Zuletzt habe ich aus meinem Traum erzählt, dass ich quasi doppelt war. Einmal als Beobachter, irgendwie von oben, und einmal als das Original, mit beiden Beinen fest auf der Erde, beziehungsweise – zu exakt diesem Zeitpunkt – mit beiden Beinen eingeklemmt im Jeep, dessen Motorhaube beim Aufprall auf die Mauer des Nachbarhauses doch etwas kürzer geworden war.
Wenn ich jetzt von mir erzähle und „ich“ sage, dann ist immer dieser Beobachter gemeint, der das Geschehen aus sicherer Distanz verfolgt. Die Person, die ich beobachte, nenne ich der Einfachheit halber „mein Double“. Schließlich bin ich in diesem Traum ab diesem Zeitpunkt so etwas wie unser beider waches Bewusstsein, während mein Double aus seiner Froschperpektive naturgemäß sehr viel weniger von dem mitbekommt, was um ihn herum vorgeht.
Ich hatte also gesehen, dass er im Jeep eingeklemmt war. Nicht so, dass er dabei ernsthaft verletzt worden wäre. Halt ein bisschen gequetscht, aber eben auch so, dass er sich aus eigener Kraft nicht befreien konnte. Ich stellte mir auch vor, dass solche Befreiungsversuche, würde er sie denn ernsthaft unternehmen, ziemliche Schmerzen verursachen würden. Mit tat nichts weh. Keine Phantomschmerzen, oder so. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich überhaupt einen Körper hatte, vermied es aber dies zu überprüfen. Was heißt, ich habe es vermieden? Es ging einfach nicht, es war, als sei ich nur Auge und nicht in der Lage, mich selbst zu erblicken. Das hat mich aber während des Traumes überhaupt nicht aufgeregt. Das war eben so und es war richtig so.
Aber der Reihe nach.
Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, im Traum spielt die Zeit ja keine so große Rolle, rückblickend kommt es mir jedoch sehr kurz vor, bis ich den Blick von meinem eingeklemmten Double da unten ablöste. Er war mir egal. Der Idiot. „Warum hatte er sich nicht geschmeidig gemacht? Es war doch klar, wie man in diesem Lande auf die schiefe Bahn gerät. Geschieht ihm nur recht.“ Ich fühlte mich überlegen, klug, schlau, anpassungsfähig. Mir würde das nie passieren.
Ich kam zu dem Schluss, dass mich der Kerl da unten, der im Jeep Eingeklemmte, nichts mehr angeht. Ja, es war ein herrliches Gefühl des Glücks, mich auch von ihm zu lösen, und so stieg ich höher und höher. Die Welt da unten wurde kleiner und kleiner. Ich ließ mich treiben – meinte ich – gelangte schließlich über die Alpen, blickte hinunter auf schneebedeckte Gipfel und war bereit, mich aufzulösen, im Fönwind zu zerfließen und auf ewig mit den Wolken um die Welt zu ziehen, da wurde ich angesprochen.
„Schön, dass Sie es einrichten konnten.“
Die Stimme kam mir bekannt vor. Aber meine Erinnerung reichte nicht so weit zurück, um sie noch zuordnen zu können. Nur, dass ich sie nicht mehr bedrohlich empfunden habe, das war es, worüber ich mich einen Moment lang wunderte.
„Ja. Ich weiß nicht …“, antwortete ich, denn irgendwie wusste ich wirklich nichts mehr.
„Kommen Sie nur. Folgen Sie mir. Wir sind, wie immer, da, wo’s am schönsten ist.“
Abrupt fand ich mich im Dämmerlicht eines von tausend Kerzen erleuchteten, fürstlich eingerichteten Saales wieder. Menschenähnliche Gestalten lümmelten in großer Zahl auf bequemen Sitz- und Liegemöbeln, auch auf den Teppichen fanden sich welche, teils zusammengerollt, teils sich schlängelnd auf das kleine Podium in der Mitte zu bewegend, von dem aus ich die Szenerie interessiert beobachtete.
„Das ist also da wo’s, da wo’s am schönsten ist“, dachte ich mir, und verspürte unmittelbar den dringenden Wunsch, diesen Ort nie mehr verlassen zu müssen.
