Westküsteninferno

Wir – quatsch! –

Die Mitteleuropäer können über die jetzt sichtbaren, farbenprächtigeren Sonnenauf- und untergänge am Brandgeschehen an der Westküste der USA indirekt teilhaben, weil sich der Rauch von 20.000 Quadratkilometern abbrennender Wälder inzwischen über die Ostküste und den Atlantik bis zu uns ausgebreitet hat. Wohin sich der Rauch der brennenden brasilianischen Urwälder verzieht wird uns von den ARD-Meteorologen nicht allabendlich im Wetter vor acht mitgeteilt, doch darf davon ausgegangen werden, dass sich auch davon genug in der irdischen Atmosphäre befindet, um Sonnenauf- und Untergänge farblich aufzumotzen.

Aber bleiben wir in den USA. Die Fernsehbilder von der Flammenfront sind beeindruckend. Von verbrannten Siedlungen sind nur die Fundamente übrig, was für eine sehr natürliche, ökologische Bauweise spricht, bei der nicht in riesigen Höllenmaschinen Kalk zu Zement gebrannt werden muss, um Beton zu gießen, wo auch nicht Ton und Sand in riesigen Backöfen zu Ziegelsteinen verwandelt werden, sondern einfach nur Bäume gefällt und zu Brettern und Balken geschnitten und die dabei entstehenden Abfälle zu Spanplatten verpresst werden. 

Um die eigene Umwelt zu schützen, wird das für den Haus- und Möbelbau benötigte Holz allerdings bevorzugt nicht im eigenen Lande geschlagen, sondern importiert.

Im Jahre 2018 führten die USA folgende Holzmengen ein:

Herkunftsland Nadelschnittholz
Kubikmeter
Kanada 16.100.000
Deutschland 451.000
Schweden 251.000
Brasilien 236.000
Chile 153.000

Schon spannend, in welchem Maße die deutsche Waldwirtschaft mithilft, den Holzhunger der USA zu befriedigen. Die Waldfläche Kanadas liegt bei 3.470.690 Quadratkilometern, die Waldfläche Deutschlands nur bei 114.190 Quadratkilometern.

Die USA verfügen über bewaldete Flächen im Umfang von 3.100.950 Quadratkilometern. Provokant ausgedrückt, könnte die ganze wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland also mehr als acht – fast neun – Mal alleine in den Wäldern der USA versteckt werden.

In den USA braucht man die Wälder allerdings, um im Wahlkampf wichtige Stimmen zu erringen, indem man Waldbrände politisch instrumentalisiert. Ohne Waldbrände entfiele ein wichtiges innenpolitisches Thema – und das wäre doch schade, weil dann andere Themen in den Vordergrund treten würden, an denen man sich weit weniger gerne abarbeitet.

Das Schema sieht momentan so aus, dass die Demokraten davon ausgehen, dass es brennt, weil Donald Trump als Klimaleugner daran schuld ist, dass die Durchschnittstemperaturen in den betroffenen Bundesstaaten in den letzten dreißíg Jahren um ein Grad Celsius angestiegen sind, während die Republikaner behaupten, dass es brennt, weil die Demokraten aus grün-ökologischen Gründen aufgehört haben, das Totholz aus den Wäldern zu räumen, so dass das Feuer überall fix und ofenfertig vorbereitetes, zundertrockenes Brennholz vorfindet und sich auch dann ausbreiten kann, wenn der noch lebende Baumbestand eine weitaus geringere Brandneigung hätte.

Wer über einen Kachelofen oder eine andere, holzbefeuerte Kleinfeuerungsanlage verfügt, weiß, dass deutsche Gründlichkeit in der Kleinfeuerungsanlagenverordnung festgelegt hat, dass Kaminkehrer die Holzfeuchte des gelagerten Brennmaterials zu untersuchen haben, wobei sich eine zulässige Holzfeuchte erst einstellen, wenn das Brennholz mindestens drei Jahre lang, vor Regen geschützt, im Freien gelagert wurde. Vorher ist die Feuchtigkeit zu hoch, das Holz brennt nicht nur schwer an, der hohe Wassergehalt erschwert auch die vollständige Verbrennung, so dass weder die mögliche Heizleistung erreicht, noch der Schadstoffgehalt der Rauchgase auf das unvermeidliche Ausmaß reduziert wird.

