Gedanken über die AfD
Grafik © Marcel Arndt
Ob der für den 10. und 11. April angesetzte Bundesparteitag der AfD in Dresden nach der heute Nacht beschlossenen Verlängerung des Lockdowns überhaupt stattfinden kann, steht wohl in den Sternen.
Quo vadis, AfD?
Schon vor Jahrzehnten bin ich zu dem Schluss gekommen, niemals überhaupt irgendeiner Partei angehören zu können, weil ich mich der Notwendigkeit nicht beugen will, auch jene Teile der Überzeugungen und Absichten einer Partei zu akzeptieren und ggfs. zu vertreten, die ich für falsch und ggfs. sogar für gefährlich halte.
Aus dieser Haltung heraus tue ich mich einigermaßen leicht damit, den momentanen Zustand der AfD zu analysieren und dabei festzuhalten, was der letzten im Bundestag vertretenen, echten Oppositionspartei helfen könnte, tatsächlich auf das politische Geschehen einzuwirken. Bisher führt ihre Existenz im deutschen Bundestag ja allenfalls dazu, dass selbst ihre guten Argumente von einer kollektiven Trotzhaltung abgelehnt werden
Gespalten, zerrissen, zerstritten
Auch wenn es ausschließlich den regierungsfreundlichen Medien zu verdanken ist, dass die Öffentlichkeit Kenntnis davon bekommt, dass der Partei jene Geschlossenheit fehlt, aus der ein einheitliches Bild der Absichten und Bestrebungen erkennbar werden würde: Die Beschreibung ist, sieht man von böswilligen Übertreibungen ab, ziemlich korrekt.
Die AfD als das Sammelbecken enttäuschter Rechtskonservativer aus der CSU, Konservativer und Wertkonservativer aus der CDU, Rechter und Rechtsradikaler aus NPD und DVU, politisch heimatloser Antikommunisten aus der ehemaligen DDR, EU- und Euro-Kritikern, Zuwanderungskritikern und Opportunisten, die sich zusammenfanden, weil sie sich von der neuen Partei sowohl die Vertretung ihrer Interessen als auch eine Chance für eine politische Karriere versprochen haben, hat Probleme, die Breite dieser Strömungen zu einem gemeinsamen Willen zusammenzuführen, und Probleme, ihren potentiellen Wählern ein klares Bild davon zu vermitteln.
Allerdings ist dieses Muster in der Parteiengeschichte der Bundesrepublik nicht neu. Den Grundstein haben die stockkonservative CDU unter Adenauer und die seinerzeit in Bayern schnell erstarkende CSU gelegt, die sich als Schwesterparteien stets gemeinsam präsentierten, die aber letztlich bis in die jüngere Vergangenheit zwei „Flügel“ darstellten, die von den Herz-Jesu-Sozialisten in der CDU über die Law-and-Order-Vertreter in der CDU übergangslos zu ihren Law-and-Order-Vertretern in der CSU reichten und rechts erst da endeten, wo Franz-Josef Strauß festgelegt hatte: Rechts von der CSU darf es keine politische Kraft in Deutschland geben.
Der Erfolg bestand darin, dass in Bayern auch von den gemäßigten Konservativen die CSU gewählt wurde, um die gemeinsame Unionsfraktion im Bund zu stärken, und dass in den Ländern außerhalb Bayerns CDU gewählt wurde, weil man sich erhoffte, dass die CSU in der Fraktion ihre härtere Linie zumindest teilweise durchsetzen würde. Mit Seehofer beginnend und mit Markus Söder zur Vollendung gebracht, ist das politische Spannungsverhältnis zwischen CDU und CSU jedoch zusammengebrochen. Die einstigen Flügel sind gestutzt, der Unions-Vogel kann zwar noch heftig flattern, aber nicht mehr abheben. Die Wähler quittieren das mit kräftig nachlassender Zustimmung.
