Glücklich sein mit Klaus Schwaf

Ich hatte diese Nacht einen langen, intensiven Traum, an dem ich mich auch noch nach dem Aufwachen ganz genau erinnern konnte. Inzwischen sind ein paar Stunden vergangen, doch der Traum ist immer noch existent. Nein, ich bin kein Prophet, der die Warnungen höherer Instanzen im Schlaf empfängt. Ganz bestimmt nicht. Es war nur ein Traum, auch wenn er seltsam lange präsent geblieben ist. Vielleicht träumen Sie diesen Traum ja auch schon lange, vielleicht halten Sie ihn für einen Albtraum. Falls ja, können wir unsere Traumerlebnisse ja gelegentlich abgleichen.

Hier mein Gedächtnisprotokoll:

Ich hatte meine Schlafzelle, 2 Meter lang, 80 Zentimeter breit, 80 Zentimeter hoch, die sich in der dritten Etage des öffentlichen Schlafcontainers am Stadtrand von Olching, gleich neben dem Pendlerparkplatz befand, ohne Leiter und ohne Knochenbruch verlassen. Wie gewohnt verschloss sich die Zelle von selbst wieder, um den 12-minütigen Selbstreinigungsprozess durchzuführen, damit der nächste Benutzer den Schlafplatz wieder sauber, desinfiziert und geruchsneutral vorfinden würde.

„Dusche, frische Wäsche, Arbeitsanzug“ sagte ich, und hielt dabei die Stelle an meinem linken Unterarm, wo der Universalchip eingepflanzt war, der mein Leben leichter macht, dicht  vor meinen Mund.

Es dauerte nur wenige Minuten, dann hörte ich das leise Surren der Drohne über mir. Die milchig-graue  Duschkabine, eigentlich nur eine Art Foliensack, senkte sich über mich und sagte zu mir: „Bitte schließen Sie den Bodenreißverschluss der Duscheinheit.“ Es war ziemlich umständlich, den Reißverschluss zu verschließen, weil der Boden des Duschsacks ja unter beide Füße muss. Aber ich habe es geschafft. Nun sprach der Duschsack zu mir:  „Bitte entkleiden Sie sich zügig. Ihre Duschzeit beginnt in 90 Sekunden.“ Glücklicherweise ließ sich der beim Einchecken  in die Schlafzelle bereitgestellte Universal-Pyjama relativ schnell vom Körper reißen. Ich stopfte ihn in die Seitentasche des Duschsacks, die mit „Waste“ beschriftet war, und da kam das Wasser auch schon. Gefühlte 17 Grad Celsius. Nach dem ersten Schock war ich froh, dass der Vorgang nicht länger als 10 Sekunden gedauert hatte. Das waren maximal drei Liter Wasser, über feine Düsen überall hingespritzt. Ich kam mir vor,  als befände ich mich im Inneren einer Spülmschine, wie es sie in meiner Kindeheit in den Privathaushalten noch gab. Aber das war noch nicht der vollständige Duschprozess. Angkündigt vom Duschsack wurde ich zuerst mit einem selbsttätig reinigenden Seifennebel eingesprüht, der nach kurzer Einwirkzeit mit einer zweiten Portion kalten Wassers abgespült wurde. Der Sack sagte zu mir: „Bitte verlassen Sie die mobile Duschkabine über die seitliche Öffnung.“ Tatsächlich öffente sich ein Spalt, den ich vorher nicht gesehen hatte. Ich trat also ins Freie. Der Spalt schloss sich hinter mir und die Drohne entfernte sich mit leichtem Surren.

Ich stand also splitternack und noch leicht feucht auf dem freien Platz vor den in Reih und Glied aufgestellten Schlafzellencontainern und fragte mich, was wohl jetzt mit dem Pyjama im Duschsack und dem Duschwasser, das ja aufgefangen worden war, weil ich den Reißverschluss am Boden verschlossen hatte, geschehen würde.

Es war das erste Mal in diesem Traum, dass ich mir bewusst eine Frage stellte, und ich war – trotz der sonderbaren Umgebung, in die ich mich hineingeträumt hatte – überrascht, als mein Chip sich mit der Antwort meldete. Man kann sich das schwer vorstellen. Es öffnet sich irgendwie ein innerer Vorhang, als hätte man einen Fernseher eingeschaltet, nur eben innen drin, im Kopf, draußen war ja nichts, und dann tauchte die Antwort auf. Es war eine geschickte Animation. Ein dicklicher Mann im schwarzen Anzug baute sich vor mir auf, und ich erkannte darin eine lebensechte Kopie des Meisters, Klaus Schwaf. Seine Stimme sprach zu mir:

