Kir Royal

1986 war’s. Im September.

Ich war seit 9 Jahren Münchner, wohnte in jenem Teil von Schwabing, der eigentlich die Max-Vorstadt ist, und war schon von der ersten Folge von Kir Royal so begeistert, dass die Zeit bis zur Ausstrahlung der zweiten scheinbar gar nicht vergehen wollte.

33 Jahre später, in den letzten drei Wochen, wurde Kir Royal auf One – in Doppelfolgen – wiederholt. Ich hatte diesen von Helmut Dietl inszenierten Geniestreich mit Franz Xaver Kroetz, Dieter Hildebrandt, Billie Zoeckler, Senta Berger und vielen anderen (damals) bekannten Schauspielern seitdem nicht mehr gesehen und freute mich – wie ein kleiner Junge auf Weihnachten – das alles noch einmal beschert zu bekommen.

Doch anders als bei anderen Wiederholungen – zu Weihnachten habe ich mir ein verlorengegangenes Buch „Die Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch erfolgreich als Geschenk erbeten und sofort mit großem Genuss noch einmal verschlungen – stellte sich das mit Kir Royal verbundene Gefühl nicht mehr ein.

Ja, das war nicht schlecht – aber ich kam mit dem Schimmerlos und dem Hildebrandt nicht mehr in Resonanz, von der Kubitschek ganz zu schweigen. Dabei war das doch immer noch exakt die gleiche Fassung, alles, was vor 33 Jahren sprühender Witz, begeisternder Aktivismus, verlogenes Schicki-Micki-Getue war, kontrapunktisch entlarvt vom genialen Mario Adorf als Generaldirektor Hafferloher, aber auch von Mona (Senta Berger), die ihren Schimmerlos durchschaute, ihm ein Spiegel war – bis sie sich emanzipierte und Karriere machte.

Der Glanz war weg. Kir Royal kam mir stumpf und verstaubt vor, nicht einmal Hildebrandt, der trutzig-demütige Fotograf des Gesellschaftsreporters, konnte noch begeistern.

Es kostete eine halbe vergrübelte Nacht, mir klarzumachen, dass nicht Kir Royal sich verändert hatte, sondern dass die Veränderung, der andere Blick auf die Komödie, bei mir selbst zu suchen war. Warum aber, grübelte ich die andere Hälfte der Nacht weiter, kann ich Hildebrandts Bücher mit gleichem Vergnügen lesen, wie bei ihrem Erscheinen, warum hat mich der Mulisch mit seinem Quinten noch einmal so in seinen Bann schlagen können, obwohl auch da die erste Begegnung um die dreißig Jahre zurückliegt? Und warum, ja – ich gebe es zu – kann ich über Theo Lingen oder Heinz Erhard oder über Heinz Rühmann in der Feuerzangenbowle immer noch so herzhaft lachen wie vor vierzig Jahren?

Ich habe mir eine Erklärung zurechtgelegt – und die geht so:

Kir Royal war die Serie, die anders als die erwähnten (und die viel zahlreicheren nicht erwähnten) Filme und Bücher im Augenblick als ich sie aufnahm, voll und ganz mit meinem Lebensgefühl in Einklang stand. Nein. Ich war nie Schickimicki, auch nicht Klatschreporter, auch nicht Macho. Das Lebensgefühl war jenes allgemeine Gefühl von befreiter Freiheit, von einem Strauß von Chancen und Möglichkeiten, es war ein Gefühl von Sicherheit, der man sich gar nicht bewusst war, weil sie selbstverständlich war, es war ein Gefühl des „es wird alles gut“ und „es kann nur noch besser werden“. Es war eine geradezu unverschämte Leichtigkeit des Seins, die sich nicht aus materiellen Polstern speiste, da ging es seinerzeit trotz sehr guten Verdienstes eher sehr eng zu, sondern aus einem Urvertrauen darin, dass das Gute siegen würde, jeden Tag ein Stück mehr. Dass wir, das Volk, die da oben schon im Griff hätten und uns nie mehr verarschen lassen müssten.

Mein Gott! 1986!

Was man da noch alles sagen durfte!

Was man da noch alles denken durfte.

Was man da noch alles haben konnte: 6 Wochen Kur, zum Beispiel, auf Kosten von Arbeitgeber, Kranken- und Rentenversicherung, und das alle paar Jahre auf Rezept vom großzügig verschreibenden Hausarzt. Eine Rente, die dem vorherigen Netto-Einkommen sehr nahe kam. Manche kamen, mit Betriebsrenten, sogar locker drüber. Ein Haus zu bauen war zwar auch damals schon eine Herausforderung, aber eine, die zu meistern war. Wer einen Job hatte, der konnte davon leben, von ganz, ganz wenigen Ausnahmen abgesehen. Es gab keinen Rechtsanspruch auf einen KiTa-Platz, keinen Mindestlohn, keine Mietpreisbremse und schon gar keinen Mietendeckel, es gab weder Fake-News, noch Hate-Speech und auch nichts, was dem heutigen Netzwerkdurchsetzungsgesetz in der damaligen analogen Welt der Privatleute auch nur näherungsweise entsprochen hätte. Es mag wie Blasphemie klingen, aber wir lebten naiv – wie Adam und Eva im Paradies – und hatten – wie diese – noch keine Ahnung von gut und böse. Alles war gut. Das Böse, so meinten wir, war 1945 untergegangen.

