Das „Deutschland-Ticket“

Es ist schon ziemlich verrückt, wenn man einen Testlauf über drei Monate mit einem 9-Euro-Ticket macht und die große Resonanz dann zum Anlass nimmt, dauerhaft ein 49-Euro-Ticket einzuführen.

Preisgestaltung wie beim Handytarif. Ein paar Monate superschnäppchen-günstig und dann, im Vertrag mit zwei Jahren Laufzeit, weitere 21 Monate, welche die Kompensation durch deutlich höhere Monatsgebühren erbringen.

Das haben die Preisgestalter für das ÖPNV-und-Regionalbahn-Ticket offenbar nicht beachtet, dass nämlich jene Kunden, die im letzten Sommer das 9 Euro Ticket nutzten, keinen 2-Jahresvertrag unterschrieben haben und deshalb keineswegs verpflichtet sind, für die nächsten 21 Monate jeweils 49 Euro zu bezahlen.

Aber dass es nicht bei den 49 Euro bleiben soll, das scheint bereits Konsens bei den Politikern zu sein, die das 49 Euro Ticket mit immerhin 1.5 Milliarden Euro pro Jahr subventionieren sollen.

Wenn Sie mich fragen: Ein weiterer, für den Steuerzahler teurer, nichtsdestoweniger bereits gescheiterter Versuch, den Menschen im Lande das Autofahren abzugewöhnen.

Gescheitert unter anderem deshalb, weil auch hier die Fantasie mit den Erfindern durchgegangen ist und die Konkurrenz von CDU, SPD und FDP es nicht gewagt hat, den Humbug zu verhindern.

Im Detail auseinanderklamüsert stehen sich hier zwei Wirklichkeiten gegenüber, die gegensätzlicher nicht sein können:

  • Das universell einsetzbare, jederzeit verfügbare, nicht an Fahrpläne gebundene private Automobil, das die Fahrten zum Arbeitsplatz, den Wochenendausflug mit der Familile, den Großeinkauf im Supermarkt und die Fahrt zum Facharzt, um nur die Wichtigsten zu nennen, problemlos möglich macht, und
  • die an Fahrpläne, Haltestellen und Fahrstrecken gebundenen Busse und Bahnen, die oft genug überfüllt, oft genug verdreckt und nie geeignet sind, den Inhalt des Einkaufswagens aus dem Supermarkt im Kofferraum zu verstauen, weil es den da nämlich nicht gibt.

Für den Automobilbesitzer liegt die Beurteilung des ÖPNV im Grunde zwischen überflüssig und unzumutbar. Außerdem hat er in seinen Pkw investiert, und diese Investition rentiert sich umso mehr, je mehr der Pkw als einziges Transportmittel genutzt wird. Wer den Pkw in der Garage stehen hat und für den Arbeitsweg den ÖPNV benutzt, spart ja nur die Betriebskosten, im Wesentlichen den Sprit, während der Wertverlust durch Alterung sich nicht wegsparen lässt. Auch wenn nur eine Person im Pkw sitzt, und der Arbeitsweg 15 km (einfache Strecke) lang ist, kommen bei 21 Arbeitstagen im Monat nur 630 km Fahrstrecke heraus, bei durchschnittlich 6,5 Liter Sprit pro 100 km  ist das eine Tankfüllung von 40 Litern. Bei aktuellen Spritpreisen kostet das etwa 72 Euro. 

Die mögliche Ersparnis mit dem 49 Euro Ticket beläuft sich bei diesem Arbeitsweg auf monatlich 23 Euro. Die kann man, je nach eigenem Anspruch aufrechnen

  • gegen 84 mal 5 bis 10 Minuten (= 7 bis 14 Stunden) Fußmarsch von und zur eigenen und von und zur Zielhaltestelle, und das bei jedem Wetter,
  • gegen die hohe Wahrscheinlichkeit in Bus und Bahn einen unbequemen Stehplatz einnehmen zu müssen,
  • gegen die hohe Wahrscheinlichkeit in Bus und Bahn  monatlich zwischen 6 und 7 Stunden mit eher unangenehmen Zeitgenossen verbringen zu müssen, ohne die Chance, die notwendige Distanz herstellen zu können, und
  • gegen die Unmöglichkeit, auf dem Heimweg beim Getränkemarkt vorbeifahren und je zwei Kästen Bier und Limo mitzunehmen.