Auch die SPD war einst eine weit gespreizte Partei, deren Seeheimer Kreis fraglos ebenso gut in der CDU oder in der FDP seinen Platz gefunden hätte, während auf der anderen Seite die Liebe zu klar kommunistisch-sozialistischen Ideen nie vollständig erloschen ist. Kevin Kühnert und Saskia Esken sind die heutigen Musterbeispiele dieses Flügels, der vor Jahrzehnten von der Union noch mit harten Bandagen angegriffen und als „nicht regierungsfähig“ angeprangert wurde.
Die SPD hat diese große Bandbreite lange ausgehalten, wobei ihr zugute kam, dass der Genosse Trend langsam aber sicher dazu geführt hat, dass auch die ehedem als linksextrem geltenden Überzeugungen und Zielsetzungen von der Gesellschaft akzeptiert und gebilligt wurden. Im Mahlwerk der GroKo sind allerdings auch der SPD die Ecken und Kanten soweit abhanden gekommen, dass die Wähler sämtliche einst in die SPD gesetzten Erwartungen inzwischen begraben haben und ihr nicht mehr mehr zutrauen, als allzu forsche Reformvorhaben ihrer jeweiligen Koalitionspartner mit der Bräsigkeit der „alten Tante“ auszubremsen.
Es kamen die Grünen, die sehr, sehr schnell ihr Flügel ausbildeten und zwischen Fundis und Realos einen erbarmungslosen Machtkampf entbrennen ließen, der sie hart an die Grenze der Aufspaltung führte, ohne dass sie diese jedoch vollzogen haben. Es waren die Fundamentalisten, die entweder selbst das Handtuch geworfen haben, oder von der Parteimehrheit mehr und mehr assimiliert wurden, als es darum ging, Anschluss an die alten Volksparteien zu finden und in Koalitionen mitgestalten zu können.
Auch hier hat, wie bei der SPD, der Zeitgeist dazu beigetragen, dass ehedem vollkommen irrwitzig erscheinende Vorstellungen der frühen Fundamentalisten inzwischen in der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fallen. Fünf DM für den Liter Benzin, das war damals eine der Ungeheuerlichkeiten, während heute das Verbot des Verbrennungsmotors selbst von den Unionsparteien mit getragen wird.
Die Geschichte der LINKEn ist noch spektakulärer, ist sie doch unmittelbar aus der SED der DDR hervorgegangen und hat es nach mehreren Häutungen und Umfirmierungen geschafft, sich all jener Figuren zu entledigen oder sie auf die Hinterbänke zu verdammen, denen es gelungen wäre, die Annäherung an die Wähler des Westens zu vollbringen. Die LINKE hat ihren kapitalismus- und betriebswirtschafts-affinen Flügel abgeworfen, und wo eine Feder nachwachsen will, wir sie fein säuberlich ausgerupft.
Wenn Parteien Hunde wären, könnte man sagen, unter den Mischlingen ist die LINKE der Reinrassige.
Flügelkämpfe gehören in allen Parteien zum Geschäft. Man kann das Problem auf zwei Wegen lösen.
- Man kann entweder getrennt marschieren und vereint schlagen, wie zu den Hochzeiten der CSU, die heute unter Söder ja weiter links steht, als die CDU seinerzeit unter Kohl, während die CDU das Terrain der SPD besetzt hat und sich an den Grenzen zu den Grünen mit deren Protagonisten zunehmend fraternisiert,
- man kann die Partei aber auch der darin herrschenden Mehrheit überlassen, indem den Minderheiten Gelegenheit gegeben wird, Harakiri zu betreiben. Dafür muss sich allerdings erst eine gefestigte Mehrheit herausbilden, was Gauland mit dem Bild vom „gärigen Haufen“, der erst zur Ruhe kommen muss, ziemlich gut illustriert hat.
Programmatik
Die einst von einem Prof. der Volkswirtschaftslehre als Vehikel gegen den wachsenden Einfluss von EU und Euro ins Leben gerufene AfD, war ebenso auf ein einziges Politikfeld fokussiert, wie die frühen Grünen auf die Ökologie.
