Corona – die Chance für die Errichtung der Diktatur?

PaD 14 /2020 Corona und Diktatur – Hier auch als PDF verfügbar: PaD 14 2020 Corona und Diktatur

 

Corona – die Chance für die Errichtung der Diktatur?

Die Beantwortung dieser Frage muss mit einer näheren Betrachtung dessen beginnen, was wir Diktatur nennen. Was sind die Ursachen für diktatorische Regime, woran scheitern sie? Auch wenn jeder Einzelfall anders geartet ist, es lassen sich Muster erkennen, die eine Prognose ermöglichen.

 

Die Regierungsform der Diktatur ist ein Phänomen, das die Menschheit von ihren frühesten Anfängen an begleitet hat, und, wie wir wissen, gibt es auch heute noch auf dieser Erde echte Diktaturen, sowie mehr oder minder weit gediehene Ansätze zur Neuerrichtung von Diktaturen fast überall da, wo Republiken noch zwischen der Aufrechterhaltung demokratischer Entscheidungsprozesse einerseits und der ausgreifenden staatlichen Kontrolle und der damit möglichen massiven Manipulation aller Bürger hin und her schwanken.

Es soll hier nicht vorrangig beleuchtet werden, inwieweit Diktaturen aller Zeiten von der großen Masse der diktatorisch geführten Völker befürwortet wurden. Die Ursachen für solches Verhalten sind vielgestaltig – teils religiös untermauert, wie es den frühen Gottkönigen und den späteren Herrschern von Gottes Gnaden zugute kam, teils weil der Wunsch nach dem starken Mann aufgekommen war, der mit einem entstandenen Chaos aufräumen sollte, was einen Cäsar, einen Napoleon, einen Stalin und einen Hitler an die Macht kommen ließ.

Stattdessen soll die Untersuchung bei der Person des Diktators beginnen und die Frage gestellt werden, welche persönlichen Voraussetzungen jemand mitbringen muss, um eine Diktatur zu errichten oder fortzuführen.

Es sind hier zwei Grundtypen zu unterscheiden, die wiederum in zwei Untertypen in Erscheinung treten, nämlich:

Der Rechthaber
in den Ausprägungen „kompetenter Rechthaber“ und „inkompetenter Rechthaber“, sowie

Der Machthaber
in den Ausprägungen „charismatischer Machthaber“ und „intriganter Machthaber“.

Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Typisierung um die Vorstellung von Ideal- bzw. Extremausprägungen, zwischen denen es theoretisch unendlich viele Graustufen und Mischformen gibt. Entscheidend ist jedoch grundsätzlich, welche Charakteristik überwiegt, um die Art der Machtausübung einschätzen zu können.

Denn, und das ist entscheidend, allen Diktatoren geht es darum, in der Durchführung ihrer Pläne nicht behindert zu werden, weshalb sie nicht nur Anhänger und Nutznießer brauchen, die sie für ihre Zwecke einspannen können, sondern auch einen Repressionsapparat, der in der Lage ist, jeden denkbaren Widerstand zu brechen und auch die eigenen Anhänger und Nutznießer – über deren zumeist nur materielle Abhängigkeit hinaus – „in der Spur“ halten zu können.

Es sieht also auf den ersten Blick sogar so aus, als sei die Diktatur für ein Staatoberhaupt eine deutlich anstrengendere und aufwändigere Regierungsform als die Demokratie, von der man doch meinen sollte, sie käme ohne „spezielle“ Anhänger und Nutznießer, vor allem aber ohne Repressionsapparat aus.

Diktatoren sind allerdings nicht darauf aus, möglichst wenig Aufwand zu betreiben und nur geringe Anstrengungen auf sich zu nehmen, sondern darauf, ihre Pläne schnellstmöglich und rigoros voranzutreiben. Einige, weil sie der Überzeugung sind, ihrem Volk damit zu nutzen, was manchmal sogar zutrifft, andere weil sie für sich und ihre Erben möglichst große irdische Reichtümer zusammenraffen wollen, bei vielen ist es aber nur eine (infantile) Lust an der Macht. Der Diktator ruht und rastet nicht, und hat schon längst das nächste und übernächste Ziel im Auge, bevor das erste erreicht ist.

