Die wilden 20er in Berlin

Da heißt es immer, Geschichte wiederholt sich nicht.

Nun, das stimmt auch. Es gab zwar, wie heute wieder, Wohnungnot, Armut, Suppenküchen, so wie es auch riesige Villen, Reichtum und  Nobelrestaurants gab, doch wenn es in Berlin in den 1920er Jahren wild und verrückt zuging, dann waren Verrücktheiten in den Bars, Kabaretts und Nachtclubs zu Hause. Klaus Mann schrieb 1920:

„Junge-Junge, so was hat die Welt noch nicht gesehen.
Früher hatten wir eine Armee; jetzt haben wir prima Perversitäten!“

Claire Waldorf (hat nicht die Waldorf-Schulen erfunden) fragte sich: Wer schmeißt denn da mit Lehm?“, und, „Warum liebt der Wladimir g’rade mir?“

Ein quirliger Mix aus Berliner Luft, Koks, Zille-Verehrung, wirtschaftlicher Blüte, Arbeitslosigkeit und Geldentwertung, das war die Aura der damals drittgrößten Stadt der Welt mit fast vier Millionen Einwohnern.

Die Verrücktheit dieser Zeit war eine fröhliche, gewollte, eher karnevalistische Verrücktheit, ein schnell drehendes Riesenrad der Höhen und Tiefen.

Ein knappes Jahrhundert später, im Jahre 2019, hat es dem Berliner Senat gefallen, vermutlich nicht zuletzt auch wegen der überhand nehmenden  Fälle von Selbstentzündungen von Automobilen und Mülltonnen, für die inzwischen wieder Hauptstadt gewordene Kommune den Klimanotstand auszurufen. Der Senat hat sich damit selbst verpflichtet, alle seine Beschlüsse darauf auszurichten, Berlin schnellstmöglich klimaneutral zu machen. Wo aber alle Beschlüsse auf die Klimaneutralität abzielen, müssen zwangsläufig alle anderen Beschlüsse, und seien sie im Interesse der Hauptstadt, ihrer Wirtschaft und ihrer Bürger noch so wichtig und dringlich, so lange zurückgestellt werden, bis das hehre Ziel erreicht ist.

Leider ist es schwierig, im Senat zu sitzen, und sich immer neue Beschlüsse zur Klimaneutralität auszudenken, wenn „das Mögliche“  längst beschlossen ist, und die Scheu, „das Unmögliche“ zu beschließen, die Beschlussfähigkeit lähmt.

So hat man nach zwei Jahren des Hängens und Würgens, Zweifelns und Glaubens, jüngst im Berliner Senat den Beschluss gefasst, diese Scheu abzulegen, zumal sich der Sinnspruch: „Ist der Ruf erst runiniert, lebt sich’s völlig ungeniert“, spätestens seit Beginn der rot-rot-grünen Senatskoalition als lebendige Wahrheit erwiesen hat, was dann auch die letzten Bedenkenträger überzeugte, beim Fassen unmöglicher Beschlüsse emsig mitzutun.

So soll, nach dem Willen des Senats, Berlin bis Ende dieses Jahrzehnts (wer denkt da nicht gleich an den „Ich-bin-ein-Berliner-Kennedy und die Mondlandung bis Ende des Jahrzehnts) zur „Zero-Emissions-Zone“ werden.

Ein zentrales Element dieses Beschlusses ist die Erhöhung der Parkgebühren, weil es sich dabei noch um eine Maßnahme aus dem Bereich des Möglichen handelt und damit die Kosten für die Benutzung von Automobilen so in die Höhe getrieben werden können, dass der Individualverkehr zu Gunsten des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) schon einmal massiv zurückgedrängt werden kann. Allerdings hat auch dieser Beschluss eine Unmöglichkeitskomponente, die dann sichtbar wird, wenn der bereits jetzt kollabierende Berliner ÖPNV betrachtet wird. Tagsüber, vor allem zu den Stoßzeiten hart an der Kapapzitätsgrenze operierend, wird die Verkehrsverlagerung nur möglich sein, wenn die Nutzung auf alle 8760 Stunden des Jahres gleichmäßig verteilt wird. Angeblich wird bereits an Plänen gearbeitet, jedem Berliner, analog zum digitalen Impfpass einen digitalen Fahrberechtigungspass auszustellen, mit welchem seine Berechtigung zur Nutzung des ÖPNV auf exakt festgelegte Uhrzeiten für die von ihm beantragten Strecken erklärt wird. Die Möglichkeiten der Digitalisierung (Home-Office, Online-Shopping, Distanz-Unterricht, etc.), so hörten wir aus gemeinhin gut informierten Kreisen, würden es durchaus ermöglichen, Fahrerlaubniszeiten, Arbeitszeiten, Ladenöffnungzeiten, Unterrichtszeiten, usw. so zu koordinieren, dass jeder mit seiner ihm zugebilligten Fahrerlaubnis voll und im gewohnten Umfang am Leben der Hauptstadt teilnehmen könne.

