Die Manege der Großmäuler

PaD 29 /2022 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 29 2022 Die Manege der Großmäuler

Klingt nach Zirkus, ist auch Zirkus.

Immer, wenn die Arbeit getan, das Feld bestellt, das Haus gebaut und der Rechtsstreit gewonnen ist, also immer wenn eine Gesellschaft, ob es nun die Sippe, das Dorf, die Stadt oder eine ganze Republik ist, mit dem Erreichten zufrieden sein könnte, stellen die Großmäuler ihre Zelte auf, kleben Plakate an Stromkästen, Schaufenster und Hauswände, und loben sich für alles, was geschafft wurde, obwohl sie bei der Arbeit kaum einmal gesehen wurden, und wenn doch, dann als Nörgler oder Antreiber.

Ein Großmaul ohne gemachtes Nest, in dem es sich breitmachen kann, kommt selten vor. Eher gar nicht.

Großmäuler haben eine spezielle Technik des Kommunizierens entwickelt, mit der sie zielstrebig darauf hinarbeiten, Leute zu rekrutieren, die ihnen applaudieren, und denen sie dann mit ernstem, wohlmeinendem Ton klarmachen, dass es mit dem Applaus für das Großmaul nicht getan sei, sondern dass sie fortan für das Großmaul und im Sinne des Großmauls arbeiten müssten, denn nur so könnten sie unter Beweis stellen, dass sie das, wofür sie dem Großmaul applaudierten, auch verstanden und zu ihrer Sache gemacht haben. 

Damit nutzt das Großmaul den Hang vieler Mitbürger, durch Beklatschen eines vermeintlich oder wirklich Großen, ein paar Strahlen dessen Glanzes auf sich zu lenken und sich selbst, wenn auch mit weit weniger krimineller Energie, aus der Masse des Volkes herauszuheben. Damit schnappt die Falle des Großmauls zu. Wer sich als sein Anhänger geoutet, seine Lehren gepriesen, an seinem Werke mitgearbeitet hat, der bräuchte schon ein Ausstiegsprogramm, wie es für ausstiegswillige Sektenangehörige angeboten wird, um den Weg zurück zur eigenen Vernunft und zum eigenen Willen zu finden. Doch solche Programme sind für Großmaulabhängige nicht im Angebot, schon weil diejenigen, die solche Programme anbieten könnten, selbst in der Ideologie des Großmauls gefangen sind.

So kann sich da, wo die Arbeit getan wird, die Felder bestellt und die Häuser gebaut werden, ein Großmaul nach dem anderen in die Arena begeben, wo sie, gegen happiges Eintrittsgeld, miteinander und gegeneinander antreten. Ihr Sprache ist blumig, heroisch, verheißungsvoll und leer, doch die Leere füllen sie mit immer noch mehr Blumigkeit, Heroismus und Verheißungen paradiesischer Zustände so vollständig auf, dass sie dem arglosen Gemüt nicht mehr als Leere erscheint.

Ob das eine Großmaul sich nun über das andere Großmaul ereifert, während sich das andere Großmaul über das erste ereifert und ein drittes Großmaul auftritt, das sich über beide ereifert, worüber sich wiederum die beiden anderen ereifern, spielt keine Rolle, solange die Arbeit noch getan wird, die Felder bestellt und die Häuser gebaut werden.  Vom Eintrittsgeld, das in fortgeschrittenen Gesellschaften als Demokratieabgabe regelmäßig eingezogen wird, kann sich so eine Gesellschaft mühelos einen ganzen Sack von Großmäulern halten, auch wenn ein Übermaß an Großmäulern mit der Zeit zum Verdruss führt.

So lange die Großmäuler und ihre Anhänger nicht anfangen, sich in die ureigensten Angelegenheiten der Arbeiter, der Landwirte und der Bauunternehmer einzumischen, geht alles gut. Dafür haben sie jedoch ein feines Gespür, die Großmäuler, und verstehen es, ihre Einmischungen in ihren Ansprachen so zu verpacken, dass die Arbeiter, die Bauern und die Baumeister glauben, ganz genau so, wie die Großmäuler es wollen, hätten sie es auch gemacht, wären sie nur selbst auf diese kühne Idee gekommen. Das gilt jedenfalls so lange, wie die Großmäuler sich einig darin sind, dass es im Grunde nur ums Abzocken geht und, dass der für das Volk inszenierte Streit halt sein muss, um interessant zu bleiben und die Leute immer wieder an die Zirkuskasse zu locken.

