Haltungsethik

Früher war Ethik stets Verantwortungs-Ethik.

Die Verantwortungsethik stand im Gegensatz zur Gesinnungsethik. Der Unterschied ist relativ leicht umschrieben:

Verantwortungsethik wägt ab. Gesinnungsethik will entweder alles, oder, im anderen Fall, nichts.

Verantwortungsethik ist rational. Gesinnungsethik ist emotional.

Nun hat die Ethik eine neue Wandlung erfahren.

Ich nenne das Ergebnis: Haltungsethik.

Haltungsethik ist weder rational, noch emotional, sie ist devotional.

Haltungsethik hat weder einen eigenen, inneren Kompass, wie die Gesinnungsethik, noch einen logisch-analytischen Verstand, wie die Verantwortungsethik, stattdessen feine Antennen dafür, was von ihr erwartet wird, sollte sie gefragt werden. 

Dass Regierende seit geraumer Zeit nicht mehr ohne die Inanspruchnahme von Beratungsleistungen auskommen, und sich zum Beispiel in Wirtschaftsfragen an der Beurteilung des Sachverständigenrates orientieren, ist so richtig schlagzeilenträchtig erst durch die Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen öffentlich geworden, die sich oft bei McKinsey Hilfe holte, wo sich – aber das ist sicherlich ein Zufall – auch ihr Sohn verdungenen hatte.

Offenbar ist den Regierenden auch in Sachen Ethik nicht ganz wohl in ihrer, nur allzuoft von der Lebenswirklichkeit weit entfernten Rolle, so dass sie sich des Ethik-Rates bedienen, in dem Ethik-Ratende sich dafür zuständig fühlen, ihren Auftraggebern ethisch einwandfreies Verhalten (Ver-Halten – Haltung …) zu attestieren.

Was ist nun aber der Deutsche Ethikrat? Zunächst einmal ist der Deutsche Ethikrat die umbenannte Nachfolge-Organisation des ehemaligen „Nationalen Ethikrates“. Das ist am 11. April 2008 passiert. Der erste, der „Nationale Ethikrat“, wurde 2001 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Schröder installiert. Für den „Deutschen Ethikrat“ wurde dann das Ethikrat-Gesetz geschrieben und darin festgelegt, dass der Präsident des Deutschen Bundestages die Mitglieder ernennt, und dass diese ihre Stellungnahmen auf Grund eigenen Entschlusses, im Auftrag des Deutschen Bundestags oder im Auftrag der Bundesregierung zu erstellen haben, die allerdings nicht veröffentlicht werden dürfen, solange sie nicht dem Deutschen Bundestag und der Deutschen Bundesregierung zur Kenntnis zugeleitet worden sind.

In der letzten Bestimmung lässt sich ein gewisses Misstrauen der ersten GroKo unter Merkel erkennen, dahingehend, dass die Ethik eventuell zu ethisch sein und dem Regierungswillen zuwider laufen könnte. Genau das mag aber auch die Ursache dafür gewesen sein, dass die im Ethikrat erarbeitete Ethik sich nach und nach zu jener Haltungsethik entwickelt hat, die momentan in Reinkultur zu bestaunen ist.

Die oberste Ethikfinderin im Ethikrat ist dessen Vorsitzende, Prof. Dr. med. Alena Buyx.

Die Vorsitzende des Ethikrates hat sich jüngst zu der freien Entscheidung des Fußballers Joshua Kimmich, sich vorläufig noch nicht gegen Corona impfen zu lassen, geäußert. Wie die Tagesschau in ihrem Online-Auftritt berichtet, kam sie gegenüber dem Sender Sky zu dem ethischen Schluss, sie hoffe, dass sich Joshua Kimmich doch noch für eine Corona-Impfung entscheidet. Joshua Kimmich sei einer Falschinformation aufgesessen und ganz schlecht beraten. Weil Kimmich ein Vorbild ist, dem Millionen Menschen zuhören, komme es jetzt darauf an, gut aufzuklären, dass es diese Form von Langzeitwirkungen nicht gibt. Dass die Leute jetzt nicht denken, weil er Sorge hat, muss ich auch Sorge haben.

