Strategievergleich: Kovac ./. Merkel

Der Unterschied in der Verantwortung zwischen dem amtierenden Trainer des Rekordmeisters FC Bayern München und dem amtierenden Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist gering.

Beide sind Inhaber der Richtlinienkompetenz. Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen dieser beiden Figuren können den Klassenerhalt gefährden. Der FCB in der zweiten Bundesliga, das wäre eine Katastrophe für den Verein, für München, für ganz Bayern, für den Deutschen Fußballbund. Ein Einnahmeverlust sondersgleichen, das vorzeitige Ende von Karrieren und die Beerdigung von Karrierehoffnungen, schlicht: Der Supergau.

Einen Abstieg, den muss sich ein Verein über die Jahre allmählich erarbeiten, damit alle Betroffenen und alle Profitierenden ausreichend Zeit haben, sich neu zu orientieren. Der HSV hat das zum Beispiel auf ganz und gar großartige Weise gelöst. Während der FC Nürnberg, sich ganz leicht damit tut, nach dem Aufstieg wieder abzusteigen, weil dies das für diesen Verein vollkommen natürliche Verhalten darstellt.

Bei einem gesunden Verein, der von Saison zu Saison der Tabellenspitze näher ist als den Abstiegsplätzen, funktioniert der Selbsterhaltungstrieb jedoch relativ gut. Ist ein Trainer nicht in der Lage, die Mannschaft so einzustellen, dass die in jedem einzelnen Spiel wenigstens das Notwendige leistet, ohne dabei so zu wirken, als sei sie gerade noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, wird der Vereinsvorstand den Trainer anhören, soweit möglich auf dessen berechtigte Forderungen eingehen, doch zugleich ein Ultimatum setzen, vorsichtig die Fühler nach einem Nachfolger ausstrecken, und wenn nicht rechtzeitig eine Aussicht auf nachhaltige Besserung zu erkennen ist, den Vertrag auflösen und ggfs. mit einem tränenden Auge eine horrende Abfindung auf den Tisch legen, so eine solche verabredet war.

Es geht um’s Überleben im gewohnten Milieu. Da sind Sentimentalitäten fehl am Platze.

Als Merkel  die Bundesrepublik von Schröder übernommen hat, der nach dem allmählichen Totalversagen Kohls an die Macht gekommen war, befand sich die „Mannschaft“ nach einer Rosskur namens Agenda 2010 in relativ guter Verfassung. Sicher, Schröder hatte am Ende die Fans verprellt, was ihm den Job kostete, doch statt hier zu versuchen, wieder Boden gut zu machen, hieb Merkel fleißig weiter in die gleiche Kerbe und begann zudem damit, ganz subtil gegen die Vereinsführung und die Sponsoren zu arbeiten und eine Figur nach der anderen kalt zu stellen.

So gelang es ihr, die Bundesrepublik von einem der ersten Tabellenplätze kommend, von Spielzeit zu Spielzeit ein Stück weiter in Richtung Tabellenkeller zu bewegen.

Beim FC Bayern hätte sie spätestens am Ende der zweiten Spielzeit wegen nachlassender sportlicher und wirtschaftlicher Erfolge, wegen nicht erkennbarer Zukunfts-Konzepte und einer gegen sie aufgebrachten Mannschaft ihre Koffer packen müssen.

Der Verein BRD hat sie jedoch gewähren lassen.

Setzt man – in der Analogie – die Spitzenpolitiker aller im Bundestag vertretenen Parteien mit dem Vorstand eines Fußballvereins gleich, dann muss man konstatieren, dass da offenbar nirgends jemand anzutreffen ist, der einen Missstand erkennt und benennt, dass niemand anzutreffen ist, der den Mut hat, den Trainer zu feuern, weil die Angst, oder sogar die Gewissheit, unter allen Kandidaten nur eine noch größere Pfeife auswählen zu können, jede Hoffnung auf Besserung unmittelbar wieder in sich zusammenbrechen lässt. Wo noch nicht einmal jemand zu finden war, der sich von sich aus um den Vorstand der SPD beworben und sich kraftvoll gegen mögliche Rivalen durchgesetzt hätte, zeigt sich doch das Dilemma von seiner allerpeinlichsten Seite.

Es ist ein Bild des Jammers. Die Blinden scharen sich schützend um die vermeintlich Einäugige, stolpern ihr nach, versuchen, bloß nicht den Anschluss zu verlieren, über Stock und Stein, durch Sumpf und Treibsand, vorwärts immer, rückwärts nimmer, wer stürzt oder versinkt, bleibt liegen, niemand nimmt Notiz davon. Ochs und Esel in ihrem Lauf …

Der HSV wäre längst in der Regionalliga Nordost angekommen und müsste bangen, vom ZFC Meuselwitz vernichtend geschlagen zu werden. Auf dem Spielplan der Republik stehen hingegen nur noch Erstrunden-Pokalspiele, aus denen die hoffnungsfroh aufgelaufenen Dilettanten Heiko und Annegret mit haushohen Niederlagen nachhause ziehen müssen, während die Richtilinienkompetente offenbar noch nicht einmal mitbekommen hat, dass da überhaupt eine Partie angepfiffen wurde und wohl glaubt, immer noch in der ersten Liga unangefochten die Tabelle anzuführen.

Hätte nie gedacht, dass die Bundespolitik einmal nur noch zu erklären sein würde, wenn man sie mit dem Fatalismus des Fans der abgestiegenen Mannschaft betrachtet, der dann gerne „von der schönsten Nebensache der Welt“ spricht, oder in brutaler Offenheit bekennt:

„Ist doch nur Fußball!“

(Schön wär’s!)