Allerdings fehlte Bernd Lucke alles, was man braucht, um erfolgreich Politik zu betreiben und potentielle Wähler für sich einzunehmen. Es gelang ihm nicht, in der globalisierungswilligen Stimmung die notwendige Zahl hochkarätiger Mitstreiter zu gewinnen, und es gelang ihm nicht, seine Vorstellungen und Ideale der breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen und verständlich zu machen.
Dazu brauchte es noch nicht einmal den Gegenwind von Seiten der etablierten Parteien. Er wäre mit seiner Idee ganz von alleine untergegangen, hätten nicht jene, deren EU-Kritik einfach nur der Ausfluss ihres mehr oder minder ausgeprägten Nationalismus und ihrer mehr oder minder ausgeprägten Fremdenfeindlichkeit war, in der AfD ihre Chance gesehen.
Den Zulauf aus diesen Gruppen wollte Lucke vermutlich zuerst nicht stoppen, doch als die neuen Parteimitglieder sich immer offener immer weiter rechts verorteten, war er nicht mehr in der Lage ihn zu stoppen. So zog er für sich persönlich die Reißleine und verließ sein unreifes Kind mitten in dessen erstem Trotzalter.
Programmatik der AfD zum Zeitpunkt des Austritts ihres Gründers:
Nicht erkennbar.
Bis heute, Anfang 2021, hat sich daran nicht sehr viel geändert. Die Landesverbände befinden sich in Opposition zu einander, die Parteiführung ringt um Geschlossenheit, ohne sie tatsächlich herstellen zu können, und die Diskussion um Partei-Ausschlüsse macht das nicht besser.
Soweit ich das von außen beurteilen kann, hat aber wenigstens die Bundestagsfraktion die internen Animositäten so weit überwunden oder bewusst zurückgestellt, dass sie sich einen Arbeitsplan gegeben hat, diesen aktiv abarbeitet und tatsächlich so etwas ausstrahlt, wie eine „Corporate Identity“.
Dass die Wirkung der AfD im Hohen Hause verpufft, ist nicht den politischen Zielsetzungen der AfD-Abgeordneten, schon gar nicht einem Mangel an Fachkompetenz geschuldet, sondern ausschließlich Folge der absolut intoleranten Ausgrenzung durch die etablierten Parteien.
Sinnvolle Prioritäten für die nächsten Jahre
Die Partei muss homogener werden.
Im Gedankengut
Nationale Interessen zu vertreten ist sicherlich gut und richtig. Falsch ist es jedoch, vom Status quo her gesehen, das Wolkenkuckucksheim einer idealen Welt mit einem idealen Deutschland und idealen Deutschen in diesem Deutschland, wie eine Monstranz vor sich her zu tragen und daran nicht den geringsten Abstrich zu tolerieren. Daran scheitern ja nicht nur die Verständigungsversuche innerhalb der Partei, daran scheitert vor allem der Versuch, die Akzeptanz und die Stimmen der Wähler zu erlangen. Politik ist die Kunst des Möglichen, und das Mögliche beginnt da, wo Deutschland wirtschaftlich, gesellschaftlich und in seinen internationalen Verflechtungen heute steht. Einen anderen Aufsetzpunkt, in der Art eines „Systemwiederherstellungszeitpunktes“ wie er in den Microsoft Betriebssystemen zu finden ist, gibt es nicht.
Falsch ist es zudem, die Zielvorstellungen aus einer rückwärts gewandten Haltung zu formulieren. Egal, wie weit die gute alte Zeit auch zurückliegen mag, in der so gerne gebadet wird: Es hat diese Zeit, so wie sie jetzt verklärt wird, nie gegeben. Heute ist heute – und nur auf der Basis dessen, was heute als Situation vorgefunden wird, kann die Zukunft gestaltet werden, indem am Bestehenden sowohl korrigiert als auch weitergebaut wird. Alles andere ist Revisionismus.
