Nichts über Hanau

Ich weiß, ich sollte etwas über Hanau schreiben.

Die einen wünschen sich das, weil sie finden, es ergäbe sich damit eine gute Gelegenheit, mich von allem Möglichen zu distanzieren, was ich im Laufe der Jahre so von mir gegeben habe, und was ihnen, weil sie es nie wirklich sachlich widerlegen konnten, zum ewigen Stachel im Fleische geworden ist. Würde ich jetzt, angesichts der Gefahr, eine Mitschuld aufgeladen zu bekommen, widerrufen, könnten sie mich, wie zu ihren besten Zeiten, guten Gewissens als einen von den Dämonen befreiten Ketzer auf den Scheiterhaufen schicken. Nach allem, was ich weiß, ist das nicht weiter schlimm, denn man spürt vom Feuer praktisch nichts, weil man vorher am Rauch erstickt, oder wenigstens  wegen Sauerstoffmangel bewusstlos geworden ist.

Die anderen wünschen sich das, weil sie finden, würde ich mich dazu jetzt äußern, ohne in das von den anderen erwünschte „Mea Culpa, mea maxima culpa!“ auszubrechen, würde ich damit auch ihnen Entlastung verschaffen, ganz unabhängig davon, wie weit ihre Auffassungen, Überzeugungen und Zielsetzungen von den meinen auch immer abweichen mögen.

Die Dritten  hoffen, ich würde, gefangen in dieser Zwickmühle, meinen Kopf tief in den Sand stecken und verbissen schweigen, bis sich der Sturm gelegt und die Wogen geglättet haben, das würde immerhin ausreichen, mich als Feigling hinzustellen, der, wenn es darauf ankommt, nur den eigenen Kopf retten will.

Nehme ich die alle zusammen, dann komme ich, unter Berücksichtigung meiner bescheidenen Reichweite, auf einen Anteil von vielleicht einem Hundertstel Promille der erwachsenen deutschen Bevölkerung, und das ist, so weh mir die Erkenntnis meiner Bedeutungslosigkeit in der Seele auch tut, nichts, absolut nichts, was für den Gang der Dinge auch nur einen Hauch von Relevanz hätte.

Dieses egozentrische Statement ist aber nicht alles, was mir zu Hanau einfällt, und es trifft sich gut, dass Frau Christine Lambrecht, Nachfolgerin des allseits geschätzten und gepriesenen Heiko Maas im Amte des Justizministers, nach einer Schamfrist von ziemlich genau zwei Jahren, für die – wegen der Causa Böhmermann zur Düpierung des türkischen Präsidenten erforderlich gewordene – Aufhebung des Strafrechtsparagraphen „Majestätsbeleidigung“ endlich den dringend notwendigen Ersatz geschaffen hat, der es glücklicherweise unmöglich macht, straflos davonzukommen, wenn man über das Staatsoberhaupt, über Bundes- und Landespolitiker und nun auch über Kommunalpolitiker andere Informationen zu verbreiten versucht, als diese in ihren Wahlwerbebotschaften selbst öffentlich machen.

Das bewahrt mich nicht nur an diesem Vorfrühlings-Freitag-Vormittag, sondern bis zur Änderung der Rechtslage durch eine geeignete und grundgesetzaffinere Nachfolgeregierung  davor, mir hochverwickelte Gedanken über Formulierungen zu machen, die einerseits zum Ausdruck bringen, was ich denke, andererseits aber keinerlei Ansatzpunkt für legale strafrechtliche Ermittlungen bieten. Selbstverständlich weiß ich, dass es in diesem unserem Lande ausschließlich „legale“ strafrechtliche Ermittlungen gibt, doch halte ich es für sinnvoll, dies immer wieder explizit zu betonen, um nicht durch Unterlassung in den Ruch zu gelangen, ich könnte unter Umständen zum Ausdruck bringen wollen, es gäb auch (igitt-igitt!) illegale.