Welche Art von Ethik ist das?

Es ist Haltungsethik. Haltungsethik, die ihre Zustimmung zur gewünschten Haltund schon alleine durch das Verb „hoffen“ zum Ausdruck bringt. Sie hofft, dass Kimmich sich doch noch „richtig“, nämlich für eine Impfung entscheidet.

Und warum hofft sie das? Sie hofft es, weil sie fürchtet (!), dass Kimmichs Verhalten „die Leute“ zum Nachdenken bringen könnte. Das erinnert schmerzlich an die Vereinbarung zwischen König und Bischof: „Halt du sie dumm, ich halt sie arm“.

Nur zur Erinnerung: Auf ihrer Visitenkarte weist sich Alena Buys sich als Doktor der Medizin aus.

Wäre ihre Ethik Verantwortungsethik, könnte sie die von Kimmich angesprochenen, ungeklärten Langzeitwirkungen nicht einfach so vom Tisch wischen. Zur Erkundung möglicher Langzeitwirkung war für diese neuartige Klasse von Impfstoffen im Entwicklungsprozess überhaupt keine Zeit, davon zeugt unter anderem die nur bedingte Zulassung, davon zeugen auch die Haftungsfreistellungsklauseln der Hersteller, die weder die Wirksamkeit garantieren, noch bisher unerkannte Neben- und Langzeitwirkungen auf ihre Kappe nehmen wollen. Außerdem hätte Alena Buys, unter dem Aspekt der Verantwortungsethik die Abwägung Kimmichs nachvollziehen müssen und das Risiko einer Infektion mit schwerem Verlauf dem Risiko, eine der vielen inzwischen bekannten, durchaus schwerwiegenden Nebenwirkungen zu erleiden, gegenüberstellen müssen. Das hat sie nicht im Ansatz getan. Im Gegenteil, sie hat die Informationen, die Kimmich in seine Entscheidung einbezogen hat, als „Falschinformationen“ abgewertet. Verantwortungsethik sieht anders aus. 

Wäre die Ethik von Frau Buys Gesinnungsethik, dann hätte sich nicht sagen dürfen, sie hoffe. Gesinnungsethik hat einen imperativen, nicht selten fanatischen Charakter. Sie hätte Kimmich, wenn schon nicht als Massenmörder, so doch zumindest als Charakterschwein darstellen müssen. Einer, der um eines vermeintlichen egoistischen Vorteils willen in Kauf nimmt, dass sich „die Leute“ nicht impfen lassen und qualvoll sterben müssen. Das hat sie nicht im Ansatz getan. Im Gegenteil, sie hat herumgeschwurbelt von der freien Entscheidung, und – und jetzt kommt’s – ganz unabhängig von Kimmich betont, dass es jetzt darauf ankomme, gut aufzuklären, dass es diese Langzeitwirkungen nicht gebe. Ein Aufruf an die Regierung, an die regierungsnahen Medien, an alle Multiplikatoren, Haltung zu zeigen und die Parole: „Die Impfung wirkt und sie ist sicher“, schnell wieder vom Schmutz reinzuwaschen, mit dem sie Kimmich mit seinen „Langzeitwirkungen“ besudelt hat.

Es ist weder Gesinnungsethik, die ich zwar grundsätzlich nachvollziehen, aber da, wo sie zu anderen Ergebnissen als die Verantwortungethik kommt, als falsch, ja sogar als gefährlich einordne, noch ist es Verantwortungsethik, denn dafür ist die Argumentation nicht nur zu dünn, sondern sogar auf eine gefährliche Weise faktenvergessend unbegründet.

Es ist

– und damit begrabe ich mit den gerade eben geschaffenen Begriff „Haltungsethik“ wieder auf dem Friedhof der in sich paradoxen Kategorien

überhaupt keine Ethik.

Es ist ein serviles Andienen an das herrschende, herrschsüchtige Narrativ.

Und darauf ist gepfiffen.