Wenn der Führer das gewusst hätte …

 

Mini-Paukenschlag wegen Buchschreiberei
Nr. 16 /2024 – Kein PDF verfügbar.

 

 

„Wenn der Führer das gewusst hätte,

dann hätte er das niemals zugelassen.“

Einer der Sätze, die bei mir aus meiner Zeit als der am Tisch der Erwachsenen sitzende Knirps hängengeblieben sind. Sinnleer, zunächst, aber als Frage hängengeblieben.

Wer ist der Führer? Was hat er nicht gewusst? Warum hat er es nicht gewusst? Hat er es doch gewusst, und nur den Unwissenden gespielt? Ich habe in meiner Kindheit viele solcher Sätze, zum Teil auch nur einzelne Worte gespeichert, um bei jedem nächsten Auftauchen zu versuchen, aus dem Kontext etwas mehr darüber zu erfahren.

Inzwischen weiß ich natürlich, was der Führer nicht gewusst haben durfte, damit die, die das glauben wollten, ruhig schlafen konnten.

Schnitt. Schwarzblende.

Neulich im Wartezimmer:

Zwei Frauen. Erwachsen. Beide um die vierzig. Bemalung Torschlusspanik.

Gesprächsauftakt:

„Und – was hältst du von dem Habeck. Findest du den auch so toll?“

„Der Habeck? Ohhh! Den Habeck verehre ich! Der Robert ist der beste Politiker aller Zeiten.“ 

Schnitt. Schwarzblende.

Ja. Der Führer soll ja auch ordentlich einen Schlag gehabt haben, bei den Frauen. (Erklärung: „Einen Schlag haben„)
Die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern geht ja oft sonderbare Wege. Macht spielt oft eine Rolle dabei.

Es geht aus aktuellem Anlass also um die triebaktivierende Kraft. Nicht um den Vergleich zwischen zwei Exemplaren der Spezies Mann.

Der aktuelle Anlass ist der Versuch des (vermutlich radikal rechtsextremen) Mediums „Cicero“, sich, die Hände in äußerster Unschuld waschend, an der Delegitimierung des Staates und seines Repräsentanten Rober Habeck zu versuchen.

Der Cicero hat nämlich, wie zuvor schon das (vermutlich radikal rechtsextreme) Medium „Multipolar“ auf die Herausgabe von Akten aus einem Ministerium, in diesem Fall das Ministerium für Wirtschaft und Klimawandel, geklagt, und hat tatsächlich (diese rechtsextremen Netzwerke funktionieren!) einen Richter gefunden, der das verfügt hat.

Anders als gewissenhaft-vorsichtig agierende andere Stellen und Personen von öffentlichem Interesse im Inland und in Brüssel, war man im Wirtschaftsministerium offenbar sorglos mit den Akten umgegangen. Sie waren auffindbar und noch nicht einmal sinnentstellend geschwärzt. Ob man es Selbstüberschätzung im Wahn der Unantastbarkeit nennen soll oder einfach nur typisch grüne Schlamperei, werden wohl erst die Historiker späterer Jahrhunderte endgültig entscheiden.

Jedenfalls ist Cicero beim Studium dieser Akten zu dem Schluss gekommen, dass Robert Habeck tatsächlich sehr vieles einfach nicht gewusst hat, weil seine getreuen Paladine ihn vom allem abgeschirmt haben, was deren Pläne hätte stören können. Die Information der Öffentlichkeit erfolgte allerdings hinter der Cicero-Bezahlschranke.

Die „Berliner Zeitung“ (inzwischen vermutlich ebenfalls als gesichert rechtsextrem einzustufen) hat Teile von dem öffentlich gemacht, was Cicero noch hinter der Bezahlschranke gehalten hatte – und: Das sind dann schon Beweise. Nicht bloß Anschuldigungen und Verdächtigungen.

Hier der Link auf den Artikel der  Berliner Zeitung.

Natürlich besteht kaum eine Chance, dass ich die beiden Frauen aus dem Wartezimmer jemals im gleichen Wartezimmer wiedersehen werde. Vorstellen kann ich mir aber, dass auch sie, Jahre nach dem verlorenen Krieg noch, bei Muckefuck und Sandkuchen im Kerzenschein zusammensitzend, schluchzend bekennen würden: „Wenn der Habeck das gewusst hätte …!

Nun bin ich alt genug, um von solchen Verschwörungen nicht nur schon gehört, sondern sie auch live miterlebt zu haben.

Es gibt da drei Versionen. Nehmen wir den Fall, dass PCB-verseuchte Trafos kostengünstig entsorgt werden sollen:

Version 1:
„Das braucht der Alte nicht zu wissen. Sonst macht der sich bloß wieder in die Hose – und unsere schöne Provision geht flöten.“

Version 2:
„Da kümmern Sie sich jetzt drum! Egal wie. Es darf bloß nichts kosten.“

Version 3:
„Mensch, wie haben Sie das denn geschafft?“ – „Och, das wollen Sie gar nicht wissen.“

Wir wissen nicht, welche Version im Habeck-Ministerium auf dem Spielplan stand, aber wir wissen zu jeder Version, wie das Verhalten des Ministers gedeutet werden muss.

Im ersten Fall, wenn also tatsächlich hinter seinem Rücken massiv manipuliert wurde, muss ihm attestiert werden, dass er seinen Laden absolut nicht im Griff hat. Nach der Graichen-Affäre,die ja bereits auf Führungsversagen hindeutete, wäre jetzt der bußfertige Rücktritt angesagt.

Im zweiten Fall, wenn es ihm also auf das erreichte Ergebnis angekommen sein sollte, er sich aber selbst die Hände nicht schmutzig zu machen wollte, sondern seine Macht ausnutzte, um seine Mitarbeiter dazu anzustiften, wäre das der Anlass für den Regierungschef, seinen Minister zu entlassen und einige Prozesse neu und transparenter wieder aufzusetzen.

Im dritten Fall, wenn  er sich darüber klar war, dass seine Mitarbeiter einige Schweinereien am Laufen hatten, und er das augenzwinkernd geschehen ließ, weil ihm das Ergebnis recht war, wäre er als Lügner und Mitverschwörer von der Sorte bloßgestellt, die ihren Laden zwar im Griff haben, aber mit diesem funktionierenden Laden gezielt an Vernunft und an der optimalen Lösung für Deutschland vorbeiregieren, was seine Handlungsweise in die Nähe von Hochverrat rückt.

Es ist jedoch zu erwarten, dass Habeck nicht zurücktreten wird, dass Scholz ihn auch nicht entlassen wird, dass es auch keinen Untersuchungsausschuss geben wird, weil „man“ schließlich jetzt, mitten der Krise, nicht einfach seinen Posten verlässt, sondern trotz aller Anfeindungen durchhält, seiner Verantwortung gerecht wird und eisern so weitermacht.

Die weitere Karriere jener Richter, die den Klagen von Multipolar und Cicero auf Aktenherausgabe stattgegeben haben, sollte man spaßeshalber im Auge behalten.