Eine interessante Anmerkung zum im Entstehen befindlichen Bauruinen-Atlas erreicht mich aus Deutschlands hohem Norden.
Lesen Sie selbst:
Bei uns hier im hohen Norden der bunten Republik wird immer noch kräftig gebaut, in erster Linie protzige Einfamilienhäuser, von deren Pracht meine Eltern nur hätten träumen können, sowie Mehrfamilienhäuser mit vier bis acht Wohneinheiten, alle verziert mit Solarpanels, schmiedeeisernen Gartenzäunen und natürlich der mittlerweile obligatorisch zu sein scheinenden Wärmepumpe, die unübersehbar vor dem Haus steht, wie eine gerade angelieferte neue Waschmaschine.
Es gibt tatsächlich ein paar Bauprojekte, bei denen den Trägern die Puste bzw. vielmehr das Geld ausgegangen zu sein scheint, aber das sind im Verhältnis nur sehr wenige. Bei der überwiegenden Mehrzahl schreitet die Fertigstellung zügig voran und kaum wird eines dem Bauherren übergeben, sieht man schon neue Fundamente, die darauf warten, mit Steinen belegt zu werden. Was meiner Frau und mir nicht in den Kopf will, – und wir beide würden uns sehr freuen, wenn Sie dieses für uns unerklärliche Phänomen einmal ausführlich in einem Beitrag behandeln würden – ist die Opulenz, mit der in den vergangenen zehn Jahren gebaut wurde, insbesondere in den letzten vier Jahren, wo gefühlt nur noch Villen entstanden sind, von denen jede einzelne noch vor zwanzig Jahren im ganzen Ort Gesprächsthema Nummer eins gewesen wäre. Ich selber kenne den Hausbau sowohl von meinen Großeltern, als auch von meinen Eltern, die sich ihren Traum von den eigenen vier Wänden Ende der 1970er Jahre erfüllten, wo Spitz auf Knopf gerechnet werden musste, um sich ein zwar solides, jedoch im Vergleich zu heute bescheidenes Einfamilienhaus mit 120 qm Wohnfläche draußen in der Peripherie der Großstadt zu bauen. Wir leben hier in der Nähe von Bremerhaven, nominell eigentlich in einer der ärmsten Regionen Deutschlands. Die Großstadt Bremerhaven mit ihrer stark schrumpfenden Einwohnerzahl von aktuell weniger als 120.000 Menschen, war vor Jahrzehnten bekannt für Fischerei und Schiffbau, welche nach und nach in den Fluten der Zeit untergegangen sind. Heute lebt die Stadt weit überwiegend von ihrem Hafen, wo man weltweit in den Bereichen Containerumschlag und Automobillogistik einen Namen hat. Ohne diesen Hafen und seine Arbeitsplätze wären wir hier vermutlich ein echtes Armenhaus, denn außer Landwirtschaft gibt es in unserer Region – Landkreis Cuxhaven – keinerlei nennenswerte Industrie oder große Arbeitgeber. Mit dem Florieren des Hafens, das so lange weitergeht, wie Deutschlands Wirtschaft in der Lage ist, weltweit gefragte Produkte herzustellen und zu exportieren, steht und fällt der gesamte Wohlstand dieser Region. Nach unserer Beobachtung sind es häufig Hafenarbeiter, die sich diese Häuser in den vergangenen Jahren „geleistet“ haben. Im Hafen kann man sehr üppig verdienen, wenn man bereit ist, Doppel- u. Dreifachschichten zu „kloppen“, das weiß hier jedes Kind. Nettoeinkünfte von weit über sechstausend Euro pro Monat für einen Hafenarbeiter sind da durchaus möglich und üblich; vielleicht steht deshalb auch vor jedem dieser Prachthäuser noch mindestens ein teurer SUV aus München oder Stuttgart? Trotzdem können wir die Entstehung dieses plötzlich über unseren Landstrich hereingebrochenen Reichtums nicht verstehen. Natürlich, die Zinsen waren historisch niedrig, den Leuten wurden die Kredite von den Banken und Sparkassen geradezu „um die Ohren gehauen“; wer einen Arbeitsplatz mit festem Einkommen vorweisen konnte, bekam nahezu jeden Kreditbetrag den er wollte, was dazu führte, dass die Häuserpreise hier geradezu explodierten (unrenovierte Siedlungshäuser Baujahr 1955, die noch 2014 mit rund 85.000 Euro gehandelt wurden, kosteten auf dem Höhepunkt des Kaufrausches 2022 in etwa das Dreifache!). Es entstanden Häuser, die – ich hatte es eingangs erwähnt – für unsere Eltern absolut unvorstellbar gewesen wären, Luxusvillen mit über 200 qm Wohnfläche auf mehreren Etagen mit Gärten vom Fachbetrieb angelegt und allem „Pipapo“. Diese Häuser müssen z.T. deutlich mehr als 600.000 Euro gekostet haben, was für unsere Gegend hier eine echte Ansage ist. Vielleicht finden Sie irgendwann einmal die Zeit, sich dieses Themas anzunehmen. Die Bücher der Banken müssen doch jetzt voll sein mit Krediten, die in der Regel noch viele Jahre Laufzeit haben. Was wird passieren, wenn der Hafen hier nicht mehr „brummt“, wenn es vorbei ist mit Doppel- u. Dreifachschichten? Was wird dann mit den Krediten passieren, wenn die Schuldner nicht mehr in der Lage sind, ihre Raten zu zahlen, weil sich die Einkünfte verringert haben? Wie war dieser ganze Wahnsinn überhaupt möglich? Mit besten Grüßen von der Nordsee |
Das ist tatsächlich eine erstaunliche Entwicklung.