Ebenso wird es sich vermutlich in Hinkunft als unumgänglich  erweisen, bei Nennung eines Politikers, der sich dem demokratischen Spektrum zurechnet und von seinen Parteigenossen (bzw. in anderen Parteien „von anderen Mitgliedern“) nicht parteischädlichen Verhaltens geziehen und nicht als außerhalb des demokratischen Spektrums stehend angesehen wird, dem Namen das Suffix „dinzvvozbdah“ anzuhängen. Das ist eine noch vollkommen ungebräuchliche Abkürzung für „den (die/das) ich niemals zu verleumden, verunglimpfen oder zu beleidigen die Absicht hätte“, von der jedoch angenommen werden kann, dass sie an den  Politikern des demokratischen Spektrums ebenso haften bleiben wird, wie die Abkürzung „populistisch“, von der ich allerdings noch nicht herausgefunden habe, für welchen Langtext sie stehen könnte, an den Politikern des anderen Spektrums wie eine jederzeit zündfähige Haftmine haftet. Die Weglassung dieses Suffix bei Nennung des Namens von Politikern aus dem demokratischen Spektrum wird in wenigen Wochen vermutlich bereits als beleidigend angesehen werden, in besonderen Fällen auch den Verdacht der Üblen Nachrede begründen können.

Da nun – nach grober Sichtung aller Stellungnahmen zu Hanau – alle Politiker, dinzvvozbdah, von Herrn Bundespräsident Steinmeier, dinzvvozbdah, angefangen, über Frau Angela Merkel, dinzvvozbdah, Herrn Lars Klingbeil, dinzvvozbdah, Herrn Volker Bouffier, dinzvvozbdah, und wie die Damen und Herren, dinzvvozbdah, alle heißen, zu der Auffassung gelangen, die Toten und Verletzten von Hanau seien – entweder zur Gänze oder zumindest überwiegend anteilig – der Hetze der AfD geschuldet, kann dies nach den Spielregeln unserer Demokratie nur bedeuten, dass diese Mehrheitsmeinung zugleich die gültig festgestellte Wahrheit ist.

Welche Verbindungen es zwischen der Afd und Tobias Rathjen gegeben hat, ob Gelder geflossen sind oder logistische Hilfe geleistet wurde, wird sich nur feststellen lassen, wenn die AfD endlich, wie es von Herrn Lars Klingbeil, dinzvvozbdah, und vielen anderen Politikern aus dem demokratischen Spektrum, dinzvvozbdah, seit Jahren gefordert wird, endlich wirklich vom Verfassungsschutz überwacht wird. Nachdem Hans-Georg Maaßen dort nicht mehr seine schützende Hand über die Gaulands, Meuthens, Höckes und Weidels halten kann, sollte das ja nun wirklich kein Problem mehr darstellen, zumal diese Überwachung von Vorfall zu Vorfall, beginnend mit den NSU-Morden (dass zu der Zeite viele spätere AfD-Mitglieder noch in der CDU, dinzvvozbdah, waren, die damals auch noch keiner Werte-Union bedurfte, darf dabei keine Rolle spielen), immer alternativloser wird.

 

Die Morde von Hanau sind ein abscheuliches Verbrechen, das durch nichts zu rechtfertigen ist.

Die Tatsache, dass der Täter sich selbst gerichtet hat, deutet darauf hin, dass er sich dessen bewusst war. An der Schwere der Schuld ändert das nichts.

Auch wenn heute noch nichts darauf hindeutet, dass es sich nicht um einen Einzeltäter gehandelt hat, sind alle Umstände, die zur Tat führten, peinlichst aufzuklären.

Das gesamte persönliche Umfeld des Täters ist zu überprüfen und auf Kontakte in die rechtsextreme Szene hin zu durchleuchten.

Den Todesopfern und ihren Angehörigen gilt mein tiefes Mitgefühl.

Den Verletzten wünsche ich baldige physische Genesung und jede Hilfe bei der Überwindung der psychischen Schäden, die sie zweifellos davongetragen haben.

 

Für die maximale parteipolitische Instrumentalisierung des Terroraktes schäme ich mich stellvertretend für alle Nutznießer.