„Es tut mir leid. Aber Sie können hier nicht bleiben. Noch nicht. Wir haben eine Aufgabe für Sie“, flüsterte mir die Stimme zu, ohne dass ich sie einer der anwesenden Personen hätte zuordnen können. Dann zischelte sie noch: „Bleiben Sie jetzt bitte ein paar Minuten still. Ich will Sie vorstellen, und dabei erfahren Sie, welche Aufgabe Ihnen zugefallen ist.“
Dann sprach er zu seinem Publikum, mit viel Stolz in der Stimme: „Liebe Freundinnen und Freunde, Kameraden, Kampfgefährten! Wir haben ihn.“
Beifall brandete auf. „Bravo Schwaf! Bravo Schwafel! Bravo!“
Eine Stimme aus dem Publikum rief in den Applaus hinein: „… und, ist es sicher, dass da nicht wieder kleinste Reste von Kleinmut, Moral und Gewissen zum Vorschein kommen werden, wenn er erst einmal in der Verantwortung steht?“
„Ganz sicher. Was ich euch mitgebracht habe, ist der reinste opportunische Intellekt. Ein Streben nach persönlichem Glück, für das er nicht nur sprichwörtlich über Leichen zu gehen bereit ist. Es ist wahr: Als wir Robert Habeck auswählten, haben wir uns in ihm getäuscht. Dass er „Deutschland zum Kotzen“ fände, das war nur innerparteiliches, strategisches Geschwätz, um auch noch beim allerlinkesten Rand anzukommen. Doch kaum steht er vor einer Belastungsprobe, bricht er unter der Last der Verantwortung zusammen. Statt den Überlebenskampf im Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaft mit heroischen Parolen zu verherrlichen, statt die Bevölkerung mit Durchhalteparolen anzufeuern, freiwillig ins Verderben zu rennen, versucht der Narr doch jetzt noch zu retten, was noch zu retten ist. Halbherzige Sparappelle und dazu die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, die Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken, die Errichtung von LNG-Terminals, seine Betteltouren in aller Welt – was für ein schmieriger Versager!“
Buh-Rufe und Empörungslaute hallten durch den Saal. Etliche riefen: „Wie willst du das anstellen? Attentat oder Unfall? Wann soll es losgehehen?“
„Ruhe, Ruhe!“, rief der Redner. „Es wird gelingen, und es wird noch heute Nacht beginnen. Natürlich ein Attentat. Ein Attentat verschafft Sympathien, und Sympathien wird unser neuer Robert brauchen können. Das Chirurgenteam in den Katakomben unter dem Hradschin steht bereit. Unser neuer Freund hier“, und dabei zeigte er mit großer Geste auf mich, „wird, nachdem ihr alle zugestimmt habt, direkt von hier aus dorthin verbracht. Habeck befindet sich im Augenblick noch auf einer Parteiversammlung in Goslar. Der Attentäter – wir verwenden den gleichen Typus wie bei Schäuble im Oktober 1990 – ist im Saal. Wenn sich die Versammlung auflöst, wird auch Habeck von Pistolenschüssen in den Rücken getroffen. Das Operationsteam im Notfallkrankenhaus in Goslar ist heute zu hundert Prozent von unseren Leuten besetzt. Die werden schweigen und der Öffentlichkeit erklären, dass der Minister schwerverletzt überlebt hat. Für eine Prognose sei es noch zu früh. Besuche sind vollkommen ausgeschlossen. Währenddesssen findet in Prag die Transplantation statt. Danach der Rücktransport nach Goslar, das heißt, schon morgen Früh wird Habeck tatsächlich dort auf der Intensivstation liegen, wo ihn alle Welt vermutet.“
„Und was wird mit dem überflüssigen „Organ“ geschehen, das in Prag entnommen wird? Lasst den bloß nicht wieder entkommen!“
„Keine Sorge. Wir haben da einen Kandidaten in einer Level-Null-Kolonie. Die machen gerade eine Siedlung am Rand von Dortmund platt. Der hat sich beim Abriss eines Reihenhauses eingeklemmt in einen Jeep. Befindet sich bereits in Prag. Der kann den Kinderbuchautor bekommen. Da, wo der jetzt ist, und der kommt da nie wieder raus, weil er nie wieder einen Punkt auf sein Konto bekommt, da kann er keinen Schaden anrichten.“
„Gut. Ihr seid sicher, dass ihr den Neuen im Griff habt?“
„Absolut. Der ist ein Super-Telepathie-Empfänger. Sobald er auch nur beginnt, einen eigenen Gedanken zu entwickeln, sind wir auf Sendung und richten ihn korrekt aus. Ich habe das am Ende des Auswahlprozesses selbst getestet. Einen Besseren findet ihr nicht!“
„O.K., dann wollen wir ihn jetzt selbst testen. Nicht, dass das alles wieder nur das gleiche Geschwafel ist, wie bei Schulz und Nahles.“
Dann gingen die Lichter aus und es wurde schwarz um mich.
Ja, Leute, so war das. Das war mein Traum. Natürlich völliger Blödsinn. Aber man sieht mal wieder, wie das Unterbewusstsein die Geschichten verwurstelt. Mein Auffahr-Unfall an der Baustelle, und dann der Habeck, der beim Kinderfest der Grünen vom Fahrrad gefallen ist. Mit Helm! Dummerweise mit losem Kinnriemen.
Dass sie ihn ins Krankenhaus gebracht haben, ist doch völlig normal. Verdacht auf Gehirnerschütterung, das muss beobachtet werden. Aber der kommt schon wieder. Besser als je zuvor. Wetten?