Die genannten Ursachen, hohe Einkommen und großzügige Kredite sind im Grunde Erklärung genug. Da lässt sich ein Bauboom anheizen, und wenn es um die Größe der Neubauten geht, dann mag da auch ein nachbarschaftlicher Wettstreit um das größte und schönste Eigenheim dazu beigetragen haben, dass Wohnflächen, Baukosten und Kreditvolumen das sinnvoll notwendige Volumen überschritten haben.
Die Befürchtung, dass die Arbeitsplätze im Hafen verloren gehen könnten, ist aktuell und für die nächsten zwei, drei Jahre nicht gerechtfertigt. Dabei müssen Bremerhaven und Cuxhaven gemeinsam betrachtet werden.
Cuxhaven ist momentan ebenso ausgelastet wie Bremerhaven. In Cuxhaven fallen vor allem Schwerlast-Importe an, und dazu gehören ganze Schiffsladungen riesiger Windradflügel, die sich in Deutschland nicht, bzw. nicht in der benötigten Anzahl, wirtschaftlich produzieren lassen. Um die Energiewende voranzubringen, also die Überkapazitäten an erneuerbaren Energien bis an die Zielmarken der Ampelregierung heranzubringen, werden noch ein paar Jährchen vergehen und der Hafen von Cuxhaven wahrscheinlich doch noch erweitert und ausgebaut werden, wie es hier in den Hafennachrichten gefordert wird.
Bremerhaven ist breit aufgestellt und präsentiert sich sowohl als großer Containerhafen als auch als der Hauptumschlagsplatz für Automobilex- und Importe.
Wie es mit den deutschen Seehäfen weitergehen wird, wenn die Regierung im nächsten Herbst abgelöst wird, ist schwer zu sagen. Eine Abkehr von der Energiewende ist auch unter einer Unions-geführten Regierung nicht zu erwarten, jedenfalls nicht so rigoros, wie das für die Energieversorgung Deutschlands sinnvoll wäre. Ich persönlich rechne damit, dass die Neuerrichtung eines Windrades in Deutschland ab etwa 2028 zur echten Seltenheit geworden sein wird, was Cuxhaven spüren wird. Des weiteren rechne ich damit dass die Rezessionsphase in Deutschland, die ja gerade erst beginnt, bis mindestens 2030 anhalten wird. Das wird – in Anbetracht der schwierigen Lage der deutschen Automobilwirtschaft – die Auslastung von Bremerhaven stark beeinträchtigen.
Zusammengenommen sehe ich sowohl auf der Import- als auch auf der Export-Seite einen deutlichen Rückgang der Auslastung der Seehäfen kommen. Die dadurch entstehende problematische Situation bei der Wirtschaftlichkeit des Hafenbetriebs wird sich nicht alleine durch Anpassung des Personalbestands an die Auftragslage bewältigen lassen, es wird zusätzliche Anstrengungen zur weiteren Automatisierung der Abläufe brauchen, um in den grünen Zahlen zu bleiben – und das heißt konkret, dass die Zahl der Hafenjobs bis 2030 um mindestens zehn, schlimmstenfalls bis zu 30 Prozent sinken dürfte.
Für die dann fällige Verlängerung der Baukredite dürften das keine guten Aussichten sein.