„Good morning, poor man. You must know, that I have made the space technology available to all the dispossessed people on earth. That, what helps the crews of our spaceships and space stations to keep them clean, is now also for your use. Your pyjamas will be washed in your shower water. The shower water is purified, the soap is extracted. This is done completely without loss. A shower drone has a life expectancy of two years and completes 96 shower cycles a day without ever needing to replace the water. Be happy, Dispossessed!“

Als der Spuk vorbei war, und ich mich umschaute, stellte ich fest, dass da noch hunderte Nackter mit mir herumstanden. Ein sehr alter Mann, der vielleicht zwei Meter, halbrechts, von mir entfernt stand und vor Kälte zitterte, bekam plötzlich eines zornesroten Kopf, seine Halsschlagader schwoll mächtig an, und dann begann er zu fluchen, halblaut nur, aber so dass ich es verstehen konnte: Das ist also das Glück der Besitzlosen! Der Teufel soll dich holen, Schwaf, du …“

In meinem Kopf ging wieder der Vorhang auf. Was der alte Mann noch sagte, konnte ich nicht mehr hören. Der dickliche Mann erschien mir wieder und erzählte mir frohgemut: „It’s nothing. You have heard nothing and seen nothing. Klaus Schwaf cleans your memory. Just one second.“

Im Traum habe ich dann tatsächlich nichts mehr gewusst, und der sehr alte Mann war auch nicht mehr da, als ich mein Bewusstsein wieder für mich hatte. In meiner Erinnerung an den Traum ist aber immer noch alles da, so präsent, als geschähe alles jetzt, in dieser Sekunde.

Danach dauerte es immer noch Minuten. Die Leute, die da nackt um mich herumstanden, begannen zu nießen, schneuzten in die Hände, weil ja weder Wäsche, noch Anzug, vor allem aber keine Taschentücher geliefert worden waren. Aber trotz der sehr unangenehmen Situation sah ich überall um mich herum nur fröhliche, glückliche Gesichter.  Während ich diesen Eindruck noch auf mich wirken ließ, rempelte mich ein Nachbar sanft an und flüsterte: „Mensch! Sei glücklich! Denk an deinen Kontostand. Wir hier auf der Abschaumhalde, wir können es uns nicht leisten, auch nur einen Sozialpunkt zu verlieren.“ Es dauerte einen Augenblick, bis ich die Botschaft verstanden hatte. Dann setzte ich ein versonnen-glückliches Lächeln auf. Gerade noch rechtzeitig. Ein Infrarot-Blitz zuckte über das Areal. 

Schon wieder knallte der Vorhang vor meinem Kopfkino auf und der dickliche Mann sprach, offenbar zu allen, die da in der Kälte standen:

„The Happyness Scan just performed yielded the following result:
11 beings, very good, plus 2 points
861 beings, good, no point deduction
17 beings, unsatisfactory, 2 points deduction
1 being, rebellious, liquidation already done.“

Mitten im Traum dachte ich: „Das ist nicht echt, das träumst du bloß.“ Aber so sehr ich mich auch bemühte, aufzuwachen und aufzustehen und erst einmal richtig warm zu duschen: Ich musste erkennen, dass ich das alles vollständig wach erlebte und offenbar nur eine Chance hatte, aus der misslichen Situation herauszukommen, wenn ich allem, was da auf noch auf mich zukommen sollte,  permanent glücklich lächelnd begegnen würde.

Es ging auch gleich wieder los. Eine Lautsprecherstimme gab bekannt: „Der Verteil-Express fährt in einer Minute ein. Räumen Sie den Gleisbereich. Bewahren Sie Ruhe beim Einsteigen. Der Fahrpreis wird beim Einsteigen abgebucht. Sollte ihr Schwaf-Taler Konto keine Deckung aufweisen, verlieren Sie zwei Sozialpunkte.“

Die Szenerie hatte sich unmerklich gewandelt. Tatsächlich wirkte jetzt alles wie ein Bahnhof. Etwa 20 offene Güterwaggons rollten an und kamen quietschend zu Stehen. Ein uniformierter Bediensteter stieg vom ersten Wagen. Mit einer Art Reitgerte tippte er fünfzig Mann von uns an. Dabei sagte er jedesmal: „Treideldienst links“, oder, „Treideldienst rechts“, und die so Angesprochenen begaben sich links und rechts neben den Zug und legten sich mit glücklichen Gesichtern eine Art Gurtzeug an, das an den Waggons befestigt war, während die anderen, mit glücklichen Gesichtern auf die Waggons kletterten.

Ein Pfiff des Uniformierten, und die Männer vom Treideldienst legten sich schwer in die Riemen. Langsam setzte sich der Zug in Bewegung.

Tut mir leid.

Den Traum nachzuerzählen strengt mich doch sehr an. Ich schreibe morgen weiter.