1986 wartete ich mit vielen anderen darauf, dass die SPD endlich wieder an die Regierung kommen würde, nachdem sie sich mit mit jenem bitteren Handschlag Kohl-Schmidt von der Brücke des Staatschiffes hatte verdrängen lassen.

Später dann haben wir von dem grünen Apfel vom Baum der bitteren Erkenntnis gegessen.

Seitdem ist alles grau geworden. Es ist, als sei Michael Endes „Nichts“ über das Phantasien der kindlichen Kaiserin hereingebrochen. Lassen Sie mich mit Efraim Langstrumpf beginnen, dem Negerkönig, der aus den Kinderbüchern von Astrid Lindgren getilgt wurde. Weg. Verloren. Das Zigeunerschnitzel. Weg. Verloren. Das generische Maskulinum, ermordet von den modernen Sufragetten. Ins Silvesterfeuerwerk werden mit Verbotszonen riesige Löcher da gerissen, wo es früher am schönsten war.  Raucher finden keinen Platz zum Rauchen mehr, Veggie-Days sollen den Fleischverzehr beenden, wer noch grillt, ist eine Umweltsau und ein verdammter Macho noch dazu,  die Kernkraftwerke sind dem „Nichts“ schon weitgehend in die Hände gefallen, nun sind die Kohlekraftwerke dran. Damit schwindet auch die sichere Stromversorgung. Dieselmotoren liegen auf der Intensivstation im Sterben, den Otto-Motoren geht es kaum besser, beiden werden die lebenserhaltenden Systeme abgeschaltet. Die meisten Renten sind vom Existenzminimum nicht mehr zu unterscheiden, die Landesgrenzen haben sich in diffuse Grauzonen verwandelt, und innerhalb dieser von Grauzonen umwaberten Gegend bilden sich zwischen den Ansiedlungen derer, die schon länger hier wohnen, wie die Inseln von Schimmelpilz auf der Marmelade immer neue No-Go-Areas heraus, unzugängliche Selbstverwaltungszonen, die wie Schwarze Löcher Steuer- und Beitragsgelder einsaugen und hinter ihrem Ereignishorizont auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen. Körperliche Unversehrtheit ist dahin. Weder beim Messermann, noch bei der Impfpflicht gibt es eineWiderspruchslösung – und bei der Organentnahme ist die Armlänge Abstand ebenfalls nicht einhaltbar und das letzte Blatt des medizinisch-industriellen Komplexes auch noch nicht ausgespielt.

Meinungen? Wo einst bunte Vielfalt blühte und ganze Biotope bildete, die sich ergänzten, wie zum Beispiel das herrliche „Wehner-Strauß-Biotop“, hat der kalte Beton einer politisch korrekten Einheitsmeinung alles Leben unter sich erstickt – und wenn es doch einmal durchbricht, das Leben, mit einer abweichenden Meinung, dann muss man bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Meinungsfreiheit gibt es nicht umsonst. So ähnlich sagte es die schon halb Entrückte erst neulich. Achtung: O-Ton. Merkel-Allergiker sollten diesen Link nicht anklicken.

So ist es also in der grauen Suppe der Gegenwart des Jahres 2020 nicht anders als in der sprichwörtlichen Nacht, in der alle Katzen grau sind.

Figuren, wie Baby Schimmerlos, stehen wie absurde Fußabdrücke von riesigen Dinosauriern in Glasvitrinen im Museum und werden bei geführten Rundgängen als  Relikte einer längst untergegangenen Welt erwähnt – und mit einem leichten Schaudern freuen sich die blasierten Besucher, dass sie nicht gezwungen sind, ihre Welt mit diesen Dinos zu teilen.

Bastian, der aus der Unendlichen Geschichte, durfte, nachdem er alle Abenteuer bestanden und der kindlichen Kaiserin einen neuen Namen gegeben hatte, Phantasien neu entstehen lassen.

Ach könnte ich, könnten wir doch, jenes vom „Nichts“ zerstörte Deutschland der  60er, 70er und 80er Jahre wieder und vor allem „neu“ entstehen lassen!

Antoine de Saint-Exuperie wird die folgende Weisheit zugeschrieben:

„Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer. “

Stell dir einfach vor,
alles was dich gängelt und bevormundet, alles was dir den Eindruck vermittelt, du seist nicht freier Bürger, sondern lebendes Inventar und Eigentum des Staates, würde sich in Luft auflösen.

Würdest du, könntest du so frei leben wollen?

Dann fehlt dir vielleicht nur noch die Erkenntnis, dass weder der Einkommensteuertarif noch die Amadeo Dingsbums Stiftung von Gott als Naturgesetze in die Welt geschöpft wurden. Es sind absolut reversible Werke fehlbarer Menschen.

Du darfst es besser machen.