Was ist die AfD?

Die Frage:

Sehr geehrter Herr Kreutzer,

seit einiger Zeit versuche ich, die AfD politisch einzuordnen, es ist mir bisher nicht gelungen. Begriffe wie „konservativ“ oder „rechts“ sind da nicht ausreichend. Die Stellung der Partei zu Euro, EU, Asyl und Corona sind bekannt, aber ist es eine nationalistische, neo-liberale Partei? Einiges spräche dafür, trotzdem passt es nicht. Ist es eine nationalsozialistische Partei? Das wird ja in der Kurzform „Nazi“ gerne von den Gegnern in die Runde geworfen, und es gibt tatsächlich einzelne Parteimitglieder, die sich verdächtig am rechten Rand bewegen. Aber an den Inhalten der Partei kann ich das nicht festmachen.

Ich habe Menschen in meinem Umfeld nach ihrer Einschätzung gefragt, da kamen keine überzeugenden Vorschläge. Ich habe sogar einen AfD-Politiker aus Hessen gefragt, der hat zwar zu erklären versucht, aber ich fand ihn nicht konkret genug und nicht überzeugend. Nun ja, ich komme nicht mehr weiter, und offensichtlich kommen viele Menschen, die versuchen, die AfD zu verstehen, nicht weiter. Aber immer wieder hört oder liest man in Zusammenhang mit der AfD: „Nazis!“ Das lässt die AfD für die Bürger in einer Ecke erscheinen, wo sie nicht hingehört.

Wäre es vielleicht ein Tagesthema wert, einzuschätzen, wo die AfD politisch einzuordnen ist? Da scheint große Unsicherheit zu herrschen, und eine Klärung wäre interessant für AfD-Anhänger und -Gegner.

Mit freundlichen Grüssen

Karl G.

Die Antwort:

Als Alexander Gauland vor zwei oder drei Jahren erklärte, seine Partei sei halt „ein gäriger Haufen“, war das vielleicht die zutreffendste Beschreibung, die man seinerzeit für die AfD finden konnte. Betrachtet man die AfD heute, scheint der Gärungsprozess sich verlangsamt zu haben. Es brodelt nicht mehr so stark im Kessel, doch zu Ende ist es noch nicht. Es besteht sogar die Gefahr, dass der „Wein“ nach der vollständigen Vergärung sowohl seine fruchtige Säure als auch die verführerische Süße des einstigen „Federweißen“ verloren haben könnte. Doch noch ist die AfD nicht ganz tot.

Um zu diesem Punkt der Erkenntnis zu gelangen, ist es erforderlich die Geschichte der Alternative für Deutschland ganz kurz zu streifen. Es war Bernd Lucke, der Volkswirtschafts-Professor aus Hamburg, der die AfD „geschaffen“ hat. Mir ist er schon Jahre zuvor aufgefallen, als er sich als einer der Initiatoren des „Hamburger Appells“ hervorgetan und eine strikt neoliberale Agenda vorgeschlagen hatte. Damit habe ich mich am 30. Juni 2005 intensiv und zornig auseinandergesetzt. Hier noch einmal zum Nachlesen aus dem Archiv gehoben.

Es vergingen von diesem ersten Aufmucken Luckes bis zur Parteigründung noch einmal acht Jahre. In diesen acht Jahren wurde die Welt von der großen Finanzkrise durchgeschüttelt und in der EU wurden die Rettungsschirme für den Euro, die Banken und die Staaten aufgespannt, wobei unschwer zu erkennen war, dass Deutschland schon vom regulären Verteilungsschlüssel her die Hauptlast zu tragen haben würde, dass sich dieser Verteilungsschlüssel aber, wenn es darauf ankommen sollte, als Fata Morgana entpuppen würde, weil kaum ein Euro-Staat außer Deutschland wirklich in der Lage sein würde, seinen Anteil an den Lasten und Verpflichtungen zu tragen.

Es heißt, weil Angela Merkel die Euro-Rettung als „alternativlos“ bezeichnet hatte, hätte sich die AfD ihren Namen „Alternative für Deutschland“ gegeben. Diese Alternative sah so aus, dass heftige Kritik am Euro, aber auch an der EU formuliert wurde, mit dem Ziel, die Bundesrepublik aus der Umklammerung der EU zumindest soweit wieder zu lösen, dass Nutzen und Kosten wieder in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stünden.