Richtig wäre es, sich für den Anfang ein großes „Querschnittsthema“ zu wählen, das über alle Ressorts hinweg bespielt werden kann und die Aktivitäten unter einem großen Nenner zusammenhält, was den Vorteil hätte, dass die AfD auch nach außen hin geschlossener wahrgenommen würde.
Dieses Querschnittsthema sollte sich vom Ansatz her eher mit den Themen und Absichten der Regierungsparteien decken, statt sich krass davon zu unterscheiden. Umso einfacher wird es, in den wichtigen Details mit abweichenden – und besseren – Ideen anzutreten und ggfs. in den Ausschüssen sogar durchzusetzen.
Solche Querschnittsthemen könnten zum Beispiel heißen:
- Maßnahmen zur Sanierung des Bundeshaushaltes und Abbau der Corona Lasten
- Deutschland und die EU – Maßnahmen zur Steigerung der Effektivität
- Reorganisation der IT-Systeme der öffentlichen Verwaltung mit dem Ziel: „So dezentral wie möglich und so zentral wie nötig.“
Das Querschnittsthema als Kompass für die Sacharbeit in allen Politikfeldern erleichtert das Auffinden von diesbezüglichen Schwachstellen und die Entwicklung von zielgerichteten Maßnahmen in allen Ressorts. Es sollte allerdings kein Thema sein, das als Aushängeschild einer allzu fokussierten Klientel-Politik aufgefasst werden kann.
Im Erscheinungsbild
Es gibt innerhalb der AfD einen Trend, sich auch im äußerlichen Erscheinungsbild als „nicht dazugehörig“ abzugrenzen und sichtbar zu machen. Das grenzt bisweilen an jenes Sektierertum, das die Zeugen Jehovas an den Tag legen, wenn sie sich stundenlang mit dem hochgehaltenen „Wachturm“ in der Hand an den Straßenecken aufstellen. Diese optische Abgrenzung hängt natürlich damit zusammen, dass versucht wird, die Vergangenheit wiederzubeleben und dies mit Symbolen aus der Vergangenheit zu signalisieren.
Diese selbst gewählte Distanz ist die Folge einer nicht zu Ende gedachten Idee. Ja, es gibt einige, die darauf ansprechen und einen Mitgliedsantrag stellen. Es gibt aber viel mehr, die sich eigentlich zur AfD hingezogen fühlen, weil sie eben noch Opposition macht und nationale Interessen vertritt, die sich aber von der zur Schau gestellten „Folklore“ abschrecken lassen, weil sie – wie auch diejenigen, die es anspricht – hinter der nach außen gezeigten Symbolik eine im Inneren wirkende Geisteshaltung vermuten, die sie nicht unterstützen möchten.
In der Sprache
Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück.
Sich ausgerechnet am gröbsten Poltergeist der ehemaligen Volkspartei SPD zu orientieren, ist kontraproduktiv, auch dann, wenn die Vorzeichen der Aussagen umgekehrt werden.
Wer sich seiner Stärke und der Richtigkeit seiner Argumente bewusst ist, hat es nicht nötig, den politischen Gegner als Person verbal zu attackieren. Eine persönliche Attacke liegt – und das wird halt leider im Eifer des Gefechts übersehen – nicht nur dann vor, wenn gesagt wird: „Sie haben ja keine Ahnung!“, sondern eben auch dann, wenn die Sache mit der Person, die sie vertritt, in einen Topf geworfen wird: „Ihr Gesetzentwurf ist doch hirnrissig!“
Ich plädiere für eine ganz bewusste Orientierung, hin zu mehr Gelassenheit und Konzilianz. Statt: „Sie haben keine Ahnung!“, wäre zum Beispiel: „Es gibt neue Informationen, die ich gerne mit Ihnen diskutieren würde“, eine brauchbare und konstruktive Aussage. Statt: „Ihr Gesetzentwurf ist doch hirnrissig!“, käme zum Beispiel diese Aussage in Frage: „Ich habe das durchgerechnet. Unter ungünstigen Umständen könnte das einige Milliarden Mehrkosten verursachen. Ich schlage daher eine Klausel vor, die dies zuverlässig verhindern könnte.“
Beides kann, sollte das Kind dann doch in den Brunnen gefallen sein, problemlos in einer späteren Debatte zitiert werden, weil auf ein Sachproblem hingewiesen wurde. Mit dem Satz: „Ich habe Ihnen schon vor der Verabschiedung des Gesetzes vorgeschlagen, diesen jetzt eingetretenen Fall durch eine entsprechende Klausel zu verhindern“, kann man immer antreten. Mit dem Satz: „Ich habe Ihnen ja schon immer gesagt, dass Sie keine Ahnung haben“, wirkt man absolut nicht überzeugend, sondern lediglich rechthaberisch, ungehobelt und schadenfreudig.