Die Argumentation Trumps hat also ihre Berechtigung. Trockenes Holz entzündet sich leichter und brennt vollständiger bei größerer Hitze-Entwicklung ab als das Holz eines stehenden Waldes. Die Argumentation Bidens ist insoweit auch korrekt, als höhere Durchschnittstemperaturen bei unzureichenden Niederschlägen dazu führen, dass auch der stehende Wald leichter in Brand zu setzen ist – dass dies auf das Totholz umso mehr zutrifft, bedarf allerdings keiner Erwähnung und wird daher auch nicht erwähnt.

Die deutsche Gründlichkeit hat aus dieser Überlegung heraus in ihrer klugen Föderalität länderspezifische Gesetz erlassen, die offenes Feuer, ja sogar das Rauchen im Wald, nur während der Wintermonate erlauben, weil da die Waldbrandgefahr niedrig ist.

Wenn also beide Seiten insoweit recht haben, dass nämlich die Durchschnittstemperaturen gestiegen sind und Totholz wie ein Brandbeschleuniger wirkt, dann wäre es – ganz im Sinne deutscher Gründlichkeit – zunächst einmal geboten, den Brandbeschleuniger aus dem Wald zu entfernen, weil sich die Schadfeuer dann weniger schnell ausbreiten würden und leichter zu bekämpfen wären. Dann könnte man geduldig darauf warten, ob die scheineuropäischen Anstrengungen Deutschlands zur Dekarbonisierung nicht schon ausreichen, um die Durchschnittstemperaturen wieder zu senken, ohne dass deswegen auch gleich die US-Wirtschaft ruiniert werden muss.

Außerdem ist unsere Erde ein wunderbares Ding, voller zum Teil noch vollkommen unverstandener Regelkreise, die darauf ausgelegt sind, diesen Planeten als angenehmen Aufenthaltsort für das Leben zu erhalten. Relativ sicher wisssen wir, dass die jetzt noch für Monate  in der Erdatmosphäre verbleibenden Feinstaubpartikel in der Lage sind, die am Boden ankommende Sonneneinstrahlung um ein paar Prozent zu reduzieren, so dass die Feuer selbst zu einer Abkühlung beitragen. Je mehr es brennt – desto mehr darf auf Abkühlung durch den atmosphärischen Filtereffekt gehofft werden.

Im Übrigen brennt es seit Menschengedenken in allen großen Wäldern dieser Erde immer wieder. Ob in Russland oder in Kanada, ob in den USA oder in Brasilien, ob in Asien oder Australien, die Wälder brennen – alle Jahre wieder – manchmal mehr, manchmal weniger. Nach einer Weile sind die Feuer dann wieder aus und das vermehrt in der Luft vorhandene Kohlendioxid ermöglicht im Zusammenwirken mit der mineralstoffreichen Asche ein schnelles, prächtiges Ergrünen der Natur.

Es sollte bei aller politischer Schuldzuweisung und ideologischem Kriegsgeheul auch nicht vergessen werden, dass in Kalifornien, Oregon und Washington (Staat, nicht Hauptstadt) zwar 20.000 Quadratkilometer brennen, bzw. schon verbrannt sind, dass dies jedoch im Verhältnis zur Gesamtfläche der Wälder der Erde nicht mehr ist, als ein Tag im Verhältnis zu fünfeinhalb Jahren, oder wie eine Flasche Mineralwasser im Verhältnis zu  166 Kästen mit 12 Flaschen, und, dass der Wald wieder nachwächst, wenn man ihn nicht daran hindert.