Das unterscheidet den Diktator von dem für vier oder fünf Jahre gewählten Kanzler oder Präsidenten einer einigermaßen funktionierenden Demokratie, obwohl sich auch hier unermüdliche Macher abarbeiten können, aber eben nicht müssen. Man orientiert sich ein bisschen an den abgegebenen Wahlversprechen, versucht, im Tagesgeschäft keine Fehler aber eine gute Figur zu machen, und kann in aller Ruhe dabei zuschauen, wie sich die ursprünglichen Pläne ins Gegenteil verkehren. Die widrigen Umstände, die der Diktator in seiner Hybris gewaltsam wegräumt oder auf nie vorher gesehene Weise umgeht, sind dem demokratisch legalisierten Herrscher immer willkommen, weil er diese – und niemals sich selbst – für Versäumnisse, Fehler und unerquickliche Folgen seiner Politik verantwortlich machen kann.

Wo in der Demokratie der vom eigenen Ehrgeiz getriebene Macher an die Macht kommt, wird seine Herrschaft immer wieder zwangsläufig die Grenzen zur Diktatur überschreiten, weil er die Fesseln der checks and balances einfach abstreifen muss, will er sein „Können“ beweisen.

Betrachten wir die vier Grundtypen im Detail, stellt sich Folgendes heraus:

 

Der kompetente Rechthaber

besitzt mehr als nur das erforderliche Wissen, um einen Staat zu leiten, er hat reiche Erfahrungen gesammelt und ist überzeugt, alleine die richtigen Ziele bestimmen und die richtigen Wege zu ihrer Erreichung ersinnen zu können. Wenn überhaupt, verständigt er sich nur mit wenigen Vertrauten, lehnt aber jede Einflussnahme und jeden nicht ausdrücklich erbetenen Rat, der ihm erteilt wird, rundweg ab.

Weil er tatsächlich in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle Recht hat, gewinnen Staatsapparat und Bürger Vertrauen in ihren Diktator und ordnen sich freiwillig unter. Es gilt hier, mehr als anderswo, dass tatsächlich, wer nichts zu verbergen hat, auch nichts zu befürchten braucht.

Unter jenen Staatsmännern, deren Charakter überwiegend in die Kategorie „kompetenter Rechthaber“ fällt, will ich Josip Bros Tito herausstellen, dem es gelang auf dem zerstrittenen Balkan mit Jugoslawien (2. Jugoslawien) einen Vielvölkerstaat zu schaffen und zusammenzuhalten.

Dabei löste er sich schnell vom russischen Kommunismus Stalins, gab der Bevölkerung in kleinen Schritten Freiheiten und öffnete Jugoslawien schließlich zum Westen hin, was nicht nur den Tourismus an der jugoslawischen Adria aufblühen ließ.

Nach seinem Tod dauerte es kaum mehr als zehn Jahre, bis das Staatsgebilde zerfiel. Die Tatsache, dass nach ihm ein Präsidium, bestehend aus acht, von den Teilrepubliken und autonomen Gebieten entsandten Mitgliedern, die Staatsgeschicke lenken wollte, weil sich kein neuer kompetenter Rechthaber bereitfand, die Verantwortung für ganz Jugoslawien zu übernehmen, ja weil keiner an diesem „Gesamtjugoslawien“ überhaupt ein Interesse hatte, hat diesen Zerfall maßgeblich befördert.

 

Der inkompetente Rechthaber

gelangte in früheren Zeiten häufig als „Thronfolger“ an die Macht, ohne dass er dazu viel hätte beitragen müssen. Er gefällt sich in seiner Machtfülle und macht in ebenso unberechenbarer wie unbedachter Weise davon Gebrauch. Gerne schart er einen großen Hofstaat um sich, den er mit Geschenken und Gefälligkeiten überhäuft, wobei er die geheuchelte Dankbarkeit als Bestätigung für sein gesamtes Agieren ansieht. Wer so gelobt und beweihräuchert wird, wie er, der kann nichts falsch gemacht haben und wird auch weiterhin nichts falsch machen können.

Andere inkompetente Rechthaber kamen immer wieder dadurch an die Macht, dass sie von vornherein als leicht lenkbare Strohmänner aufgebaut wurden, welche gar nicht anders konnten, als den Einflüsterungen ihrer Hintermänner zu folgen, weil ihre Inkompetenz sie daran hinderte, selbst einen klaren Gedanken zu fassen.