Insbesondere in Interviews und Talkrunden, die von einem größeren Publikum wahrgenommen werden, empfiehlt es sich, freundliche Gelassenheit zu zeigen und in allen Ausführungen mit Kritik strikt auf der sachlichen Ebene zu bleiben.
Selbst wenn ein zustimmender Lacher des Publikums lockt, wenn in pointierter Form auf ein Defizit einer Person hingewiesen werden kann, sollte dieser Versuchung widerstanden werden. Der selbstkritische Witz kommt an der richtigen Stelle beim Publikum ebenso gut an – schafft aber kein feindseliges Klima.
Die Partei muss ehrlicher werden
Das kann aber nur in dem Maße gelingen, in dem sie sich von ihren inneren Widersprüchen befreit. Dies wiederum setzt voraus, dass der schwelende und immer wieder offen aufflackernde Machtkampf bis zum bitteren Ende ausgetragen wird, anstatt sich kurz vor dem Ziel immer wieder die Wunden zu lecken und in der Illusion zu wiegen, dass man ja eigentlich von beiden Seiten her nur einen kleinen Schritt aufeinander zugehen müsse.
So lange der Wähler nicht weiß, was da wirklich drin ist, wo AfD draufsteht, verschenken beide Seiten mit ihren gegensätzlichen Positionen einen Teil ihres Wählerpotentials.
Ich füge dem hier meine allererste Stellungnahme zur AfD an.
Es war der Paukenschlag No. 17 aus dem April 2013.
Die Partei hatte sich gerade eben erst gegründet – und schon damals, noch unter ganz anderen Vorzeichen, erschien mir diese frühe AfD als nicht ehrlich genug.
Prof. Lucke – eine Alternative für Deutschland?
Ein Aufatmen geht durchs Land. Endlich eine neue Kraft auf der politischen Bühne. Eine mit ordentlicher medialer Begleitmusik vorbereitete und vor wenigen Tagen durchgezogene Parteigründung. Diesmal treten weder machtgeile Berufspolitiker an, noch fraktionszwangsabhängige Listenplatzler und schon gar keine Überflieger, denen ihr Ministeramt zufällt, weil es aus dem vorhandenen Personalbestand besetzt werden muss.
Dies ist eine Partei der Experten.
Und dann das Programm! Zurück zu nationalen Währungen! Ein kompletter Neustart für Europa! Genau das, was uns die etablierten Parteien verwehren, weil sie es entweder nicht verstanden haben, oder Ziele verfolgen, die außerhalb unserer nationalen Interessen liegen.
Kein Wunder, dass man der AfD – kaum gegründet – schon nachsagt, sie sei von Neonazis unterwandert. Schließlich sind alle Strömungen, die entgegen der blinden Europäisierungs-Politik für die Wahrnehmung nationaler Interessen eintreten, wie es das Grundgesetz immer noch gebietet, ein Dorn im Auge all jener, die erst Deutschland mit einer Flut antisozialer Gesetze zum Niedriglohnsektor herab“gesetzt“ haben und nun ganz Europa zum Kontinent des Prekariats machen wollen. Da muss man schnellstmöglich die Nazi-Keule schwingen.
