuz, werden bei Einsätzen immer öfter angegriffen  Der Grund für eine solche Entwicklung ist die Politik der unbeschränkten Zuwanderung seit 2015. Jedes Jahr kommen Fremde im Umfang einer Großstadt ins Land, meist illegal und ohne daß sie von den Behörden notifiziert würden.

Weitere Folgen daraus: in der Sozialpolitik stellen die Alters- und Jugendarmut sowie die Wohnungsnot die größten Probleme dar. Ferner sinkt der Bildungsgrad der Bevölkerung auf breiter Front. Universitäten sind gezwungen, Orthographie-Kurse und solche für die Grund­rechenarten einzurichten.

Das Justizwesen liegt darnieder. Oberstaatsanwalt Ralph Knispel von Berlin hat dies in seinem Buch: „Rechtsstaat am Ende“ gezeigt.

Nicht nur im Zusammenhang mit der Einwanderung hat das Recht weithin seine Bindungskraft verloren. So hat Merkel mit einem einzigen Satz während eines Interviews den Grundgesetzartikel 6, der den besonderen Schutz der Familie garantiert, ausgehebelt. Nur ein einziges weiteres Beispiel aus allzu vielen: Merkels Forderung vor der Welt, eine Land­tagswahl müsse „rückgängig“ gemacht werden, zeugt von einem absoluten Unverständnis für demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze.

Die Infrastruktur des Landes ist marode. Brücken und Straßen entsprechen nicht mehr dem Standard. Das Stromnetz ist überaltert und kann jederzeit  kollabieren. Die Bahn ist dringend sanierungsbedürftig. Die traditionell zentralen Industriezweige, der Autobau, die Chemie und die Pharmazie be­finden am Rande des Niedergangs. Das Gesundheitssystem ist ruinös. Es ist gekennzeichnet von Ärztemangel und Krankenhäusern, die hoffnungslos überlastet sind. In Deutschland, einst „Apotheke der Welt“, kommt es zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten. Außerdem ist das Konstrukt kaum mehr finanzierbar.

Das Medianvermögen der deutschen Haushalte beträgt 51400 Euro. Im Euroraum insgesamt liegt es bei 109000. In Griechenland beispielsweise ist es doppelt so hoch wie hierzulande. Bei der Digitalisierung, seit zwölf Jahren von Merkel immer wieder und wortreich beschworen,  befindet sich Deutschland auf dem Niveau eines Schwellenlandes.

Die Bundeswehr steht vor der Handlungsunfähigkeit, soll aber international bis zur Überdehnung und ungeachtet des Völkerrechts immer mehr Aufgaben übernehmen trotz des würdelosen Rückzugs aus Afghanistan. Sie ist zum Gegenstand des öffentlichen Spotts geworden.

Die Meinungsfreiheit wird mehr und mehr eingeschränkt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das den Weg zu umfassender Kontrolle und Zensur freigibt. Medienleute oder Wissenschaftler, die nicht der Regierungs-Linie folgen, müssen mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen. Professor Bakhdi etwa hat wegen eines gescheiten aber mißliebigen Buches sein Institut verloren. Daß Leuten, die in den freien Medien unbequeme Themen behandeln, der Zugang zum System gesperrt wird, ist längst Alltag. Zudem werden auf Grund jenes Gesetzes einzelne Beiträge in großer Zahl gelöscht.

Die von Merkel über viele Jahre geführte CDU hat sich während dieser Zeit von einem sta­bilen Satz über der Marke von 40 Punkten verringert bis auf teilweise deutlich unter 20 Pro­zent. Die bürgerliche Mitte der Gesellschaft hat in der CDU kaum noch eine politische Reprä­sentanz. So trägt Merkel auch ursächlich Schuld an der Ausbreitung der AfD. Im Kielwasser der CDU schwimmend, hat auch die CSU unter dieser Entwicklung zu leiden.

Die Regierung bricht Gesetze und Verträge, so wie beim diktierten Ausstieg aus der Kernenergie. CDU und CSU springen über jedes Steckerl, das die Grünen ihnen hinhalten. So kann ich mir nicht vorstellen, daß Ihnen, Herr Vorsitzender, unbekannt geblieben wäre, daß es sich bei CO2 nicht um ein Schadgas, sondern um die Lebensgrundlage alles aeroben Lebens auf dem Planeten handelt. Es werden rückwirkende Gesetze erlassen. Verfassungsrechtlich garantierte Frei­heiten werden per Rechtsverordnung außer Kraft gesetzt, wobei ein Virus den willkommenen Vorwand liefert.

Die Grenzöffnung, die Energiewende, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, die verschiedenen Euro-Rettungen, vor allem die EU-Politik der Auflösung nationaler Souveränität, welche den mit einem Widerstandsrecht bewehrten Artikel 20 GG verletzt – alles geschieht gegen Recht und Gesetz. Unter Merkel und mit der Unterstützung durch CDU und CSU hat Deutschland aufgehört, ein Rechts­staat zu sein.

Das alles nach 16 Jahren Merkel und dies bei trotz des Niedergangs vorläufig immer noch prosperierender Wirtschaft und hohen Steuereinnahmen! Im günstigen Fall handelt es sich dabei um  Ver­sa­gen, im schlech­teren um Destruktion.

Die CSU hat jede Entscheidung, die zu dieser verheerenden Bilanz geführt hat, kritiklos mitgetragen. Und es hat in 16 Jahren nie ein einziger Abgeordneter den Mut gefunden, im Bundestag aufzustehen und zu sagen: Frau Bundeskanzlerin, halten Sie ihren Amtseid und achten Sie das Recht!

Wer aber meint, damit sei es genug der Schrecken, der irrt. Das CSU-geführte Bundesinnenministerium hat den Entwurf zum Geschlechtseintragungs-Änderungsgesetz mit erarbeitet, der Kindern ab 14 Jahren die Entscheidung darüber gibt, welches Geschlecht sie haben wollen, unabhängig von einem Arzt und auch gegen den Willen der Eltern. Immerhin fürchtet man den Wähler und hält den Entwurf bis zum Wahltag weitgehend unter Verschluß. Hier wird der Schritt von einer katastrophalen Politik hin zum Verbrechen getan. Ungeachtet ihrer christlichen Referenz beteiligt sich die CSU an einer Sünde gegen die eigene Jugend, die in ihrer Verworfenheit an die Versuche von KZ-Ärzten erinnert.

Das ist nicht mehr die Partei, der ich vor 52 Jahren beigetreten bin, und für die ich ein Leben lang gearbeitet habe. Deshalb trete ich mit sofortiger Wirkung aus. Und die CSU täte einen Schritt der Ehrlichkeit, wenn sie das Franz-Josef-Strauß-Haus schnellstens umbenennen würde.

Denn früher hat die CSU dem Zeitgeist widerstanden und sogar der CDU etwas Halt gegeben. Heute beugt sie sich ihm in  lustvoll-schmerzlicher Proskynese. Kennen Sie auch nur zehn Landtagsabgeordnete, welche die drei Prinzipien der Partei hersagen können, von der Bayern-Hymne ganz zu schweigen? Nein? Sehen Sie, in solch einem Zustand befindet sich die CSU!

Dieser Brief geht in Kopie an meinen Ortsvorsitzenden, Dr. Georg Kasberger, und ich behalte mir eine weitere Verwendung vor.

Ich bitte, mir kein Referenten-Spurschreiben zu schicken, ich kenne die Methode und empfände sie als entwürdigend. Vielmehr erwarte ich keine Antwort.

 

Dr. Florian Stumfall