Ob es beabsichtigt war oder nicht, ist kaum festzustellen, jedenfalls fühlten sich von dieser Tendenz zur EU-Skepsis sehr viele angezogen, die diesen Aspekt als „nationalistisch“ interpretierten und glaubten, in der AfD eine neue Heimat finden zu können, nachdem NPD und DVU nur noch kraftlos vor sich hin dümpelten. Mit Beginn der Merkel-Jahre und ihrer immer weniger „konservativen“ Politik-Entscheidungen wandten sich auch mehr und mehr ehemalige CDU- und CSU- Wähler und -Mitglieder der AfD zu, während Gründervater Lucke die Partei wieder verließ und später erfolglos eine neue, eigene Partei gründete.

Der Ansatz einer ökonomischen Wende war fehlgeschlagen. Die volkswirtschaftliche Zielsetzung wich einer pauschalen EU-Kritik. Die westlich sozialisierten Mitglieder aus den Alt-Parteien der alten Bundesländer wandten sich gegen den von Merkel eingeleiteten Linksruck, die in den neuen Bundesländern sozialisierten Mitglieder entdeckten bald das Problem der „Überfremdung“ und der „Islamisierung“. Dies war – und ist – nur ein scheinbarer Widerspruch. Es handelt sich vielmehr um die Bandbreite des konservativen Wertespektrums, das bei der Wahrung nationaler Interessen beginnt und den Bogen bis zur strikten Wahrung der Interessen des „deutschen Volkes“ spannt.

Mit dem Paukenschlag der Grenzöffnung 2015 gewann der rechte Flügel der AfD massiv an Zustimmung. Dies wiederum veranlasste das linke politische Spektrum der Republik, die ganz große Nazi-Keule aus der Asservatenkammer zu holen und wahllos auf alles einzuprügeln, was beim Erklingen der „Internationale“ so schweigsam blieb, wie „Die Mannschaft“ beim Erklingen der Nationalhymne.

Hierin, im so genannte „Kampf gegen rechts“ sehe ich übrigens den ausschlaggebenden Faktor für die heute erreichte Ununterscheidbarkeit von Union, SPD und Grünen. Man hat sich verbündet, und sich gegenseitig, oft wider besseres Wissen, gegen die Kritik der AfD verteidigt. Damit wurde der Brei angerührt, der Union und SPD marginalisiert und die Grünen groß gemacht hat. Weil man es sich strikt verboten hat, der AfD auch nur im einfachsten Einzelfall zuzustimmen, hat man sich zugleich gezwungen, die eigenen „Markenkerne“ aufzugeben oder bis zur Unkenntlichkeit abzuschleifen, und Angela Merkel hat dies aus machtpolitischem Kalkül soweit gefördert, dass sie – und das ist nur geringfügig übertrieben – im Zweifelsfall mit den Stimmen von Grünen und SPD alleine hätte regieren können.

Was hat das mit der AfD gemacht?

Das, was anfänglich als „Bandbreite“ des konservativen Wertespektrums noch als „Einheit“ angesehen werden konnte, ist zerbrochen. Die „Wessis“ bekamen kalte Füße und distanzierten sich von den Ossis, versuchten also, wieder näher an die Union und die FDP heranzurücken, während die Ossis zur Überzeugung gelangten, nur mit einer absolut klaren und unverschwurbelten Darstellung ihrer Position, sei bei den Wählern der entscheidende Blumentopf zu gewinnen.

Der Effekt war für beide Flügel sehr ähnlich. Die Altparteien distanzierten sich mit Verweis auf den Höcke-Flügel noch ein Stück weiter. Der Versuch, Nähe und Anschluss zu finden, scheiterte für den gemäßigten Flügel daran, dass Union, SPD und Grüne noch weiter nach links und noch enger zusammen rückten und damit die „unüberwindliche Distanz“ zur AfD wahren konnten. Sehr deutlich im aktuell laufenden Bundestagswahlkampf daran zu erkennen, dass der derzeitige Umfragen-Gewinner, Olaf Scholz, eine Regierungsbildung mit den Stimmen der mehrfach umbenannten SED ums Verrecken nicht ausschließen will. Die Einstufung des „Flügels“ als Verdachtsfall des Verfassungsschutzes hat nach meiner Einschätzung dazu beigetragen, dass man im Umfeld Höckes gelernt hat, im Ernstfall zu schweigen und ansonsten seine Ziele mit moderateren Formulierungen zu umschreiben.