So viel Comfort, wie bei der Fahrt mit dem eigenen Auto, sind sonst für einen Aufpreis von 23 Euro monatlich nirgends zu haben. Kaum jemand wird wegen der geringen Ersparnis darauf verzichten wollen. Etwas anders ist die Situation in den Ballungsräumen. Wo der ÖPNV aufgrund der Haltestellendichte und der schnellen Zug- bzw. Busfolgen attraktiver ist und zugleich die Stausituation in der Hauptverkehrszeit  die Lust am Autofahren reduziert, haben bereits viele den Umstieg auf den ÖPNV vollzogen. Dass die 49 Euro aber ausreichen, um mehr Fahrgäste anzulocken, als da sowieso schon den ÖPNV nutzen, muss stark bezweifelt werden.

Bei zwei Berufstätigen in einer Familie und nur einem Pkw wird einer von beiden den ÖPNV nutzen und künftig, wenn sich das als günstiger herausstellen sollte, dafür auf das 49-Euro-Ticket umsteigen.

Ein spürbarer Effekt in Richtung der gewünschten Mobilitätswende wird sich daraus nicht ergeben.

Aber: Das 9-Euro-Ticket war doch ein Riesenerfolg!

Ja. Da gab es drei Sommermonate, in denen es auch den wirtschaftlich ganz Schwachen möglich wurde, ihren persönlichen Aktionsradius über den fußläufigen Bereich hinaus zu erweitern. Für dreißig Cent täglich Strecken von 50, 100 oder noch mehr Kilometern zurücklegen zu können, für diese einmalige Gelegenheit spart man dann schon mal an anderer Stelle, so schwer es auch fällt.  Das hatte eine Sogwirkung wie die Grenzöffnung 1989, ob mit oder ohne Begrüßungsgeld.

Nur sind halt 49 Euro schon 10 Prozent vom Bürgergeld, 9 Euro waren nur 2 Prozent von Hartz IV, wer glaubt, unter den Millionen von Bürgergeldempfängern und Armutsrentnern würde sich mit dem 49-Euro-Ticket noch einmal ein Ansturm auf den ÖPNV entfesseln lassen, wie mit dem 9-Euro-Ticket, ist nicht von dieser Welt.

Von der volkswirtschaftlichen Betrachtung her gesehen, hat sich in der Vergangenheit eine Balance zwischen Kosten und Nutzen eingestellt. Der ÖPNV ist nämlich da stark geworden, wo sich die Kosten für Investitionen und Betrieb des ÖPNV auf einige Hunderttausend oder auf mehr als eine Million Einwohner verteilen, konnte das Verkehrsangebot in Bezug auf Strecken, Haltestellen und Fahrpläne großzügig bemessen werden und der Nutzen dieses Angebots relativ preisgünstig angeboten werden. Die Bürger haben also – mehr mit den Füßen als mit dem Geldbeutel – darüber abgestimmt, ob sie mehrheitlich den öffentlichen oder den privaten Nahverkehr bevorzugen. Das gilt aber auch außerhalb der Ballungszentren, und auch da wird es sich nicht ändern, es sei denn dass auch in der Fläche ein gleichwertiges Mobilitätsangebot gemacht wird.

Bundesweit lässt sich ein gleichwertiges Verkehrsangebot per ÖPNV aber nicht herstellen, ohne dass die Kosten ins Unermessliche steigen. Dabei ist es ziemlich egal, ob hohe Fahrpreise von den Nutzern, oder hohe Steuern von allen erhoben werden. Nichts spricht gegen Sozialtickets für Schüler, Rentner und Schwerbehinderte auf dem bestehenden Streckennetz.

Alles spricht gegen ein 49-Euro-Ticket:

  • Die extrem ungleichen Chancen, den ÖPNV (incl. Regionalbahnen) überhaupt sinnvoll nutzen zu können.
  • Die willkürliche Festlegung eines Fahrpreises, der einigen der bisherigen ÖPNV-Nutzer geringfügige Einsparungen ermöglicht, die wirtschaftlich Schwachen aber ausschließt.
  • Der bürokratische Aufwand, der mit dem Streit um die Verteilung der Lasten auf Bund und Länder und mit der Verteilung der Subventionsmittel auf die Träger erst geschaffen wird, ohne dass dadurch wirklich mehr Geld für Qualitätsverbesserungen im ÖPNV bereitgestellt wird.

Die Kilometerpauschale als Teil der Werbungskosten beim Lohnsteuerjahresausgleich bzw. bei der Einkommensteuer war (und bleibt hoffentlich auch) ein wesentlich gerechteres Instrument, um Unterschiede zwischen den Lebenssituationen in Großstadt, Stadt und Land auszugleichen.

Aber es geht hier ja nicht um ein Mehr an Gerechtigkeit, sondern um ein ideologisch gewolltes Weniger an automobilem Individualverkehr, auch gegen die (wirtschaftlichen) Interessen der Menschen im Lande,.