Gute Soldaten – schlechte Soldaten

Traumatisierung – Radikalisierung

Seit die Wehrpflicht ausgesetzt ist, abgeschafft ist sie ja nicht, sind Kritik und Zweifel an der Loyalität der Soldaten an der Tagesordnung. Dass die Bundeswehr unter Personalmangel leidet und diesen trotz aller aufwändigen Werbemaßnahmen nicht beheben kann, verwundert schon alleine aus diesem Grunde nicht.

Mit dem Ende des Krieges in Afghanistan kocht das alles wieder einmal  hoch. Die Tageschau titel heute in ihrem Online-Angebot tagesschau.de:

Sorge vor Radikalisierung von Veteranen

Darunter ein Sammelsurium von Ansagen, deren Widersprüchlichkeit sich allerdings nur erschließt, wenn man jenen wichtigen Aspekt in die Betrachtung einbezieht, der in diesem Bericht, wie in so vielen anderen, einfach nicht vorkommt.

Nach zwanzig Jahren Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan haben die dort eingesetzten Truppen erstmals überhaupt einen klaren Auftrag mit einem – wenn auch nur schwammig – beschriebenen Ziel:

So viele Deutsche und „Ortskräfte“ evakuieren,
wie möglich.

Doch auch in diesem Auftrag zeigt sich die Schwäche der zivilen Führung  der Bundeswehr. Da wird den Soldaten ein „unbestimmter Möglichkeitsraum“ angeboten, innerhalb dessen sie sich bewegen sollen und den auszuloten man ihnen selbst überlässt.

Welcher Bundeswehrkommandant, der vor Ort die Befehle erteilt, würde es bei diesem Auftrag wagen, aus dem Schutzbereich des Flughafens in Kabul auszubrechen, die Kontrollposten der Feinde unter massivem Feuer zu eliminieren, zu den zu Evakuierenden durchzudringen und sie, wieder unter massivem Feuer und unter unvermeidlichen eigenen Verlusten in den Flughafenbereich und zu den wartenden Maschinen zu bringen?

„Das“, würde Heiko Maas wohl sagen, „war mit so viel wie möglich nicht gemeint. Das torpediert meine Verhandlungen mit den Taliban über eine Verlängerung der Evakuierungsmaßnahmen“, und Annegret Kramp-Karrenbauer würde den verantwortlichen Kommandeur vermutlich wegen Kompetenzüberschreitung seines Kommandos entheben, ihn degradieren und zum Kartoffelschälen in die Truppenküche des Heeresmusikkorps abkommandieren.

Das ist das Dilemma.

Vor diesem Hintergrund muss man die Besorgnis des Vorsitzenden des Bundes Deutscher Einsatzveteranen, Bernhard Drescher, sehen, altegediente Veteranen könnten sich radikalisieren.

Seine Wortwahl und der Hinweis auf die Abwanderung zu anderen, „rechtsorientierten“ Veteranenverbänden, sowie die politisch hochkorrekten Sätze im Leitbild des Vereins, lassen vermuten, dass derBund Deutscher Einsatzveteranen gerne das Wohlgefallen der politischen Führung auf sich ziehen möchte.

Die Warnung vor einer möglichen Radikalisierung lässt dann auch das Objekt des Zorns unbenannt. Stattdessen werden subjektive Befindlichkeiten der Soldaten angeführt:

  • Die Stimmung unter den Veteranen ist grottenschlecht.
  • Sie haben das Gefühl, dass ihre Belange noch nie interessiert hätten.
  • Sie haben den Eindruck, dass ihre Arbeit zunichte gemacht werde.
  • Sie nehmen die Vorgänge hochemotional auf.

Beschreibt man so eine Truppe, die berechtigten Anlass zu Kritik, Beschwerde und Aufbegehren hat, oder wird hier das Bild von unreifen, psychisch labilen Personen gezeichnet, die ihre Emotionen nicht unter Kontrolle haben und intellektuell nicht in der Lage sind, die weisen Entscheidungen der Führung nachzuvollziehen?

Eva Högl, die Wehrbeauftragte, die ihre Aufgabe von Anfang an primär darin sah, „das Rechte“ in der Bundeswehr auszumerzen, hat die Antwort auf diese Frage gegeben, als sie bekundete, es brauche mehr Traumatherapien für aktive Soldaten und Afghanistan-Veteranen. „Seelische Belastungen, Traumata aus dem Einsatz – das muss ganz intensiv nachbereitet werden.“

Eine wunderbare Ablenkung von den tatsächlichen Ursachen!

Etwa 150.000 Bundeswehrangehörige haben während der letzten 20 Jahre rollierend Dienst in Afghanistan getan. 59 davon haben ihren Einsatz nicht überlebt.

Alleine dieses Zahlenverhältnis von etwa 1 : 2.500 wirft die Frage auf, wie viele Bundeswehrsoldaten überhaupt Gelegenheit hatten, potentiell Traumatisierendes zu erleben, und wie viele davon dies tatsächlich nicht verarbeiten konnten und daher mit postraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen haben.

