Graichens Schuld

PaD 19 /2023 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 19 2023 Graichens Schuld 2

Der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Patrick Graichen, wurde nach einer intensiven öffentlichen Debatte um das ihm unterstellte dienstliche Fehlverhalten in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

In der breiten Öffentlichkeit wurde damit der Eindruck erweckt, bei dieser beamtenrechtlichen Maßnahme, ausgesprochen vom Minister, verfügt vom Bundespräsidenten, handle es sich um die Konsequenz aus den nachgewiesenen Verfehlungen des Staatssekretärs, seine Entfernung aus dem Amt sei eine Art „Strafe“, die der Delinquent in dieser Härte und Schärfe verdient habe, denn: „Vetternwirtschaft, das geht ja gar nicht!“

Herr Graichen braucht sich jetzt also nicht mehr den Mühen und Beschwernissen des Staatssekretärs-Daseins zu unterwerfen und erhält dazu, ohne weiterhin eine Leistung zu erbringen, weite Teile seiner bisherigen, üppigen Bezüge, um ihm diesen einstweiligen Ruhestand zu versüßen. 

Eine Strafe, die wahrscheinlich von Millionen von Berufstätigen als Erlösung vom Joch der Arbeit angesehen würde, ist keine Strafe. Eher könnte man davon ausgehen, dass ihm, angesichts seiner Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland, eine Art „Abfindung“ zugesprochen wurde, weil er, ohne eigenes Verschulden, in eben diesen einstweiligen Ruhestand versetzt wurde.

Politische Beamte, und ein solcher  ist Patrick Graichen immer noch, können, ohne dass es dafür einer Begründung bedürfte, in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Das soll es ermöglichen, insbesondere im Fall eines Regierungswechsels, einen loyalen Anhänger der neuen Regierungspartei auf den Stuhl eines Anhängers der bisherigen Regierungspartei zu setzen. Dass es in solchen Fällen keiner Begründung bedarf, auch weil jegliche Begründung zu einer Peinlichkeit ausufern könnte, versteht sich von selbst.

Im Falle Graichen sieht das jedoch ganz anders aus. Graichen war  einer der Getreuesten des Ministers Habeck. Habeck hat lange versucht, sich schützend vor seinen Staatssekretär zu stellen, hat die Kritik an Graichen sogar als eine Art Hetzjagd aus dem rechten Lager darzustellen versucht, solange es aus Habecks Sicht nur um den „einen Fehler“ ging, nämlich die Besetzung des Vorsitzes der Dena-Geschäftsführung mit dem Trauzeugen Schäfer. Erst als dem „BUND Berlin“, in dessen Vorstand Graichens Schwester Verena sitzt, von Bruder Patrick 600.000 Euro Bundesfördermittel zugesprochen wurden, war es „ein Fehler zu viel“.

Man nennt solche Vorgänge heute Verstöße gegen die Compliance. Man kann das auch als Rechts- oder Regelverletzung  bezeichnen, und im Dienstrecht der Beamten dürfte daraus, wenn sich die Vorwürfe bestätigen lassen, eine Dienstpflichtverletzung werden, die disziplinar- und strafrechtlich zu würdigen wäre. 

Nichts von alledem kann über die Aktivitäten Graichens als Tatsache behauptet werden, da er ohne weitere Aufklärung und disziplinarische Würdigung der Vorfälle im einstweiligen Ruhestand nach wie vor unter dem Schutz des rechtsstaatlichen Prinzips der Unschuldsvermutung steht.

Graichen könnte auch jederzeit wieder zu den gleichen Bezügen in den aktiven Dienst als Beamter berufen werden. Deshalb heißt sein dienstrechlicher Status auch „einstweiliger“ Ruhestand, ein Status der mit keinerlei Zweifel an der Zuverlässigkeit und Loyalität des Beamten verbunden ist. Theoretisch könnte die grüne Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Steffi Lemke, Herrn Graichen schon morgen als Staatssekretär in ihr Ministerium holen und Herr Graichen könnte, vom benachbarten Ressort aus, weiter an seiner Gebäudeenergiegesetzgebung arbeiten.

Aus alledem lässt sich – im Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit des Handelns des Ministers – nur eine Erkenntnis ableiten:

Patrick Graichen ist unschuldig.

Könnte Herrn Graichen auch nur irgendein Verstoß gegen bestehende Regeln oder eine Dienstpflichtverletzung stichhaltig vorgeworfen werden, seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand wäre das nächste Problem im Range einer Dienstpflichtverletzung.

Graichen ist ja schließlich nicht der Einkaufsleiter eines Industriebetriebes. In dieser Position hätte er es sich zweimal überlegen und anschließend gut begründen müssen, wenn er ausgerechnet seiner Schwester einen Großauftrag erteilt und seinem Trauzeugen vorsichtshalber auch noch einen Job in der Rechnungsprüfungsabteilung verschafft.

