PaD 31 /2023 (Teil 1) – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 31 2023 Auf der Suche nach den Ursachen der Verblödung
Der Beginn der Verblödung der Einzelindividuen der Menschheit hat eingesetzt, lange bevor die Druckerpresse gezielt dafür eingesetzt wurde, das Wissen und den Verstand der Menschen nach den Interessen einer herrschenden Klasse zu formen.
Der Beginn der Verblödung liegt lange vor jener Phase, die wir jetzt durchlaufen, in der sowohl das Erinnern als auch das Denken an Maschinen delegiert wird und der Mensch einzig all jenen Emotionen ausgeliefert ist, die – mangels der ursprünglichen Zielobjekte – wie die Querschläger bei intensivem Maschinengewehrfeuer aus ihm herausschießen und auf ihn einprasseln.
Diesem Beitrag ist das Foto eines Radspinnen-Netzes vorangestellt. Ich habe es am Morgen eigens zu diesem Zweck aufgenommen, weil es in einzigartiger Weise illustriert, welchen Wissens- und Erfahrungsschatz ein im Vergleich zu uns winziges Tier in sich trägt und anzuwenden versteht. Wir sprechen von genetischen Programmen, von instinktivem Verhalten und meinen damit, das sind halt Spinnen, die sind nun mal so.
Wollte ich ein Buch darüber schreiben, wäre es an dieser Stelle geboten, einigermaßen tief in die Evolutionstheorie einzutauchen und auch die Erkenntnisse der Genetik soweit zu streifen, dass die Mechanismen, die zur Spinne und ihrem Netzbau geführt haben und die per Vererbung erfolgende Weitergabe der notwendigen „Informationen“ an die nächste Generation deutlich würden. Im Rahmen dieses Aufsatzes verzichte ich jedoch darauf und beschränke mich lediglich auf das offenkundig Sichtbare.
Das offenkundig Sichtbare besteht darin, dass die Jungspinne, zusammen mit hundert anderen weniger als stecknadelkopfgroßen Geschwistern, sobald es an der Zeit ist, in großem Gewimmel den von der Mutter gesponnenen Kokon verlassen und in alle Himmelsrichtungen auseinanderstreben.
Auffällig sichtbar werden sie erst wieder, wenn sie sich an langen Spinnfäden von mäßigen Winden durch die Luft treiben lassen, und dann, wenn sie emsig zwischen Ästen und Zweigen, in Fensterecken oder zwischen Zaunlücken jene Kunstwerke errichten, die wir „Radnetz“ nennen. Ist das Netz fertig, zieht sich die Spinne zurück, geht in Deckung und zugleich in Lauerstellung. Erst wenn ein Fluginsekt ins Netz gegangen ist und lange genug gezappelt hat, eilt die Spinne hinzu, lähmt es, indem sie ein Gift injiziert, um es dann entweder sofort auszusaugen oder – als Vorrat für schlechtere Zeiten – in einen Kokon aus Spinnenseide einzuhüllen.
So sind alle aktiven Radnetzspinnen, aus Sicht eines Radnetzspinnen-Universums, etwas, was wir aus Sicht unseres Menschenuniversums als „Universalgelehrte“ bezeichnen würden. Jedes einzelne Exemplar der Gattung trägt das gesamte Wissen des Spinnenuniversums in sich und ist in der Lage es zielgerichtet und zweckmäßig anzuwenden. Die Spinnenmännchen bilden in ihrer Sonderrolle das notwendige Komplement zur Arterhaltung, das soll hier jedoch ebenfalls nur der Vollständigkeit halber erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt werden.
Die Spinne hat damit so etwas erreicht, wie den „peak of knowledge and experience“, den Gipfel des Wissens und der Erfahrung nennen, der seit Menschengedenken unverändert geblieben ist. In der Radnetzspinne sind das Platon‘sche Ideal und seine Verwirklichung in der Realität nicht mehr zu unterscheiden. Wir erkennen unschwer den Gipfel einer Evolutionslinie, von dem aus keine Notwendigkeit zur Weiterentwicklung mehr besteht, obwohl selbstverständlich in unmerklich kleinen Schritten immer weitere Anpassungen, bzw. Optimierungen erfolgen.
Nun ist die Radnetzspinne nur eines von unzähligen weiteren möglichen Beispielen für eine genetisch determinierte Vollkommenheit von Arten, deren Nachwuchs ohne jegliche Betreuung ab Verlassen des Eis mit allem Fähigkeiten ausgestattet ist, die den Fortbestand der Art sichern.
Erst bei den so genannten „höheren Tieren“ finden wir die Strategie der Brutpflege und des Lehrens und Lernens, bei dem von Eltern und anderen Angehörigen einer Familiengruppe Wissen und Erfahrungen über das hinaus vermittelt werden, was als genetische Verankerung die Grundlage für Existenz darstellt. Am bekanntesten sind hier wohl Bären und Elefanten, bei denen die „Schulung“ durch Erwachsene über mehrere Jahre andauert. Zu früh auf sich allein gestellt, fehlen diesen Jungtieren die Voraussetzungen für das Überleben.