Als Beispiel dafür aus jüngerer Zeit muss Boris Jelzin herhalten, dem der Ausverkauf Russlands beinahe gelungen wäre.  Wiewohl als erster demokratisch gewählter Präsident an die Macht gekommen, hat er sich als Wohltäter der Oligarchen inszeniert und das Land, dem es sowieso nicht gutging, in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt, an deren Ende im April 1998 die Zahlungsunfähigkeit Russlands stand.

Ende 1999 übergab er die Präsidentschaft an den seit Jahren im engeren Dunstkreis des Kremls tätigen Wladimir Putin.

 

 Der charismatische Machthaber

Die charismatischen Machthaber sind in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts der Reihe nach ausgestorben. Einer hat lange überlebt: Fidel Castro.

Der Revolutionär, der Kuba in einen Dornröschenschlaf versetzte, weil er sich den Vorstellungen der USA nicht beugen wollte. Die meisten Kubaner haben ihn verehrt, jene, die ihre Geschäftsideen unter Castros Herrschaft nicht ausleben konnten, haben ihn gehasst.

Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass Castro ohne die Unterstützung aus Moskau seine Diktatur kaum hätte errichten und schon gar nicht hätte halten können.

Mit der Übergabe der Macht an seinen Bruder Raul im Jahre 2006 begann ein Prozess der Lockerung der Vorschriften und der Öffnung des Landes in Richtung Westen, der weitgehend von den USA getriggert wird und als eine Art „Zuckerbrot und Peitsche“ Politik angesehen werden kann. Es wird noch eine Weile Dauern, Kuba wird noch viele seiner Eigentümlichkeiten bewahren, befindet sich nach meiner Einschätzung aber auf dem Weg der Umgestaltung in eine westliche Demokratie.

 

Der intrigante Machthaber

Der typische intrigante Machthaber bleibt lange im Hintergrund und versucht, mögliche Gegner so lange gegeneinander aufzuhetzen, bis die sich gründlich zerfleischt haben und er als der lachende Dritte übrigbleibt und sich mit Lügen, falschen Versprechungen, finsteren Drohungen, mit Gnadenerweisen und perfekt gespielter Gutmenschlichkeit jene Figuren um sich sammelt, auf deren Dummheit und Gehorsam er sich verlassen kann, auch weil er hin und wieder abschreckende Exempel statuiert.

Der Intrigante Machthaber tritt ungern öffentlich in Erscheinung, sondern schickt stets andere vor, um seine Absichten zu verkünden und zu realisieren. An denen kann sich der Volkszorn abarbeiten, während er wie ein treusorgender Familienvater auftritt, beschwichtigt, besänftigt und auch mal einen seiner Strohmänner über die Klinge springen lässt, um dem Volk Genugtuung zu verschaffen.

Als Beispiel führe ich Manuel Noriega an. Als Chef des militärischen Geheimdienstes von Panama hatte er Gelegenheit genug, alles für seine Machtergreifung vorzubereiten. In der Rolle des Regierungschefs konnte er seine Kontakte zu den Drogenkartellen zur persönlichen Bereicherung nutzen. Doch sein Untergang war besiegelt, als die USA mit der größten Luftlandeoperation seit dem Zweiten Weltkrieg in Panama eingriffen und Noriega schließlich fassten und zu vierzig Jahren Haft wegen Begünstigung des Drogenschmuggels via Panama in die USA verurteilten. Doch die Sachlage war noch komplexer: Noriega stand schon lange vor seiner Machtergreifung auf der Gehaltsliste der CIA. Er ermöglichte den USA die Lieferung von Waffen an die Contra-Rebellen in Nicaragua via Panama, was die CIA davon abhielt, Noriegas Geschäfte mit dem Medellin Kartell zu unterbinden.

 

 

Vier Diktatoren, vier Diktaturen,
vier Aufstiege, vier Niedergänge

 

Die Ursachen

Im Falle Jugoslawiens war es die Verwüstung des Balkans durch den Krieg und der sich aus der Not heraus ergebende Zusammenschluss der Partisanen aus  Völkern, bzw. Volksgruppen, die sich im Grunde gar nicht gut verstanden, die Titos Diktatur ermöglichten. Titos Erfolge im Partisanenkrieg fanden allgemeine Anerkennung, so dass der Mann, der eben nicht nur Partisanen erfolgreich anleiten und einsetzen konnte, sondern der auch weit darüber hinaus reichende Kompetenzen mitbrachte, seine natürliche Autorität nutzen konnte, Schritt für Schritt auf ein großes, gemeinsames Ziel, das vereinigte Jugoslawien, hin zu arbeiten. Es war das Erleben eines „gemeinsamen“ Wegs des Aufstiegs der Balkanvölker, der diese bewegte, Titos Regime, samt der von Tito für erforderlich gehaltenen Repressionen, zu akzeptieren.

