Eine Portion Zynismus

Die Welt ist nicht einmal mehr im Suff zu ertragen.
Deshalb sind Brauereien, Winzer und Destillerien auf dem absteigenden Ast, während die Zahl der Zyniker die  Zahl der Alkoholiker längst überstiegen hat.

Was so ein wahrer Zyniker ist, der lässt alles, was andere Menschen emotional aufwühlt, eiskalt an sich abprallen. Nicht selten rettet er sich auch zynisch ins offizielle Narrativ und deutet selbst die schlimmsten Geschehnisse einfach in die zynische Kausalität um: „Geliefert wie bestellt!“

Dem Zyniker geht es nicht um individuelles Leid. Er spießt das Mitleid und Beileid, sowohl der Masse als auch der Vorbeter der Masse, unerbittlich auf.

Schon Jesus Sirach, knapp 200 Jahre vor Christi Geburt geboren, dessen Gedanken ein eigenes Buch des Alten Testamentes füllen, hat sich dazu geäußert. Aus dem dritten Kapitel dieses Buches will ich einige Verse in diesen Text hineinnehmen:

24 Mit dem, was dich nichts angeht, gib dich nicht ab;

25 denn dir ist schon mehr gezeigt, als Menschenverstand fassen kann;

26 schon viele hat ihr Denken irregeleitet, und gefährliche Vorstellungen haben sie gestürzt.

27 Wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um,

28 und ein starrköpfiger Mensch nimmt zuletzt ein schlimmes Ende.

29 Ein starrköpfiger Mensch macht es sich selber schwer, und der Sünder häuft Sünde auf Sünde.

30 Denn Hochmut tut niemals gut, und nichts als Unheil kann daraus erwachsen.

31 Ein vernünftiger Mensch lernt die Weisheit,

32 und wer sie lieb hat, der hört aufmerksam zu.

Das sind doch Sätze wie aus dem Lehrbuch für Politiker und politiknahe Medienvertreter. Holen wir sie einfach in die Gegenwart. Dann werden Sie sich erinnern, dass Sie das alles schon so oft gehört haben, dass Sie es schon gar nicht mehr wahrnehmen.

24 Was geht es dich denn an, du dummer deutscher Michel, wenn in einem unbedeutenden Dorf in Süddeutschland jemand gestorben ist? Gib dich nicht damit ab. Zügle deine Neugier, mach dich nicht zum Gaffer.

25 Alles, was du erfahren könntest, ist doch nur geeignet, dich zu verunsichern.

26 Wir haben dir doch genug gesagt, mehr als dein Verstand zu verarbeiten in der Lage ist. „Ein Mann“, das haben wir dir doch gesagt, „war beteiligt“. Was kümmert dich der Rest. Warum willst du unbedingt noch von einem Messer hören? Warum willst du wissen, welcher Mann, welcher Herkunft, welcher Hautfarbe, mit welcher Waffe?

Es wird dich nur verleiten, dummes Zeug zu denken und zu sagen. Du wirst dazu neigen, ein Vorurteil zu entwickeln oder zu pflegen, du wirst einen Generalverdacht entwickeln, der dich nicht mehr ruhen lässt, der dich ängstigt. Du wirst anfangen zu denken und dabei in die Irre gehen, gefährliche Vorstellungen entwickeln,

27 und dann wirst du stürzen. Erst wird dein Facebook Account gesperrt. Genügt dir das nicht, und du meinst, in deinem Wahn, auf die Straße gehen zu müssen, wirst du erleben, dass du tatsächlich auf die Nase fällst, und wenn du immer noch weiterdenken willst, bitte: Wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um.

28 Auf der Erde sterben jeden Tag mindestens 250.000 Menschen. Manche sind alt, manche sind jung. Manche sind verhungert, manche sind ihren Krankheiten erlegen, manche wurden ermordet, manche sind im Krieg gefallen. Wer alt geworden ist, hat sich wahrscheinlich nur selten in Gefahr begeben, wer jung gestorben ist, ist meistens unvorsichtig in die Gefahr hineingestolpert. Was also hältst  du dich an diesem einem Todesfall fest, du starrköpfiger Mensch? Glaubst du, alles besser zu wissen? Nein, du starrköpfiger Mensch! Du hast dir etwas ausgedacht und hältst es schon für die Wahrheit.

29 Starrköpfig hältst du daran fest, dass der Mann nicht psychisch krank gewesen sein kann. Aber was denn sonst? Was ist denn ein Zeichen psychischer Krankheit, wenn nicht diese Tat? Und warum soll es nicht ebenso viele psychisch Kranke geben, wie es solche Taten gibt?

30 Hochmütig fällst du dein Urteil aus der Ferne, sitzt auf deinem Stuhl, bohrst in der Nase, hast das Dorf nie gesehen, kennst die Menschen nicht, die dort leben, und willst nichts anderes als eine Begründung für deinen Rassismus finden.

31 Wärst du ein vernünftiger Mensch, du würdest auf die Weisheit hören und ihr vertrauen.

32 Du würdest dem Regierungssprecher lauschen und dem Sprecher der Polizei und dem Sprecher des Flüchtlingsrates und dem zugezogenen Psychologen, und so du anderes hörst oder liest, würdest du dich an die Faktenchecker wenden, die dir den Weg zur Weisheit und zur richtigen Gesinnung weisen könnten.

33 Aber du willst unbedingt quer denken. Du willst dir deine Verschwörungstheorie nicht widerlegen lassen. Wir kennen dich. Wir kennen dich schon lange. Du warst das doch, der in der Zeit der höchsten Inzidenzen ohne Maske unterwegs war. Du bist das doch, der immer noch behauptet, das Klima habe sich schon immer gewandelt. Glaubst du, mit deiner Maskenverweigerung hättest du auch nur eine Infektion verhindert, mit deiner Klimaleugnerei ein Starkregenereignis, einen Erdrutsch verhindert oder das Abschmelzen des Grönlandeises gebremst? Und nun glaubst du, du machst die Tote mit deinen rassistisch-faschistischen Ideen wieder lebendig? Wer bist du denn? Bist du Gott? Dafür wirst du ans Kreuz geschlagen, du Ketzer.

Wir wissen doch alle, dass es nichts Verwerflicheres gibt, als hinter Unglücksfällen nicht des Schicksals Mächte, sondern Absichten oder auch nur Inkompetenz zu vermuten. So ein Unglück, wie das bei Ulm, das ist doch ebenso unvorhersehbar und unvermeidlich wie die Flut im Ahrtal oder die Havarie von Gasleitungen in der Ostsee. Es wird doch auch alles aufgeklärt. 

Natürlich kann man die Ergebnisse nicht in jedem Fall in der Öffentlichkeit breittreten. Das würde die Bevölkerung doch nur verunsichern – und wer sollte das ohne aufwieglerische Hintergedanken wollen?

Außerdem gibt es Wichtigeres zu berichten:

  • Die Gasspeicher sind gefüllt. Das LNG-Terminal in Wilhelmshaven ist schon in Betrieb. Der Winter kann kommen.
  • Die Inflation ist schon wieder zurückgegangen. Von 10,4 auf 10,0 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Weihnachten kann kommen.
  • Die Flakpanzer für die Ukraine sind jetzt auch alle ausgeliefert. Die Russen können kommen.
  • Die Außenministerin hat Indien besucht. Der Monsun kann kommen.
  • Der Ölpreisdeckel ist in Kraft.

Komme, was da wolle.