Ich bin Jahrgang 1949. Mein Vater war von 1939 bis 1945 mit der Wehrmacht auf Europa-Tour. Frankreich, Russland, die Krim. Er hat es heil überstanden. Ein Onkel kam als Spätheimkehrer erst zehn Jahre nach Kriegsende aus russischer Gefangenschaft zurück. Viele ältere Kollegen, die ich an meinen ersten Arbeitsstellen kennenlernte, hatten den Krieg an der Front miterlebt, ältere Kolleginnen berichteten von den Erlebnissen der Bombennächte. Meine Mutter berichtete oft davon, wie sie im Mai 1945 ängstlich schlotternd mit der weißen Fahne in der Hand, die Brauerei, in der sie damals beschäftigt war, an die Amerikaner übergab, weil sie als einzige nicht wusste, wohin sie hätte flüchten sollen.

Der Krieg war kein Dauerthema in den 50er Jahren, aber an den Geburtstagen der Gefallenen und der im Bombenhagel Gestorbenen, auch mal zu Weihnachten, wurden noch bis in die 60er Jahre die Geschichten vom Krieg erzählt. Man erinnerte sich an die Toten und war zugleich froh, selbst überlebt zu haben. Traumata? Das war kein Thema.

Man war seinerzeit mit dem Tod und den hässlichen Bildern vertraut. Nein, man kann das nicht „abgestumpft“ nennen. Es war schlimm, aber es gehörte zum Leben in jenen Kriegsjahren genauso dazu wie Lili Marleen.

Während meiner Grundausbildung in Roth bei Nürnberg wurden uns frisch Eingezogenen alte Wehrmachtsfilme von der Front gezeigt. Ein paar Szenen davon haben sich mir bis heute eingeprägt. Da war eine Flugabwehrstellung mit mehreren Geschützen vom Typ 8.8 mit ordentlich aufgeschütteten Wällen, Munitionskisten und den Bedienmannschaften, die Granaten heranschleppten, in den vom letzten Abschuss noch rauchenden Verschluss stopften, während der Richtschütze das Rohr neu ausrichtete und ein anderer im richtigen Moment den Schuss auslöste, während die nächsten Granaten herangeschleppt wurden. Beschossen wurden dabei nicht Flugzeuge, sondern im Bodenkampf feindliche Panzer,  deren Besatzungen sich nach Kräften zur Wehr setzten. Unter dem Dauerfeuer sowohl feindlicher Artillerie- und Panzerkanonen und großkalibriger Maschinengewehre krachte es jeden Augenblick. Der Dreck spritzte bei den Einschlägen meterhoch auf, und die Männer an den Geschützen arbeiteten davon vollkommen unbeeindruckt, mit hoher Geschwindigkeit, aber ruhig und ohne jede Hektik.

Wie viele der Bundeswehrsoldaten mögen in Afghanistan vergleichbare Situationen wohl erlebt haben?

Die Wut im Bauch der Veteranen ist keine „grottenschlechte Stimmung“.

Sie haben auch nicht das Gefühl, dass ihre Belange nie interessiert hätten, sondern sie haben dieses Desinteresse während des Einsatzes immer wieder gerade so erlebt. Sie haben nicht den Eindruck, dass mit dem überhasteten Abzug ihre Arbeit zunichte gemacht würde. Die letzten, die noch vor Ort sind, erleben die Zerstörung ihrer Arbeit hautnah mit.

Dass sie die Vorgänge sehr emotional aufnehmen, ist richtig, nur dass ihre Emotionen nichts mit dem zu tun haben, was heute als „emotional“ gilt und doch nur extrovertierte Gefühlsduselei ist, die vom Psychiater einfühlsam behandelt wird, sondern dass ihre Emotionen Zorn und Wut sind, weil sie sehen, dass ihr Einsatz nie ein anderes Ziel hatte, als eben als Bundesrepublik Deutschland irgendwie mit dabei zu sein, wenn die Amis ihr Ding machen, und dass wirklich alles, was in diesen 20 Jahren geschehen ist, vollkommen für die Katz war, und dass man nicht einmal soviel Anstand gezeigt hat, die Evakuierung der deutschen Zivilisten und afghanischen Hilfskräfte einzuleiten, als das Zeitfenster dafür noch offen stand.

Diese Empörung nun als Indiz zu nehmen, es drohe eine Radikalisierung und ein Abrutschen in die rechte (Veteranen-)Szene, und die Empörten zu psychisch Kranken zu machen, die mit Traumatherapien auf den rechten Weg zurückgeführt werden müssten, das ist der Skandal dessen, was von der einst wegweisenden „Inneren Führung“ übrig geblieben ist.

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan.
E
r möge sich jetzt doch bitte in psychiatrische Behandlung begeben,
so er ernsthafte Schwierigkeiten vermeiden will.