Bis dahin sind aber, nachdem die Arbeit nach dem Krieg erstmals getan war, die Felder erstmals volle Ernten lieferten und die ersten neuen Häuser bezugsfertig waren, üblicherweise so viele Jahre ins Land gegangen, dass diejenigen, die sich nie um das Gerangel der Großmäuler gekümmert hatten, die aber noch wussten, wie die Arbeit zu verrichten und zu organisieren ist, und diejenigen, die wussten wann es Zeit für die Aussaat und wann es  Zeit für die Ernte ist, sowie jene, die noch wussten, wie man standsichere Häuser baut, nach und nach aus dem Berufsleben ausgeschieden sind. 

So, wie jene ausgeschieden sind, sind andere nachgerückt, in deren Köpfen jedoch außer blumigen Worten, heroischen Gefühlen und fantastischen Verheißungen im Laufe der Zeit immer weniger zu finden war. So lange das im Verhältnis nur wenige waren, mussten sie den Anweisungen der Alten wohl oder übel, mürrisch und widerspenstig noch folgen. Als es aber mehr und mehr wurden, und sie sich gegenseitig darin bestärkten, dass die Arbeitswelt die gewohnte Blumigkeit vermissen lasse, dass es der Feldarbeit vollständig am Heroismus mangele, und dass fantastisch-verheißungsvolle Häuser, wie die des Friedensreich Hundertwasser reihenweise einstürzten, weil sie ja nicht mehr wissen wollten, dass Hundertwassers Bauwerke im Inneren von einem statisch einwandfreien Stahlbetonskelett getragen wurden, während das fantastisch Schiefe, Krumme und Gewundene nur schmückendes Beiwerk und Fassade war, da wandten sie sich in Scharen wieder von dieser Art Tätigkeiten ab, studierten Philosophie, Germanistik, Sinologie, altpersische Mundarten und was es der brotlosen Künste noch so gibt, um nach ein paar Semestern dann als Lakaien, Clowns, Zirkusmusiker oder nur Dummherumsteher vom Staatszirkus übernommen zu werden, der – nolens volens – die Eintrittspreise erhöhen musste, was immer noch mühelos mit dem gestiegenen Qualitätsstandard, der wachsenden Vielfalt der Zirkusnummern und dem ökologischen Umbau begründet werden konnte.

Alle, die sich von den Großmäulern noch nicht hatten einlullen lassen, bemerkten von dem Zeitpunkt an, als die Einkommen stagnierten und ihre Kaufkraft geschwunden ist, als die Felder nicht mehr ausreichten, um das Vieh und die Menschen zu ernähren, und als die Zahl der bewohnbaren Häuser mit bezahlbaren Mieten immer geringer wurde, dass sich die Realität erheblich von dem zu unterscheiden begann, was ihnen in den blumig-heroisch-verheißungsvollen Reden immer noch als das beste Deutschland aller Zeiten vorgestellt wurde.

Da wurde aus dem Schaukampf in der Zirkusmanege bitterer Ernst. Die Großmäuler traten gegeneinander an, um ihre jeweiligen Erzählungen zu retten. Man müsse das Geld, was man verteilen will, erst einmal erarbeiten, tönte eines der Großmäuler. Das sei grottenfalsch, kontraproduktiv und ein Betrug am Kleinen Mann, erwiderte ein anderes Großmaul, es sei genug für alle da, das alles diene doch nur dem Schutz des Reichtums der Reichen. Dann kam einer an die Reihe, der mit großem Erfolg verkündete, es könne nicht länger so zugehen, dass die, die nichts arbeiten (und damit meinte er nicht die stark angewachsene Belegschaft des Zirkus mit den vielen Stallburschen und Lakaien und Musikanten und Dummherumstehern) sich ihr Nichtstun auch noch von denen bezahlen lassen, die sich abrackern. „Wer essen will, soll auch arbeiten“ assistierte ihm sein Adlatus, und so verschafften sie sich die Luft, die sie zum Atmen beanspruchten, durch die Demontage der Arbeitslosenversicherung, durch Reformen des Krankenkassenwesens, durch langzeitwirksame Rentenkürzungen, und was alles noch so möglich war, um die Lohnnebenkosten zu senken, um damit, wenn die Kaufkraft im Inland schon geschrumpft war, wenigstens im Export noch auftrumpfen zu können.