Patrick Graichen ist unschuldig, und es war nichts als die Wahrnehmung der Fürsorgepflicht seines Dienstherren, ihn mit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand aus der Schusslinie zu nehmen.

Ja, was war das denn dann überhaupt?

Viel Wind um nichts? Ein Sturm im Wasserglas? Ein glücklich abgewehrter Shitstorm aus der dunkelbraunen Ecke?

Hätte Habeck dann nicht länger schützend vor seinem Staatssekretär stehenbleiben müssen?

Ich fantasiere einmal munter  drauflos:

Die grünen Seilschaften, die sich im – und rings um – das Wirtschaftsministerium gebildet hatten, waren ja schon seit dem Amtsantritt der Ampel-Koalition erkennbar, ohne dass so ein Bohei darum gemacht worden wäre, wie in den letzten Wochen. Wofür hat man denn Parteifreunde? Außerdem sind festgefügte Seilschaften auch die Garantie für ein hohes Maß an Disziplin innerhalb eines solchen Zirkels, dafür sorgen schon die gemeinsamen Leichen im Keller.

Betrachtet man das Aufkommen der Filz- und Vetternwirtschaftsvorwürfe im zeitlichen Rahmen anderer Ereignisse, kann man erkennen, dass die Attacken gegen Graichen mit dem öffentlichen Bekanntwerden seines Gebäudeenergiegesetzes erst begonnen haben und sich mit der immer intensiveren Diskussion darüber auch immer mehr verschärften.

Die FDP hat sich mit ihrer Kritik daran besonders hervorgetan, erst der Parteitagsbeschluss, dass dieses Gesetz so nicht durchgehen dürfe, dann die durchaus nachvollziehbare Berechnung der Kosten, die mit 2,5 Billionen etwa beim Zwanzigfachen der Schätzung des Wirtschaftsministeriums landete.

Das wirkte durchaus so, als wolle die FDP jetzt den Anlass finden, die Koalition zu sprengen oder den gemeinsamen Kurs radikal neu zu setzen, wusste sie doch alle relevanten Verbände und eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich.

Es war aber nicht die FDP alleine. Auch die SPD begann die Wirkungen dieses Gesetzeswerkes zu fürchten, vor allem die Tatsache, dass als Starttermin der 1. Januar 2024 bestimmt war, zeigte jenen, die rechnen können, dass damit das größte Fiasko, das eine Bundesregierung jemals angerichtet haben würde, noch vor den nächsten Wahlen zum Deutschen Bundestag in voller Schönheit zu besichtigen sein würde.
Also forderte Karl Lauterbach schon einmal Ausnahmen für seine Krankenhäuser, die dann, um glaubhaft zu bleiben, natürlich auch auf die priaten Hauseigentümer hätten ausgeweitet werden müssen, und Saskia Esken parlierte über Hilfen und Zuschüsse und Unterstützungen, und dass niemand aus seiner Wohnung wegen der Wärmewende heraussaniert werden dürfe, so dass letztlich nur Einkommensmillionäre ihre Wärmepumpe hätten selber bezahlen müssen.

Selbst unter den Grünen gab es Warner vor dem Versuch, die Wärmewende mit Gewalt übers Knie zu brechen, und diese wurden, kurz bevor Graichens Schwester in die öffentliche Diskussion gezerrt wurde, auch noch mit dem Wahlergebnis von Bremen bestätigt.

Ob Habeck selbst eingesehen hat, dass ihm der Architekt der Wärmewende mit dem Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes ein faules Ei in den Korb gelegt hat, oder ob er von höherer Warte gedrängt wurde, um des eigenen Kopfes Willen die Reißleine zu ziehen, vermag ich nicht abschließend zu beurteilen. Dass Ricarda Lang, Omid Nouripur, Annalena Baerbock oder Katrin Göring-Eckardt ihn dazu gedrängt haben könnten, halte ich jedoch für ausgeschlossen. Olaf Scholz mag heilfroh gewesen sein, als Graichen ruhiggestellt wurde, denn damit war die Koalition fürs Erste noch einmal gerettet.

Das Gebäudeenergiegesetz wird kommen. Es wird in einer etwas abgespeckten Form kommen, vor allem aber wird es nicht 2024, sondern erst 2026  oder 2027 in Kraft treten. Um dies zu ermöglichen, musste Patrick Graichen gehen, der – wenn er selbst Abstrichen zugestimmt hätte – einen erheblichen Gesichtsverlust hätte hinnehmen müssen.

Mit der Verschiebung des Inkrafttretens hat die Ampel für den Rest der Legislaturperiode ihre Ruhe, und sollte sie danach weiterregieren, immerhin wieder vier Jahre Zeit für die Umsetzung eines längst beschlossenen und von der Öffentlichkeit schon wieder vergessenen Gesetzes. 

Und sollte es bei den nächsten Wahlen für die Ampel nicht mehr reichen, dann hat die Nachfolgeregierung, wie auch immer die aussehen mag, das Problem, die Grausamkeiten zu vollziehen, an der Backe.

Schönen Feiertag!