Es gibt noch einen zweiten Effekt, der darin besteht, dass die AfD angesichts der völligen Aussichtslosigkeit in eine Regierungskoalition aufgenommen zu werden, in ihrer programmatischen Arbeit irgendwie stehengeblieben ist. Mit dem Migrationsthema laufen sie immer wieder gegen die gleiche Mauer der Ablehnung, ihrer EU-Kritik fehlt es an jenem Feuer der Leidenschaft, mit dem z.B. Nigel Farage den BREXIT vorangetrieben hat. Sozialpolitisch wirken die alten Weisheiten Luckes noch nach, was Arbeitslose, Unterbeschäftigte, Geringverdienende und Rentner nicht gerade anspricht, während die Großspender für Union, SPD und Grüne sich darauf verlassen, dass die Folterinstrumente, die die AfD vorzeigt, schon auch von den anderen Parteien angewendet werden, wenn die Zeit der Wahlgeschenke erst einmal wieder vorüber ist. Innenpolitisch läuft die AfD den Altparteien letztlich hinterher, die sich ja in Bezug auf immer mehr Überwachung und Polizei-Aufrüstung völlig einig sind, wenngleich auch mit verschiedenen Zielgruppen.

Was ist also die AfD?

Im Großen und Ganzen würde ich die AfD von heute mit der Union von vor vierzig Jahren in die gleiche Schublade stecken. Alfred Dregger am rechten Flügel ganz nah bei Björn Höcke, Franz Josef Strauß statt Alexander Gauland, Norbert Blüm und die sicheren Renten anstelle von Jörg Meuthen.

Damit ist auch die Frage beantwortet, ob es sich bei der AfD um eine „Nazi-Partei“ handelt.

Es kommt dabei nur darauf an, was man unter einer „Nazi-Partei“ verstehen will. Sieht man darin die NSDAP Adolf Hitlers, den Kollektivismus und Faschismus, die Rassenlehre und den Führerkult, dann lautet die Antwort „nein“.

Begreift man jedoch, dass der Begriff „Nazi“ durch milliardenfachen Gebrauch so abgenutzt und sinnleer geworden ist, dass der siebenjährige Mustafa dem ebenfalls siebenjährigen Lukas auf dem Schulhof ganz selbstverständlich nachruft: „Hau ab, du Nazi!“, dann zeigt sich, dass „Nazi“ ebenso zum gegenstandslosen Schimpfwort geworden ist, wie „Affe“, „Arschloch“, „Blödmann“ oder „Vollpfosten“.

Nur im linksgrünen Universum wird die (eigene) Realität durch Sprechakte geschaffen.

Die Wirklichkeit bleibt davon jedoch unberührt.

Mehrere Radfahrer beiderlei Geschlechts, die auf der Terrasse eines Ausflugslokals eine Mahlzeit einnehmen, werden nicht aufs Rad gezwungen und damit zu Radfahrenden, nur weil sie vorsätzlich so bezeichnet werden. Der Autofahrer, der beim mühsamen Einparken minutenlang die Straße blockiert, wird nicht von starken Männern abgeholt und in die geschlossene Anstalt transportiert, nur weil ihn zehn betroffene Autofahrer als „Idiot“ beschimpft haben. Auch konservative Politiker und deren Wähler, die ganz selbstverständlich nationale Interessen wahren wollen, werden nicht zu Nazis, nur weil sie vorsätzlich so bezeichnet werden.

Die AfD füllt den Platz im Parteienspektrum aus, den CSU und der rechte Flügel der CDU freigemacht haben. Von daher wird, wer niemals Strauß oder Stoiber unterstützt hätte, heute auch niemals AfD wählen. Es hat eben – und das ist ein Vorteil der Demokratie – jeder Wähler mit seiner Stimmabgabe die Möglichkeit, festzustellen, ob seine politischen Vorstellungen am Ende eine Mehrheit Gleichgesinnter gefunden haben, oder nicht.

Im Augenblick gibt es für die AfD – aus welchen Gründen auch immer – keine Chance einer Regierungsbeteiligung. Sie wird auch in der nächsten Legislaturperiode wieder keinen stellvertretenden Bundestagsvorsitzenden nominieren können, der vom Parlament angenommen würde.

Das, was der Wähler am 26.09.2021 einzig zu entscheiden hat, ist die Frage, ob die künftige Koalition von der Saskia Esken-Walter-Borjahns und Kevin-Kühnert-SPD angeführt wird, oder von den Annalena Baerbock-Robert Habeck-Kathrin Göring-Eckardt und Claudia Roth-Grünen, oder ob es die Markus Söder-Armin Laschet und Jens-Spahn-Union noch einmal schaffen wird.

Wie vor ewigen Zeiten könnte dabei wieder einmal die FDP als das Zünglein an der Waage fungieren.

Ein letztes Mal die Frage: Was ist die AfD?

Und eine letzte Antwort: Opposition.