Das ließ die andere Partei nicht ruhen. Es seien zwar Schritte in die richtige Richtung gewesen, aber zu zaghaft, nicht tief, nicht hart genug, tönte es, und wieder jubelte das Volk und rief: „Ja, mach es uns härter, und tiefer, und fester“, und niemand wusste mehr zu sagen, ob das Stöhnen, das dann jahrelang ertönte, ein Stöhnen unter der Last oder ein Stöhnen der Lust war. In den Reden wurde das Land immer reicher und reicher, ein bunter Flor von Wildblumen breitete sich über die Felder, so dass die Rede, vom vielen Platz immer lauter wurde und an den wahren Heroismus appelliert werden konnte, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, und statt mit Lanzen, wie einst Prinz Eugen, doch lieber mit Teddybären zu werfen, denn – so die verheißungsvollen Worte – wenn hier schon niemand mehr zu finden ist, der noch arbeiten kann (sie nannten es „Fachkräftemangel“), dann sollen die Ingenieure und Fachärzte, die Softwarespezialisten und Krankenpfleger, die vor der Türe stehen und Einlass begehren, doch eingelassen werden, um unseren Wohlstand zu mehren.

Und wieder jubelte das Volk seinen Idolen zu: „Ja! Holt die Fachkräfte, die Goldstücke, je mehr, desto besser. Wir wollen unsere Glücksbringer willkommen heißen, ganz ohne Ansehen der Person oder der Ausweispapiere. Kein Mensch ist illegal!“

Die Helden der Manege, deren Aufstieg ja begonnen hatte, als man noch sagen konnte: „Die Arbeit ist getan, die Felder sind bestellt, die Häuser sind gebaut“, bedrückte spätestens dann ein dumpfes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht mehr. Böse Mächte aus dem Universum spielten ihnen schlimme Streiche. Was auch immer sie begannen, das Scheitern jedes neuen Projektes war schon vor dem ersten Spatenstich abzusehen. Daher beschlossen sie, jeder für sich, sich aus dem Staub zu machen, bevor auch Bild, BamS und Glotze nicht mehr ausreichen würden, im Angesicht der Realität den Glauben des Volkes an die Wahrheit aufrecht zu erhalten. 

Also richteten sie es so ein, dass sie bald an Ansehen verloren, weil sie ja nur die Kopie, und nicht das Original seien. Weil sie den ökologischen, diskriminierungsfreien, feministischen und klimaneutralen Erneuerern nur halbherzig nacheiferten, aber niemals die Wende zu einem neuen, guten, schönen, bunten, vielfältigen, abgasfreien Normal mit Normalklima, mit Sonnen-, Wind- und Traumfängern und einer feministischen Klimaaußenpolitik schaffen würden.

Die Zirkuskapelle spielte nur noch die Lieder der neuen Bewegung, und wie es kommen sollte, ist es gekommen.

Diejenigen, die mit den größten Verheißungen, den buntblumigsten Versprechungen und dem heroischsten Getöne von Deutschlands Vorreiterrolle in einer Welt der Vielfalt und eines gemeinsamen Klimas angetreten waren, sollten zeigen dürfen, was sie können.

Ja, auch die wissen aus ihrer Kindheit noch, wie es war, als die Arbeit getan wurde, aber sie haben nie verstanden warum. Sie wissen auch noch, wie es war, als die Teller voll und die Kinder satt waren, aber sie haben nie gefragt, woher der Segen kam. Sie wissen auch noch, wie es war, als sich eine Facharbeiterfamilie vom Einkommen des Vaters ernähren, ein Auto und Urlaub in Österreich oder Italien leisten und mit ein bisschen Sparsamkeit ein eigenes Häuschen bauen konnte.

Wie das alles gehen konnte, ist ihnen ein Rätsel, und wie sie das wieder hinbekommen könnten, darüber denken sie gar nicht erst nach. Daran wollen sie unter keinen Umständen gemessen werden, weil sie nicht wüssten wie. Stattdessen verkünden sie, dass das alles niemals gut, sondern ein unverzeihlicher Raubbau am Planeten A gewesen sei, den die alten weißen Männer verantwortungslos begangen hätten, ohne für einen Planeten B zu sorgen, dass das Rollenklischee: „Vater Ernährer, Mutter Kindererziehung, Kinder glücklich“, nur zur Unterdrückung der Geschlechtervielfalt diente, ohne Rücksicht auf die daraus entstehenden schweren psychischen Traumatisierungen, die nicht selten im Suizid endeten.  Vor allem aber verkündeten sie mit unheilkündender Miene, dass jetzt Schluss sein muss, mit Lustig, weil sonst die Welt im Schmelzwasser des Grönlandeises untergeht, bevor sie von der Rückstrahlung der CO2-Barriere in Brand gesteckt wird.

