Vertrauensfrage der Kanzlerin

PaD 12 /2021  – Hier auch als PDF verfügbar: PaD 12 2021 Vertrauensfrage der Kanzlerin

Als Angela Merkel am Mittwoch (24.3.21) im Bundestag aufgefordert wurde, die Vertrauensfrage zu stellen, hat sie das abgelehnt. Sie ist zwar angezählt, hat sich aber mit Mühe noch einmal hochgerappelt. Es wäre auch nicht zu erwarten gewesen, dass die GroKo sich auf den letzten Metern, in den beginnenden Bundestagswahlkampf hinein, schnell noch selbst zerlegt.

Die SPD kann es sich nicht leisten, die Kanzlerin zu stürzen, wenn sie nicht schon vor dem Herbst mit wehenden Fahnen untergehen will – und in der Unionsfraktion, wo man sich immer noch nicht über einen Kanzlerkandidaten einigen konnte, ist es mangels Personalangebot nicht möglich, eine Vertrauensfrage abschlägig zu bescheiden, geschweige denn, ein konstruktives Misstrauensvotum auf den Weg zu bringen.

Die Karre steckt tief im Dreck, und wie weit man auch das Auge schweifen lässt, es ist kein fester Grund in Sicht.

Auch wenn es außer einigen übermütigen Journalisten niemand klar auszusprechen vermag:

Deutschland steckt in der schwersten Regierungskrise sein 1949.

Denn in den sieben Jahrzehnten des Bestehens der Republik gab es zwar schon mehrere Regierungskrisen, aber keine davon schwelte vor dem Hintergrund einer derartig schwerwiegenden realen Krise. Es war im Grunde immer nur politischer Zoff. Heute stehen körperliche und geistige Gesundheit der Bevölkerung und der Bestand der deutschen Wirtschaft im Feuer – und dieses Feuer ist bei weitem nicht eingedämmt. Es lodern die Flammen!

Doch, selbst noch auf dem sprichwörtlichen Scheiterhaufen des Totalversagen ihrer Regierung zu Reue und Abbitte gezwungen,

übernimmt Angela Merkel die „volle Verantwortung“
nur mit der Einschränkung, qua Amt“,

weil sie der Öffentlichkeit vermitteln will, dass sie – als „mächtigste Frau der Welt“ – die Last der Verantwortung  für „Alles + 10 Prozent gratis“ auf ihren Schultern zu tragen habe.

Das ehrt sie in den Augen mancher Beobachter, die nicht müde werden, ihr aus der Übernahme der Verantwortung qua Amt den Kranz der Ehre zu winden.

Aber es ist nichts dran.

Es ist nicht wahr.

Es ist scheinheilige Selbstbeweihräucherung,
noch im Angesicht des Unterganges.

Es gibt in der Bundesrepublik kein solches Amt. Und weil es kein solches Amt gibt,

kann sich Angela Merkel, die Königing der Nacht – Sitzungen

„Gescheitert“ (unter Verwendung des Motivs „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde)
© Marcel Arndt

 

ihrer persönlichen Verantwortung für die von ihr nach ermüdenden Diskussionen und langer Verhandlungspause mitten in der Nacht eingebrachten „erweiterten Ruhetage“ nicht mit Verweis auf ein Amt entziehen.

Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist qua Amt verantwortlich für die Fehlleistungen und Versäumnisse der Bundesministerien, denen gegenüber er die Richtlinien der Politik bestimmt, weil entweder die Richtlinien falsch sind oder die Minister die Richtlinien ignorieren. Sind die Richtlinien falsch, ist der Rücktritt des Bundeskanzlers die angemessene Reaktion. Werden die Richtlinien von Ministern ignoriert, dann ist die Entlassung der Minister die angemessene Reaktion.

Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist nicht qua Amt verantwortlich für die politischen Entscheidungen der Ministerpräsidenten der Länder in Angelegenheiten, die nach den Grundsätzen des Föderalismus Ländersache sind. Der Bundeskanzler ist qua Amt auch dann nicht für die Entscheidungen der Ministerpräsidenten der Länder verantwortlich, wenn diese eine gemeinsame Entscheidung treffen.

Wenn es hier eine Verantwortung der Angela Merkel gibt – und dass es die gibt, daran besteht kein Zweifel – dann ist es die volle und ausschließlich persönliche Verantwortung dafür, den Ministerpräsidenten in letzter Minute nach ermüdenden Diskussionen und Verhandlungen den „rettenden“ Vorschlag unter die Nase zu halten und sie dazu zu bewegen, dieser unausgegorenen Idee ohne jede weitere Prüfung, was auch am Ende des Sitzungsmarathons gar nicht mehr möglich war, zuzustimmen.

