Ehrbares Unterfangen – Libyen in Berlin besprechen

Da liegt mir zu viel Kritik in der Luft – und viel zu wenige Fragen.

Gestern Abend noch war ich der Überzeugung: „Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr“.
Heute ist das nicht besser geworden, jedenfalls nicht, was das Libyen-Problem betrifft, aber es hat sich so etwas wie Hochachtung  für Heiko Maas eingestellt, den von nun an wirklich niemand mehr wegen seiner Art, seine Anzüge zu tragen, hänseln sollte.

Fünf Monate lang ist diese Konferenz vorbereitet worden, hieß es in der Tagesschau am Sonntagabend. Das heißt, Heiko Maas muss seit Mitte August mit rund 20 hochrangigen Poltikern Kontakt gepflegt haben und in dieser Zeit das Wunder vollbracht haben, deren unterschiedlichste Interessen auf einen Nenner zu bringen, denn: Schon lange bevor die gepanzerten Limousinen ihre Parking Positions in Berlin erreicht hatten, war die Schlusserklärung  fix und fertig abgestimmt und ausformuliert.

Vor fünf Monaten hatte Erdogan noch nicht erklärt, in Libyen einmarschieren zu wollen. Sieht das jetzt nicht so aus, als sei es in Vorbereitung dieser Konferenz so vereinbart worden? Ich weiß nicht … Es gibt starke Kräfte, die alles daran setzen wollen, weiterhin das Spielkreuz in Händen zu halten, mit dem die international anerkannte Marionetten-Regierung in Tripolis zu allen gewünschten Bewegungen und Verrenkungen gezwungen werden kann. Dass genau diese Regierung zwar nach Berlin zitiert worden war, aber nicht mit am Verhandlungstisch sitzen durfte, weil eben nicht mit ihr, sondern über sie verhandelt wurde, sollte man in Erinnerung behalten. Es hätte ja sein können, dass Fayiz as-Sarradsch, hätte man ihn zu Wort kommen lassen, sich gegen den Einmarsch türkischer Truppen ausgesprochen hätte, schon weil er davon ausgehen muss, dass die zwar womöglich die Milizen Haftars besiegen und mit Mann und Maus über die Klippen ins Mittelmeer jagen könnten, aber danach einfach bleiben und den türkischen Machtanspruch anmelden würden.

Haftar, ebenfalls nach Berlin zitiert, durfte ja auch nicht an den Konferenztisch. Schließlich soll es ihm an den Kragen gehen. Da kommt jedem gewieftem Diplomaten sofort das Wort vom Sumpf und den Fröschen in den Sinn, die man nicht fragen darf, wenn man Drainagerohre verlegen will.

Es stellt sich nach kurzer Denkpause heraus, dass es bei dieser Konferenz niemandem darauf ankam, herauszufinden, ob nun die Regierung in Tripolis das libysche Volk vertritt oder doch General Haftar, dessen Armee sich in Libyen offenbar ebenso frei bewegen kann, wie einst der Vietcong in Vietnam, sondern dass es im Grunde eher darum ging, Libyen im Auktionshaus Merkel zu Berlin an den Meistbietenden zu versteigern.

Nimmt man spaßeshalber an, die Vereinbarungen von Berlin würden von allen ernst genommen und eingehalten, dann müssten der Libysch-nationalen Armee unter General Haftar bald Geld, Sprit und Munition ausgehen, so dass Erdogan, ohne einen Schuss abgeben zu müssen, als neue Ordnungsmacht in Libyen einziehen und sich dort – zwangsläufig geduldet von der Marionetten-Regierung in Tripolis – festsetzen könnte.

Nun war Putin aber auch in Berlin und hat sich mit Erdogan abgestimmt, was nur bedeuten kann, dass auch Putin sich dafür entschieden hat, Erdogan noch ein bisschen fester an Russland zu binden, indem er Libyen zum türkischen Protektorat macht. Wozu soll er Haftar und Erdogan pampern, wenn einer alleine den gleichen Nutzen bringt? Bingo.

Der Gewinn der EU besteht dann hauptsächlich darin, dass der mit der Türkei geschlossene Flüchtlingsdeal nun auf die libysche Küste ausgeweitet werden kann. Das wird vermutlich Jahr für Jahr einige Milliarden mehr kosten, weswegen ausgerechnet jetzt lautstark  für das heimische Publikum nebelwerfend erklärt wird, die EU habe der Türkei die Finanzhilfen rigoros zusammengestrichen, es blieben praktisch nur noch die Zahlungen aus dem Flüchtlingsdeal.

Guterres war wohl eingeladen worden, um der Konferenz den Anschein zu geben, die Verabredungen seien mit dem Segen der Vereinten Nationen zustande gekommen, dabei kann der Generalsekretär nur Mehrheitsentscheidungen der Generalversammlung und des Sicherheitsrates herbeiführen und dokumentieren, nicht aber selbst Entscheidungen für die UN treffen.

Pompeo wird im Auftrag Trumps „rote Linien“ aufgezeigt haben, deren Überschreiten ein Einschreiten der USA auslösen würde.

Griechenland durfte nicht nach Berlin, weil Erdogan fürchtete, die Zustimmung Athens könnte auf dieser Bühne von einer Vereinbarung bezüglich Zyperns und der Aufteilung der Hoheitsgewässer im östlichen Mittelmeer abhängig gemacht werden, was dem schönen Deal einiges vom strahlenden Glanz genommen hätte, insbesondere hätte Erdogan das innenpolitisch schwer geschadet.

Und das alles – und noch vieles, das hier gar nicht erwähnt werden konnte, hat Heiko Maas, trotz zwischenzeitlichen Machtwechsels an der SPD-Spitze in nur fünf Monaten so hingedeichselt?

Chapeau!

Deutschland, ausgerechnet der Staat, der beim Verteilen der Beute des Libyen-Krieges,
(abgesehen vom Zuwanderungsgewinn) leer ausgegangen ist,
hat damit nun definitiv die Verantwortung für Libyen übernommen.
(Streiche: „die Verantwortung“; setze: „den Schwarzen Peter“)

Das heißt: Wer immer in Zukunft, auf welche Weise
und mit welcher sonstigen Absicht auch immer,
in Libyen zündelt, kann darauf setzen,
dass Deutschland, um nicht das Gesicht zu verlieren,
– unter dem Beifall aller Nichtbeteiligten –
mit der Geldspritze zum Löschen ausrücken wird.

 

Mit dem Eingeständnis, gestern abend überzeugt gewesen zu sein: „Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr“, habe ich diesen kleinen Kommentar eröffnet. Mit dem gleichen Eingeständnis, will ich ihn auch beenden, denn wenn ich ehrlich bin, dann erschließt sich mir der Sinn des „Berliner Prozesses“ immer noch nicht.