Also wählen wir die AfD!
Langsam. Ganz langsam.
Da gab es doch vor einigen Jahren den so genannten „Hamburger Appell“. Schon vergessen? Und wer gehörte zu den Wortführern dieses Hamburger Appells?
Richtig. Da standen drei Professoren vorne an. Der eine hieß Straubhaar, der andere hieß Funke, und der dritte hieß Lucke. Genau der gleiche Professor Lucke, der nun in der AfD vorne an steht.
Prof. Lucke unterschrieb damals folgende Forderungen bzw. Standpunkte, die ich hier verkürzt und pointiert wiedergebe.
- Staatliche Eingriffe stören nur. Lasst die Finger von der Wirtschaft.
- Lasst Reiche reich sein, ihre Ersparnisse finanzieren über Kredite die Nachfrage der Armen.
- Um deutsche Waren verkaufen zu können, müssen sie – bei guter Qualität – möglichst billig produziert werden.
- Die Löhne müssen runter.
- Sozialleistungen müssen durch Lohnzuschüsse ersetzt werden, oder, wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.
- Arbeitskosten und Steuern vermiesen den Investoren das Investieren.
- Gerade in der Stagnation muss man sparen, selbst wenn man sich kaputtspart.
- Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme und in alle übrigen Bereiche staatlichen Handelns sind zwingend geboten.
- Bildungskosten sind vermeidbar, wenn die Arbeitnehmer zu Fleiß, Wissbegier und strenger Leistungsorientierung erzogen werden.
- Gesetze – vor allem zum Umwelt- und Verbraucherschutz – lähmen Forschung und Entwicklung. Wie soll Gen-Mais in Deutschland gedeihen, wenn sein Anbau durch strenge Auflagen reglementiert wird?
- Deutschland wird so lange als Verlierer im internationalen Wettbewerb dastehen, wie der Lebensstandard seiner Bürger über dem des Durchschnitts seiner Wettbewerber liegt. Also: Runter mit den Löhnen und den Sozialleistungen. Rein in die Armut!
- Die Globalisierung ist ein Segen. Wir müssen nur unseren Lebensstandard total in den Keller fahren, dann wird uns die Globalisierung helfen, ihn wieder zu steigern.
Ja, das war Prof. Lucke, 2005.
Sollte er in den vergangenen acht Jahren vom Saulus zum Paulus geworden sein? Das kann man nicht ausschließen. Doch dass er sich vom Hamburger Appell inzwischen distanziert hätte, davon ist mir nichts bekannt.
Wenn man die Liste der externen Unterstützer der AfD ansieht, da kann es einem Eurokritiker wie mir schon warm ums Herz werden.
Schachtschneider, Hankel und Starbatty, die ewigen Verfassungskläger gegen den Euro unterstützen die AfD, gehören ihr aber nicht an. Warum nicht?
Und da fällt unter den Unterstützern der AfD noch eine Figur besonders auf. Hans Olaf Henkel – ebenfalls kein Mitglied, aber Unterstützer. Der hat doch als Wirtschaftslobbyist in jeder Talkshow jahrelang das gleiche erzählt, wie es die VWL-Professoren im Hamburger Appell verkündet haben. Ist Henkel ein weiterer bekehrter Saulus? Und warum lässt er sich dann nicht „taufen“?
Meine Meinung zur AfD,
Stand heute, 18. April 2013:
Die AfD ist durch und durch neoliberal eingefärbt.
Der Kurs von CDU/CSU ist den Gründern der AfD immer noch zu sozial und immer noch zu staatslastig. Die in der nächsten Legislaturperiode drohende große Koalition von CDU/CSU und SPD halten sie für ein Fiasko, weil dadurch die bereits durchgeführten Sozial- und Arbeitsmarktreformen infrage gestellt werden und weitere Reformschritte gar nicht mehr auf die Agenda kommen könnten. Die FDP haben sie abgeschrieben. Die Liberalen haben – mit ihrem kläglichen Personal – in den letzten vier Jahren nichts vorwärts gebracht – und sie werden auch in den nächsten Jahren – so sie denn überhaupt die 5%-Hürde überspringen – nichts vorwärts bringen.