Mit dieser Maßnahme, die für viele Berliner die Trennung vom eigenen Verbrenner so weit erleichtern wird, dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, ist der zweite Schritt, nämlich das Verbot der Nutzung von Verbrennern innerhalb des S-Bahn-Rings praktisch bereits erreicht – und die von den Gegnern der Maßnahme ins Feld geführte Kostenbelastung durch die Notwendigkeit, sich ein E-Auto anzuschaffen, praktisch ad absurdum geführt. Niemand, der einmal den Komfort, die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des ÖPNV entdeckt hat, wird überhaupt noch in Erwägung ziehen, sich ein E-Auto anzuschaffen.

Wenn aber, und da scheint die Vision des Möglichen durch den Beschluss des Unmöglichen durch, wenn aber niemand ein E-Auto kauft, dann entfällt auch die Notwendigkeit, mit Milliardenaufwand eine Lade-Infrastuktur aufzubauen, womit Berlin vor allem all jenen Bundesländern entgegenkommt, die diese sonst über den Länderfinanzausgleich hätten finanzieren müssen.

Ab 2025 soll dann der Bereich des Verbrennerverbotes über den S-Bahn-Ring hinaus auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet werden. Das wird in der Bevölkerung keine Widerstände mehr auslösen, denn die anfängliche Festlegung auf den S-Bahn-Ring hat ja sowieso schon alle Berliner, so sie nicht in Pflegeheimen ans Bett gefesselt sind, gleichermaßen betroffen. Manche mögen noch ihr Heil in der Flucht gesucht haben, und statt in die Stadt zu fahren, um zu arbeiten, einzukaufen oder ihre Freizeit zu genießen, versucht haben, dies alles im Umland zu finden. Doch spätestens 2025 wird auch der Letzte bemerkt haben, dass das eben doch nicht Berlin, nicht die pulsierende Hauptstadt ist, in der man gut und gerne lebt, sondern einfach nur tiefste Provinz, fast so schlimm wie der Bayerische Wald, wo die Großeltern noch zur Sommerfrische hinfuhren.

Wer in die Stadt will, oder muss, der hat keine Automobil mehr, denn Verbrenner sind verboten und die E-Mobile sind zu teuer und helfen auch nicht weiter, zumal die City-Maut zu den Parkgebühren hinzukommen wird und die meisten Straßen schlicht und einfach zu Radwegen umgewidmet werden. 

Es ist einfach wohltuend, zu erkennen, dass aus dem anfänglich belächelten Klimanotstand nun ein ernsthafter Mobilitätsstillstand gemacht wird, der auch die Nutzung des Hauptstadtflughafens einbezieht, indem er für die meisten Fluggesellschaften aufgrund der Anhebung der Start- und Landegebühren nicht länger attraktiv ist, zumal auch die Passagiere die dadurch verteuerten Tickets nur noch dann erwerben würden, wenn es gar nicht mehr anders geht.

Doch mit der Herrschaft über die Mobilität ist der Berliner Senat noch nicht an den Grenzen seiner Beschlüsse angekommen. Um die Entstehung bezahlbaren Mietraums zu fördern, ist das Solardach für praktisch alle Neubauten Vorschrift geworden und bei Gebäudesanierungen sind die KfW-Effizienzhaus Standards einzuhalten. Mit diesen Beschlüssen erhofft sich der Senat den Stopp der Bautätigkeit und das Ende von Sanierungen, den entsprechend beschleunigten Verfall der Bestandsimmobilien und den damit verbundenen Wegzug von Mietern, was im Endeffekt darauf hinausläuft, dass massenhafter Leerstand als Einladung zur Hausbesetzung wahrgenommen und vollständige Mietfreiheit möglich wird.

Sollte es Ihnen irgendwie möglich sein, empfehle ich Ihnen, sich jetzt, vor dem Lesen des letzten Absatzes, zum Lachen in den Keller zu begeben.

Ziel aller dieser Maßnahmen ist es,
die Stadt robuster gegen Klimawandelfolgen
wie Trockenheit und Starkregen zu machen.

Hätte man da nicht lieber die Kanalisation in Ordnung bringen sollen und sich den Zugriff auf die Wassermassen sichern sollen, die Tesla in Oberschönheide tagtäglich verschwenden wird?