Verlängerung der Notlage

(Achtung: Wichtige Ergänzung am Schluss des Beitrags 09.06.2021 12.30 Uhr)

Ja, dieses Ding, mit der epischen Breite und der nationalem Trächtigkeit, oder so. Den Namen kann man sich nicht merken, ohne ihn zwangsläufig verballhornen zu müssen. Und das wollen sie jetzt verlängern. Bis nach der Bundestagswahl. Vorerst.

Mit dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ käme ich ja sprachlich besser zurecht. Vor allem, weil es auch semantisch sehr viel eher einen Sinn ergibt. Doch wer „Ermächtigungsgesetz“ sagt oder schreibt oder denkt oder träumt, der verunglimpft damit das Ansehen jenes deutschen Volkes, das die Ermächtigung bis zur Befreiung der Überlebenden zu erleiden hatte, und zugleich vertauscht er wie ein Hütchenspieler so lange die ehedemige Diktatur von nationaler Tragweite mit der epischen Breite der GroKo-Demokratie, bis niemand mehr weiß, welches Hütchen welches Geheimnis birgt, was die Leute davon abhalten könnte, sich zu einer Wette auf bessere Zeiten überreden zu lassen.

Also bleiben wir bei der „Epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ und wundern uns, warum hier der Begriff „Nation“ verwendet wird. Hätte nicht eine „gesamtstaatliche Tragweite“ sehr viel weniger, na ja, „völkisch“ geklungen? Die Möglichkeit, dass hier in einer Begriffsbildung die „Seuche“ und die „Nation“ in einen engen Zusammenhang gebracht werden sollten, ist vermutlich zu weit hergeholt. Wahrscheinlich sollte nur jener Akzent des Heroismus, der in der „Nation“ mitschwingt, das Volk motivieren, dem Virus bis zum letzten Hemd Widerstand zu leisten, wie das Gesetz es befiehlt.

Das Gesetz, übrigens, braucht nicht verlängert zu werden. Es ist schon lang genug und die Zahl der darin beschlossenen Ermächtigungen ist auch vollkommen ausreichend. Es verliert auch nicht zum 30. Juni seine Gültigkeit. Es ist – so ähnlich wie die Wehrpflicht oder die Vermögenssteuer – lediglich außer Vollzug, bis die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages beschließt festzustellen, dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite gegeben sei.

Nun soll aber, nach dem Willen der Parteioberen von CDU, CSU und SPD der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen feststellen, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite unterbrechungsfrei fortbesteht, und das noch mindestens bis zum 30. September 2021.

Die Anzahl der möglichen Begründungen dafür ist mittlerweile stark geschrumpft:

  • Die Summe der falsch- und richtig-positiven PCR-Testergebnisse aus der jeweils jüngsten 7-Tages-Periode, umgerechnet auf 100.000 Einwohner, strebt zügig gegen null.
  • Die Versorgung der Bevölkerung mit FFP2-Masken und Händesterilisations-Mitteln ist gesichert.
  • Die Zahl der von Covid-Patienten belegten Betten in den Intensivstationen gibt keinerlei Anlass zur Besorgnis.
  • Selbst der R-Wert hat sich dauerhaft hinter sein Komma zurückgezogen.

Wo also ist die Notlage? Wo ist die Epidemie?

Als Argument bleibt eigentlich nur noch die „Nationale Tragweite“ übrig. Aber woran will man die festmachen? 

Das Nationale der Tragweite kommt aus dem Verantwortungsbewusstsein der politischen Führungsfiguren aller „faktengecheckt demokratischen“ Parteien. Wikipedia weist mit einem einzigen klugen Satz von Benedict Anderson den Weg dahin:

Der Begriff „Nation“ erweist sich als ein Konstrukt, das wirksam wird,
indem Menschen sich handelnd auf ihn beziehen.

Das Heben der Hand der Abgeordneten zur Abstimmung über die Feststellung der epidemischen Notlage ist zweifellos genau ein solcher handelnder Bezug, der das Konstrukt Nation wirksam werden lässt. Ohne Abstimmung über die Feststellung der Notlage gibt es folglich keine Nation, keine nationale Tragweite, kein gar nichts. Erst mit der Abstimmung erhält das Konstrukt Form und Farbe, rückt aus der Welt von Wille und Vorstellung in den Bereich materieller Realität – und siehe da: Mit der Abstimmung tritt die Nation als Herde in Erscheinung, der die Immunität fehlt.

Ohne Herdenimmunität ist die Nation jedoch in einer epidemischen Notlage sondersgleichen, zumal die letzten 15 Monate gezeigt haben, wie sehr es den Hirten an Ressourcen und Fähigkeiten gebricht, die Herde vor einer Virus-Infektion zu schützen.

Da muss es den Hinter- und den Vorderbänklern im Bundestag doch edelste Pflicht sein, ihren Führungskräften das gesamte Arsenal verfassungsbrechender Waffen so lange zur Verfügung zu stellen, bis die Herdenimmunität gegen Sars-Cov-2 mit allen Mutationen von A bis Z erreicht ist.

 

… und wenn dann das chinesische Virus im Nationalstaat von der Herdenimmunität in die Flucht geschlagen ist, dann wird man sich die Frage stellen müssen, ob man sich mit dem Corona-Virus zufriedengeben kann. Schließlich gibt es da auch noch die gemeine Influenza, ganz zu schweigen von den todbringenden Masern, der Hepatitis, den schlimmen Herpesviren.

Danach wird man das Gesetz dann ändern müssen, vor allem den Namen. Nur mit einem „Gesetz zum Schutze der Bevölkerung vor pathologisch relevanten Folgen falscher Lebensführung von nationaler Tragweite“ kann es gelingen, zum Beispiel auch die Volksseuchen? Bevölkerungsseuchen? Hypertonie und Adipositas auszurotten.

So werden noch viele Bundestage brav die Hand heben und die nationale Tragweite feststellen. So lange, bis die Erinnerung an Grundgesetz und Grundrechte vollständig erloschen und damit auch in dieser Hinsicht volle Herdenimmunität erreicht sein wird.

 

Inschrift auf dem Tor zur Hölle, Dante, Inferno:

Durch mich geht man hinein zur Stadt der Trauer,
Durch mich geht man hinein zum ewigen Schmerze,
Durch mich geht man zu dem verlornen Volke.

Gerechtigkeit trieb meinen hohen Schöpfer,

Geschaffen haben mich die Allmacht Gottes,
Die höchste Weisheit und die erste Liebe

Vor mir ist kein geschaffen Ding gewesen,

Nur ewiges, und ich muss ewig dauern.
Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“

Ergänzung

Ein Leser schreibt mir, es könnte sein, dass die „Epidemische Notlage von nationaler Bedeutung“ (auch) deshalb aufrecht erhalten werden soll, weil sonst die Notfallzulassungen für die Impfstoffe ihre Gültigkeit verlieren würden.
Das halte ich für eine schlüssige Überlegung:

Ohne Pandemie kein zugelassener Impfstoff, ohne Impfstoff, keine Impfung. Jedenfalls so lange nicht, bis die reguläre Zulassung erfolgt ist, und dafür ist momentan ein Endtermin nicht absehbar.

Damit bin ich dann aber wieder bei der Herdenimmunität, die nun einmal unbedingt über die Massenimpfung mit experimentellen Impfstoffen erreicht werden soll.