Mit Titos Tod wurde Jugoslawien de facto führerlos. Der von ihm künstlich geschaffene Staat zerfiel entlang der Grenzen der Partikularinteressen der ursprünglichen Volksgruppen relativ schnell in autonome Einzelstaaten.

Dies wurde nicht von Widerstand gegen den Diktator ausgelöst, sondern weil kein gleichermaßen kompetenter Nachfolger da war, der den Weg hätte fortsetzen können.

Im Falle Russlands ging die Auflösung des Imperiums UdSSR und der weitgehenden Abschaffung der Diktatur der KPdSU durch Gorbatschow dem Aufstieg Jelzins voraus. Gorbatschow hatte – mit besten Absichten – ein Chaos angerichtet, das er selbst nicht mehr beherrschte.

Was Stalin, Chruschtschow, Breschnew aufgerichtet und mit straffer Hand geführt und zusammengehalten hatten, ging wie eine zerbrochene Vase an Jelzin über, der jedoch nicht die Fähigkeiten besaß, das Puzzle wieder zusammenzusetzen. Stattdessen verließ er sich auf Berater, die versicherten, die Schmierseife des Kapitalismus würde alles wieder von selbst zusammenführen und zu neuer Größe aufsteigen lassen.

Diese Schwäche machte es Putin dann leicht, das Ruder zu übernehmen, der, wenn er überhaupt als Diktator bezeichnet werden darf, dann zu den kompetenten und zugleich charismatischen Diktatoren der Gegenwart gezählt werden muss.

Dass er, wie Tito, am Präsidentensessel klebt und nicht loslassen kann, zeigt einerseits, dass er seine Ziele in Bezug auf Russland noch nicht erreicht hat, aber auch, dass er niemanden erkennen kann, dem er die Macht anvertrauen möchte.

 

Im Falle Kubas ist Castro als Anführer der Revolution zu einer Art Landesvater geworden. Die Revolution die er gemeinsam mit Che Guevarra angeführt hatte, die sich gegen das Regime Batista richtete unter welchem die Verfassung und die Grundrechte außer Kraft gesetzt worden waren, die ebenso aber auch Kapitalismus und ausbeuterischen Besitzverhältnissen den Kampf angesagt hatte, war erfolgreich. Das Volk fühlte sich befreit – und Castro fühlte sich auserwählt, auf Kuba den wahren Kommunismus zu errichten.

Die isolierte Lage der Insel, verstärkt durch die gegen Castro verhängten Außenhandelssperren, begünstigte das kommunistische Experiment in der Karibik. Die ehemaligen Eliten hatten als Opposition ganz überwiegend die Flucht ins Exil nach Florida angetreten. Die zurückgebliebenen „armen“ Kubaner erlebten Castros Regime als eine Verbesserung ihrer Lage – und weil er ein charismatischer Führer war, liebten sie ihn.

 

Im Falle Panamas war es der Tod des letzten starken Mannes, Omar Torrijos, der unter nie geklärten Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, der Noriega den Weg freimachte. Einige Quellen gehen davon aus, dass der Absturz im Auftrag Noriegas von der CIA verursacht wurde. Damit jedenfalls war der Weg Noriegas an die Macht frei. Dass auch er, wie Torrijos auf Verabredungen mit den USA baute, und letztlich den USA seine Macht verdankte, entspricht – wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen – dem Verhältnis Castros zu seinen Schutzherren in Moskau, mit dem Unterschied, dass Moskau Castro nie fallen ließ.