In der Entwicklungsgeschichte der Menschheit nach einem Zeitpunkt zu suchen, an dem der Peak of Knowledge and Experience erreicht worden sein könnte, stellt sich schnell als wenig erfolgversprechend heraus. Einerseits wissen wir immer noch zu wenig über den Entwicklungssprung, der den Menschen zum Menschen machte, und andererseits stellt sich heraus, dass, soweit wir zurückzugehen vermögen, die menschliche Entwicklung eine Entwicklung der Erweiterung der Fähigkeiten und der Erkenntnisse war, die weit über die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der Individuen hinausreichen. Der Mensch hat seine Umwelt aktiv und neugierig in sein Leben einbezogen und es verstanden, seine neuen Errungenschaften an die folgenden Generationen weiterzugeben, auch wenn es dabei zu Kulturbrüchen, bis zum Untergang von Kulturen/Zivilisationen gekommen ist, denen wir vor allem durch die Arbeit von Historikern und Archäologen auf die Spur gekommen sind.
Auch hier wären, wollte ich ein Buch schreiben, weitreichende Schilderungen der Kulturen der Sumerer, der Reiche der Pharaonen, der Kelten, der Inkas, der so genannten „Alten Römer“ in den Text einzuführen, um dem Phänomen des Untergangs auf die Spur zu kommen, das durch Unterlegenheit im Krieg gegen andere Völker nur oberflächlich erklärt wird, solange die Ursachen der Unterlegenheit nicht betrachtet werden, wofür in vielen Fällen der Oberbegriff der „Dekadenz“ in seiner weitesten Auslegung zutreffen dürfte.
Wie kommt es aber zu Dekadenz? Was fördert ihr Auftreten, was wirkt ihr entgegen, wo kommt es nach dem Erreichen des Peak of Knowledge and Expierence zum Umkippen der Entwicklung in eine immer geringer werdende Überlebensfähigkeit, zum Verschwinden der erlernten Fähigkeiten und zum Rückfall auf eine zweifellos niedrigere, in sich jedoch wieder an die Vollkommenheit der Radnetzspinne erinnernde Entwicklungsstufe? Wie wurden aus den Nachfahren der Menschen des Pharaonenreiches und mit ihren hochentwickelten Wissenschaften und großartigen handwerklichen Fähigkeiten am Ende jene Fellachen, die nach Plünderung der ihnen zugänglichen Grabstätten über ein Leben in Lehmhütten – bei kärglichem Ertrag aus Ackerbau und Viehzucht – nicht mehr hinausgekommen sind?
Handelt es sich hier um ein in der Antike aufzufindendes Beispiel der Verblödung?
Ich vermute, dass dem so ist, und versuche nun, dies auf den gegenwärtigen Stand unserer Kultur/Zivilisation zu übertragen.
Dazu noch einmal ein Rückgriff auf die Radnetzspinne. Stellen Sie sich vor, ein Prometheus der Spinnen hätte den Spinnen nicht das Feuer gebracht, sondern ihnen das Geheimnis des mechanischen Webstuhls offenbart und die am besten geeigneten Exemplare im Bau dieser Webstühle unterrichtet, und alle anderen im Gebrauch dieser Webstühle.
Spinnen, die danach noch mit halsbrecherischem Geschick ihre Fäden einzeln von Ast zu Ast zu gezogen hätten, wären nach und nach untergegangen, weil die Konkurrenz mit ihren schnell und kostengünstig maschinell gewebten, sehr viel stabileren und in viel größeren Abmessungen herstellbaren Netzen ihnen bald die Nahrungsgrundlage entzogen hätte, weil die Mehrzahl der Fliegen eben jenen Spinnen in die Netze gegangen wäre, die sich der modernen Netztechnologie bedienten.
Anfangs wäre die Mehrzahl der Spinnen wohl noch in der Lage gewesen, wieder eigene Netze zu spinnen, doch wie das so ist, mit den Genen, es hätten nun auch Mutanten, bei denen die Netzbau-Gene einen Defekt aufweisen, überleben und sich fortpflanzen können. Womöglich wären diese nach wenigen Generationen sogar dominant geworden. Das Überleben der Art hinge von da an nur noch an jenen ausgewählten Exemplaren, die über jenes außergenetische, vom Spinnenprometheus vermittelte Wissen verfügen, das für den Bau von mechanischen Spinnennetzwebstühlen zwingend erforderlich ist. Vermutlich würden diese Spezialisten, einmal von Prometheus infiziert, bald auf die Idee kommen, ein Vermarktungskartell für ihre Webstühle zu bilden und sich damit immer höhere Anteil an den Fangquoten der übrigen Spinnen zu sichern. Von da aus könnten zwei parallele Entwicklungen entstehen:
- Der Nachwuchs der Webstuhlbauer, der in materiellem Wohlstand aufwächst, verliert die Einsicht in die Notwendigkeit, wertvolle Lebenszeit für den Bau von Webstühlen zu verschwenden.