Dessen ungeachtet bleibt jedoch auch die Verantwortung jedes einzelnen Ministerpräsidenten bestehen. Weder Herr Kretschmann noch Frau Schwesig, weder Herr Ramelow noch Frau Dreyer haben das Recht (ja, hier geht es um Recht und um Rechtsbruch), die Verantwortung für ihr Land an irgendjemanden zu delegieren. Weder an den Bundeskanzler, noch an den Gesundheitsminister, aber auch nicht an eine „Ministerpräsidenten-Runde“, die einen gemeinsamen Beschluss gefasst hat, hinter dem sich nun alle verstecken und ihre Verantwortung von sich weisen können.

Es gibt kein Verfassungsorgan „Ministerpräsidentenrunde“, das für alle Länder verbindliche Beschlüsse fassen könnte.

Es handelt sich dabei um so genannte „informelle Gremien“, Gesprächsrunden, bei denen man sich abstimmen kann. Die Zustimmung zu einem abgestimmten Ergebnis liegt einzig in der Verantwortung der einzelnen Ministerpräsidenten für ihr eigenes Bundesland.

Es ist auch nicht so, dass diese informelle Abstimmungsrunde in irgendeiner Weise die Ministerpräsidenten legal befugen würde, die Verantwortung für ganz Deutschland zu übernehmen. Im Gegenteil! Der mit solchen Runden hergestellte Konformitätszwang, flankiert von massiven parteipolitischen Interessen und Kuhhandeln, ist vom Grundgesetz nicht gewollt und in den dort vorgeschriebenen, strukturellen Verknüpfungen von Bund und Ländern nicht angelegt.

 

Zurück zu Angela Merkel

zu ihrem neuerlichen, den Rahmen des Grundgesetzes sprengenden, alternativlosem Aktionismus, werden durchaus auch entschuldigende Argumente vorgetragen.

Diesen Argumenten liegt die Idee des „übergesetzlichen Notstands“ ebenso zugrunde, wie die Idee der „Notwehr“ und des „Mundraubs“, sowie die beamtenrechliche Figur der „Remonstration“ und letztendlich die Verpflichtung zur Befehlsverweigerung wenn die Befolgung eines Befehls eine Straftat oder einen schweren Verstoß gegen den Kerngehalt des Völkerrechts zur Folge hätte.

Keines dieser Argumente hält jedoch einer vernünftigen Prüfung stand.

Die Bundesregierung hat sich am 18. November 2020 das neue Infektionsschutzgesetz nach nur einstündiger Debatte vom Parlament abnicken, es am gleichen Tag durch den Bundesrat bestätigen und vom Bundespräsidenten unterschreiben lassen. Mit diesem Gesetz wurden die Befugnisse der Länder dahingehend erweitert, dass sie Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebote, eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum, die Schließung von Geschäften und die Absage von Veranstaltungen erlassen können. Das Bundesgesundheitsministerium wurde zudem in beispielloser Weise ermächtigt, nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag, ohne weitere parlamentarische Kontrolle quasi nach Belieben und unter Verletzung von Grund- und Menschenrechten, gesundheitspolitisch schalten und walten zu dürfen.

Die Bundesregierung hat sich damit nachträglich vom Gesetzgeber die Erlaubnis für eine Reihe schon vorher ergriffener, rechtlich nicht abgesicherter, also illegaler Maßnahmen, erteilen lassen.

Ein signifikanter Unterschied in der pandemischen Lage ist zwischen zweiter Welle im Spätherbst 2020 und heraufziehender dritter Welle im März 2021 nicht feststellbar.

Wenn dieses vom Parlament, letztlich blind und im Vertrauen auf den Entwurf der Regierung verabschiedete Gesetz, im November derartige Lücken aufgewiesen haben sollte, dass Angela Merkel gezwungen war, ohne jegliche verfassungsmäßige Autorisierung das Heft des Handelns weiterhin und immer wieder  an sich zu reißen, dann liegt die Vermutung nahe, dass es sich nur um den Versuch gehandelt haben könnte, die intensiv vorgetraenen und berechtigten juristischen Bedenken der Kritiker des Regierungshandelns durch nachträgliche und für die Zukunft geltende Ermächtigungen zu entkräften, mit dem Hintergedanken, wenn es darauf ankäme, auch die Schranken dieses Gesetzes in bewährter Manier wiederum zu übertreten und ggfs. nachträglich nachzubessern.

Es besteht jedoch sehr wohl ein signifikanter Unterschied in Bezug auf die Kollateralschäden in der Wirtschaft, sowie in der Stimmungslage der Bevölkerung nach einem fortwährend verordneten Lockdown, bei dem die Rücknahme so genannter Lockerungen schneller beschlossen wird als die Lockerungen überhaupt wirksam werden können.

Wie ist nun die Lage?

Ernst, aber nicht hoffnungslos, oder hoffnungslos, aber nicht ernst?

Dieses Mal gibt es kein „Aber“ sondern nur ein „Und“.

 

Die Lage ist ernst, Frau Merkel, und unter Ihrer Kanzlerschaft hoffnungslos!

Treten Sie zurück!