 

 

Gemeinsame Muster

Wenn die dargestellten Fälle auch nur exemplarisch und keinesfalls empirisch gedeutet werden können, zeigen sich jedoch übergeordnete Muster:

  • Alle betrachteten Diktaturen entstanden aus einer chaotischen Situation heraus. Auf dem Balkan war es der Zweite Weltkrieg, der die zerstrittenen Völker im Widerstand einte, in Russland waren es die Folgen von Glasnost und Perestroika, die Gorbatschow nicht mehr beherrschen konnte, in Kuba war es tatsächlich die erfolgreiche Revolution, die den Volkshelden zur Alleinherrschaft brachte und in Panama war es die seit der Staatsgründung permanente Einmischung der USA, die dem Trickser Noriega für ein paar Jahre den Luxus der Macht bescherte.
  • Alle betrachteten Diktaturen folgten einer zerfallenen Diktatur oder Monarchie nach. In Jugoslawien hatte es vom ersten Weltkrieg bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht eine (schwache) Monarchie gegeben, die 1941 innerhalb weniger Tage zerfallen war. In Russland herrschten Diktaturen seit der Oktoberrevolution 1918 bis zum Amtsantritt Gorbatschows, unter dessen Herrschaft die Strukturen weitgehend erhalten blieben und auch ihr Eigenleben führten. In Kuba hatte Batista sich als Senator für US-amerikanische Mafiosi eingesetzt und ihnen ermöglicht, Havanna zu einem riesigen Vergnügungsviertel für US-Touristen zu machen. Über einen Militärputsch gelangte er an die Macht, und regierte zuletzt offen als Diktator. Panama, nach einer Militärintervention der USA 1903 von Kolumbien abgespalten, hat darauf unmittelbar die Kanalzone an die USA abgetreten und dann lange Jahre um die Rückgabe gerungen und geriet Anfangs der 8oer Jahre unter die Herrschaft wechselnder Machthaber: Torrijos, Aquilar, des Rio und eben Noriega.
  • Alle betrachteten Diktaturen entstanden mit Billigung der Bevölkerung, zumindest ohne nennenswerten Widerstand.
  • Alle betrachteten Diktaturen zeigen, dass mit dem Abgang des Diktators auch dessen Diktatur zerbrach. In Jugoslawien und auf Kuba, weil es keinen Nachfolgekandidaten gab, dem das Volk das notwendige Vertrauen geschenkt hätte. In Russland, weil vereinte politische Kräfte die Amtsführung Jelzins nicht mehr mittragen wollten, und in Panama schlicht, weil die Nutznießer in den USA Noriega fallen ließen.

 

Die Überleitung zur Gegenwart

findet sich im Chaos, das durch die Corona-Pandemie weltweit entstanden ist und wohl noch für eine ganze Weile weiter entstehen wird.

Es ist unverkennbar, dass die weltweit weitgehend ähnlichen „diktatorischen“ Maßnahmen der Freiheitseinschränkungen von den Völkern nicht nur geduldet, sondern auch honoriert werden, und zwar um so mehr, je früher sich die Verantwortlichen dafür entschieden haben.

Hier ist nicht nur der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der wenige Tage vorgeprescht ist, in der Rangreihe der Thronfolger Merkels deutlich nach oben gerückt, sein Vorbild hat der Union insgesamt schlagartig Zustimmungszuwächse gebracht, während die Warner aus dem rot-grün-linken Lager davon nicht profitieren konnten.

Es ist erkennbar, dass in Frankreich die Ablehnung Macrons nachgelassen hat und dass von der Opposition gegen Boris Johnson in Britannien kaum noch etwas zu hören ist.

Das, was durchaus als ein erster Schritt in eine Diktatur bezeichnet werden kann, nämlich die durchaus mögliche Interpretation, dass Teile der in der Verfassung niedergelegten Rechte ohne hinreichende Rechtsgrundlage ausgesetzt wurden, wird als notwendige und sinnvolle Maßnahme kompetenter Akteure überwiegend begrüßt. Dazu gehören übrigens nicht nur die Freiheitsbeschränkungen, sondern auch die Bereitstellung quasi unbeschränkter Liquidität zur Schadensbegrenzung in der Wirtschaft und zur Unterstützung privater Haushalte, die durch die Krise in prekäre finanzielle Situationen geraten sind und noch geraten werden.

Die Frage: „Wer soll das bezahlen?“, wird zwar von Experten hinter vorgehaltener Hand gestellt, aber trotz erkennbar heraufbeschworener Inflationsgefahr von der Masse der Bevölkerung vollständig ignoriert. Es zählt das Heute. Morgen ist ein neuer Tag.