- Die nun vollständig auf die Nutzung von Webstühle angewiesenen Spinnen, die bei immer weiter steigenden Preisen für Webstühle kaum mehr genug Insekten fangen, um vom für sie verbleibenden Rest noch überleben zu können, weigern sich weiterhin für Webstühle zu zahlen, rotten sich zusammen, überfallen die Webstuhlbauer raubend, mordend und plündernd und nehmen sich, was sie brauchen.
Der Effekt: Es werden keine neuen Webstühle mehr gebaut. Die vorhandenen gehen nach und nach kaputt. Die Radnetzspinnen sind nun Ratlos-Spinnen. Etliche sind zwar noch in der Lage, ihre Spinndrüsen zu aktivieren und Fäden zu produzieren, doch daraus ein Netz zu bauen, gelingt kaum noch einer, und wenn, dann sind das abenteuerliche Gebilde mit riesigen Lücken, so dass sich nur noch selten eine Fliege darin verfängt. Es beginnt eine Phase des kärglichen Lebens und Überlebens, aufbauend auf einem Restbestand des genetischen Erbes. Von den Universalgelehrten des Spinnenuniversums sind nur noch geringqualifizierte Schatten ihrer selbst geblieben, die sich auf erbärmlich umständliche Weise am Leben erhalten.
Der Mensch ist aber doch keine Spinne.
Das ist durchaus richtig. Die Frage ist eher, ob der Mensch nicht doch auch noch den gleichen Gesetzen der evolutionären Entwicklung unterworfen ist.
Ein einziges Beispiel genügt, um zumindest den Trend des Verlustes ehemals weitgehend genetisch verankerter und daneben auch nicht mehr durch Wissensvermittlung übertragener Fähigkeiten, zu verdeutlichen.
Spezialeinheiten des Militärs werden in besonderen Lehrgängen, „Überlebenstraining“ genannt, darauf vorbereitet, sich in mehr oder minder unwirtlichen Umwelten mit einer minimalen Ausrüstung an Werkzeug auf sich selbst gestellt am Leben zu erhalten und ihre Kampfaufträge auszuführen.
In abgemilderter Form kann man sich auch bei den Urlaubsveranstaltern für einen „Survival-Urlaub“ anmelden.
Hätten wir Menschen noch die genetische Ausrüstung jener Ur-Menschen, von denen wir abstammen: Niemand bräuchte ein Survival-Training um auch nur eine Woche im Urwald, in der Savanne oder in der Wüste mit heiler Haut zu überleben.
Dabei hängt auch das Überleben dieser Spezialeinheiten immer noch davon ab, dass sie mit eben der genannten Minimal-Ausrüstung, also geeigneter Bekleidung, geeignetem Schuhwerk und mindestens einem guten Messer in die Wildnis entlassen werden.
Nur noch wenige Angehörige vom Aussterben bedrohter Naturvölker gibt es, die keiner solchen Spezialausbildungen bedürfen, um ihr Überleben zu sichern.
Uns Europäern und Nordamerikanern, wie auch den meisten an eine moderne Zivilisation gewöhnten Bewohnern der anderen Kontinente ist dies nicht mehr möglich.
Dennoch leben wir, und wir leben sogar gut. Aber nicht mehr, weil die Individuen in der Lage wären, sich dieses Leben zu ermöglichen, sondern nur noch, weil uns ein weit fortgeschrittenes, arbeitsteiliges Wirtschaften der Sorge um die Beschaffung alles dessen enthebt, was wir unseren „Lebens-Standard“ nennen. Jeder Einzelne muss nur noch irgendwo seine Rolle als Rädchen im Getriebe ausfüllen, um sich damit seinen Anteil am Kuchen zu verdienen.
Dass damit Fähigkeiten verloren gehen, nehmen wir in der Regel nicht mehr bewusst wahr. Unsere Fähigkeiten reduzieren sich auf das, was der Job verlangt, und auf das, was wir zur Pflege unserer privaten Interessengebiete und Hobbys benötigen, doch auch dabei greifen wir in einem immensen Maße auf Vorwissen und Vorleistungen anderer zurück, die wir selbst längst nicht mehr in der Lage wären, zu erbringen.
Mit diesem Zustand hat die Verblödung bereits begonnen.
Jetzt öffnet sich die Türe, aus der uns unser eigenes Wissen und Urteilsvermögen verlässt und durch Expertenwissen und Elitenurteile ersetzt wird. Wir sind auf dem Rückweg vom Wissen und Können zum bedingungslosen Glauben und Vertrauen.
Das betrifft in erschreckender Weise jeden Einzelnen und es zeichnet sich in einer beängstigenden Weise ab, dass die Gesellschaft insgesamt von der sich seuchenartig verbreitenden, elementaren Unfähigkeit zerstört wird.