 

Wieder ist der Zirkus gerappelt voll.

So voll, wie die Bummelzüge der Regionalbahnen, mit denen das Publikum für einen Bruchteil jener neun Euro, die das Monatsticket kostet, herangekarrt wurde, wie einst die Jubelperser zum Schah,  oder die Jubel SEDler zu Honecker und Mielke, oder die Jubelchinesen zu Mao und seiner Viererbande. Der Eintritt, hieß es, sei vorläufig frei, und hinten auf der Eintrittskarte im Kleingedruckten war vermerkt, dass der Eintritt vorläufig gestundet sei, aber mit der nächsten Heizkostenrechnung automatisch vom Konto abgebucht werde, weshalb jetzt schon darum gebeten werde, durch äußerste Sparsamkeit für Deckung zu sorgen.

Aber wer liest schon die Rückseite einer Eintrittskarte, wenn überall auf den Plakaten zu lesen ist, dass – Weltneuheit ! – sich ein Jongleur erstmals daran versuchen würde, unglaubliche 30.000 neue Windräder, im Maßstab 1:1, versteht sich, durch reine Willenskraft gleichzeitig rotierend in Luft zu halten. Dass ein Messerwerfer im Zeitraffer – für jedes Jahr bis 2045 – ein Messer in die für das jeweilige Jahr gesetzlich festgeschriebenen, auf einer rotierenden Scheibe montierten Klimaziele werfen werde, ohne dabei der Freiwilligen aus dem Publikum, die auf diese rotierende Scheibe geschnallt werde, auch nur ein Haar zu krümmen.

Ein Clown, der den großen Grock weit in den Schatten stelle, werde in unglaublich komischen Verrenkungen vorführen, wie selbst mit Pappnase, Clownshut und Schuhen, groß wie Kindersärge, die drei noch verbliebenen waschbaren Körperstellen ganz ohne Wasser, durch reine Sprechakte, gereinigt, desinfiziert und parfümiert werden können. Eine Hochseiltruppe ist angekündigt, die hoch auf dem Seil – auf der linken Seite – das  Sonnenlicht in Säcken fängt, es ohne Balancierstange mit dem Lastenrad über das Seil nach rechts, zur anderen Plattform schafft, es dort in einen Scheinwerfer füllt, der daraufhin das ganze Zelt mit echtem Sonnenlicht in allen Farben des Regenbogens erfüllen soll.

Im großen Finale endlich, würden ein Dutzend Panzerhaubitzen 2000 in die Manege rollen, und jeder aus dem Publikum, der Lust dazu habe, dürfe mit Hilfe der Fernbedienung, die in der Ablage unter seinem Sitz zu finden ist, einen Schuss in Richtung Donbass abgeben. Das Zielbild für das Display der Fernsteuerung, sowie die Einschläge der Panzergranaten würden von der vor Ort kreisenden Drohne in Echtzeit übermittelt, und wer nachweislich mit seinem Schuss den größten Schaden angerichtet habe, würde mit einem Preisgeld von 500 Euro ausgezeichnet, zum Schützenkönig des Tages ernannt und dürfe die Zirkuskapelle dirigieren, die aus diesem Anlass den eigens eingeübten Badenweiler Marsch zum Besten geben werde.

Das Volk im weiten, steil ansteigenden Rund um die Manege tobt vor Begeisterung.

Selbst Gustave Le Bon wird aus dem ewigen Schlaf geweckt und beschließt, seinem Buch „Die Psychologie der Massen“ ein letztes, finales Kapitel anzufügen, das in Stein gehauen die Zeiten überdauern soll, bis wieder einmal die Arbeit getan sein wird, die Felder bestellt und die Häuser gebaut sein werden.

Einer von den alten weißen Männern wird es dann schon ausgraben. Die neuen Menschen werden für einen Augenblick erschrecken und die übertriebene Spinnerei dann ganz schnell wieder vergessen.