Morgen, am Tag danach, wird sich entscheiden, ob der diktatorische Beginn, den wir gerade erleben, wie ein Strohfeuer wieder verlöschen wird, oder ob der diktatorische Stil der Regierungen im In- und Ausland sich dauerhaft manifestieren wird.

 

Ich hege dazu eine nicht ganz unbegründete Hoffnung. 

Deutschland wählt voraussichtlich im Herbst 2021 einen neuen Bundestag. Bis dahin sollte die Pandemie soweit abgeklungen sein, auch weil Medikamente und vielleicht auch schon ein Impfstoff zur Verfügung stehen, dass Corona für die Einschränkung der Grundrechte nicht mehr als Begründung herangezogen werden kann.

Unter dem noch starken Eindruck der vom Staat verordneten Belastungen wird die Diskussion um die Grundrechte im Wahlkampf eine wichtige, vielleicht sogar die alles entscheidende Rolle spielen.

Die Grundlage für die Fortsetzung diktatorischer Maßnahmen ist damit entfallen. Von diesem Augenblick an ist nicht mehr „die Situation“ entscheidend, weil die Phase des Chaos beendet ist; die Frage ist nur noch, ob es die „Person“ gibt, die Gefallen an der (unbegrenzten) Macht gefunden hat und es darauf anlegt, so weitermachen zu können.

Glücklicherweise sehe ich diese Person nicht. Merkels Stern ist, trotz nochmals gewachsener Zustimmungswerte, im Niedergang. Ihr Verdienst in der Krise war nicht Führung, sondern eine sehr spät einsetzende, moderierende Rolle. Die wichtigen (diktatorischen) Entscheidungen wurden – unter dem Gezeter der übrigen Ministerpräsidenten – von Armin Laschet und Markus Söder getroffen.

Keinem von beiden ist es jedoch gelungen, sich über das eigene Bundesland hinaus bei der deutschen Bevölkerung so zu profilieren, dass 2021, sollte einer von beiden die Kanzlerschaft gewinnen, der Weg in die BRD-Diktatur frei wäre.

Im Gegenteil, im kommenden Wahlkampf werden jene Parteien Punkte machen, die zusichern werden, die gesetzlichen Grundlagen für mögliche künftige Notfälle zu beschreiben, und zwar von präzisen Kriterien für den Notstand angefangen, bis hin zu den Kriterien und die Mechanismen, die zur Aufhebung führen müssen. Parteien, die darüber hinaus auch schon vor Corona beschlossene Einschränkungen der Grundrechte auf den Prüfstand stellen, werden noch mehr Punkte machen. Man wird präzise Regelungen für den Einsatz von Drohnen und für den Einsatz der Videoüberwachung mit Gesichtserkennung vorschlagen und einfordern.

Die unumgänglich notwendigen Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote werden, nehme ich an, einen Rattenschwanz weiterer Forderungen nach Lockerungen nach sich ziehen. Es ist wie das Zurückschwingen eines Pendels; das hält auch nicht einfach an, sondern schwingt durch, bis weit ins andere Extrem, bevor es irgendwann zur Ruhe kommt.

Es wäre dies die Chance für die FDP, „Freiheit“ wieder anders als „neoliberal“ zu buchstabieren und die anderen Parteien vor sich her zu treiben und ggfs. wieder einmal in eine schwarz-gelbe Koalition einzusteigen.

Doch auch wenn die FDP versagen sollte, werden sich andere finden, die das Thema besetzen. Gute Argumente gibt es und die Erinnerung an die Zeiten im Ausnahmezustand ist noch frisch genug, dass auch die Wähler noch ausreichend sensibilisiert sind und dem eine große Bedeutung beimessen.

Für andere Staaten will ich nichts vorhersagen. Für Deutschland sehe ich ein Aufbegehren der Demokraten und in der Folge den ins Gesetzbuch geschriebenen, durchaus befriedigenden Interessenausgleich.

Ob die EU dem in der einen oder anderen Weise folgen wird, ist für mich nicht abzusehen. Die Bruchstellen zwischen den Mitgliedsstaaten und die tatsächlichen Ausprägungen der Regierungsführung sind zu unterschiedlich, um eine einheitliche Reaktion erwarten zu können, vor allem dann nicht, wenn über den Umweg der Lockerung der Ausnahmebestimmungen der Versuch unternommen wird, Polen und Ungarn an den Pranger zu stellen.