Die gut inszenierte Parteigründung, ein knappes halbes Jahr vor der Wahl, ist ein Geniestreich. Die allgemeine Politikerverdrossenheit der Bevölkerung wird mit interessanten, weil unbekannten Gesichtern in Aufmerksamkeit verwandelt. Die ebenso weit verbreitete Euro-Verdrossenheit der Bevölkerung wird aufgegriffen und der Austritt aus dem Euro zum (alleinig hochgehaltenen) Programmpunkt gemacht.
Es ist zu erwarten, dass die AfD, je nachdem wie sich die Stimmung weiter entwickelt, wie es gelingt, bis zur Wahl zu polarisieren, entweder gar nicht – oder mit einem Stimmenanteil von nahe 20 % in den Bundestag einziehen wird. Die Koalition von sich so nennenden Christen mit den sich so nennenden Alternativen ist dann vorgezeichnet.
Es wird daraufhin in Richtung Euro zaghafte Schritte geben, vielleicht sogar eine Koalitionsvereinbarung, in welcher die Bestrebung, langfristig über Alternativen zum Euro nachzudenken, verankert sein wird, aber mit der CDU wird es niemals den Austritt aus der Währungszone, schon gar keinen Ansatz für ein neues, neutrales, also nicht die Umverteilung förderndes Geldsystem geben.
Ich halte es für möglich, dass die erklärte Euro-Feindschaft der AfD nur der Wurm ist, mit dem die Wähler an den neuen Haken gelockt werden sollen.
Ich halte es für möglich, dass die CDU in der Aussicht auf diesen neuen Koalitionspartner im Wahlkampf sogar eher wohlwollend mit der AfD umgehen wird.
Doch wenn wir dann die AfD gewählt haben, werden wir den Euro behalten und ersatzweise mit weiteren „Reformen“ überzogen werden, dass uns die Schwarte kracht.
Ob mit Präsenzparteitag oder doch mit einer virtuellen Variante:
Begünstigt von der Flüchtlingskrise 2015 ist es der AfD bei den letzten Bundestagswahlen gelungen, stärkste Oppositionspartei zu werden. Es ist ihr aber nicht gelungen, mit diesem Pfund zu wuchern. Die scharfe Anti-AfD-Rhetorik der Altparteien, deren Abgrenzung als „einzig demokratische Parteien“, hat dazu ihren Teil beigetragen, doch die Hauptschuld für den jetzt erkennbaren Schwund der Zustimmung liegt darin, dass es der AfD nicht gelungen ist, sich so aufzustellen und ein entsprechendes Bild von sich zu vermitteln, dass die Wähler ihre Chance erkennen könnten, eine wirksame Opposition im Bundestag zu installieren.
Es ist höchste Zeit, Programmatik und Selbstdarstellung der Partei so zu entwickeln, dass damit nicht mehr nur die Anhänger des einen oder des anderen Flügels in ihren Ansprüchen befriedigt werden, sondern dass sich die Deutschen in alten und neuen Bundesländern, die Unzufriedenen in den politischen Lagern von Union, SPD, FDP und Grünen angesprochen fühlen.
Das wird eine Herkules-Aufgabe. Doch es hat keinen Zweck, sich länger darum herum zu drücken. Das Zeitfenster für eine Partei der nationalen Interessenvertretung schließt sich allmählich wieder.
Es gilt, heute mehr denn je, die Auseinandersetzung mit den Vorstellungen und Zielen der Grünen zu suchen – und die besseren Konzepte und Argumente in die Diskussion zu werfen.
Das ist der Job, den in diesem Lande sonst niemand mehr übernehmen wird.