Sankt Ionismus und der Ölpreisdeckel

Während ich beginne, diesen Artikel zu schreiben, schlagen in der Ukraine erneut Raketen, Marschflugkörper und Drohnen ein. Kurz vorher hatte ich auf ntv ein Interview mit Wolfgang Ischinger (Münchner Sicherheitskonferenz) gesehen, der erklärte, Russland habe noch sehr viele Möglichkeiten, diesen Krieg zu führen, auf Provokationen zu reagieren und sich zu verteidigen. Die neuerliche Angriffswelle auf strategische Ziele in der Ukraine scheint diese Auffassung zu bestätigen und sie ist zumindest ein Indiz dafür, dass die russischen Magazine noch nicht leergeschossen sind, wie von einigen Kommentatoren vermutet wird.

Lassen wir aber den Pulverdampf des heißen Krieges in der Ukraine sich erst einmal wieder verziehen und werfen stattdessen einen Blick auf die jüngste Sanktionswelle der EU – und da auf den Ölpreisdeckel.

Diese Idee der Kommission, mit der ein Höchstpreis für Erdöl aus Russland durchgesetzt werden soll, ist von so formschöner Naivität, dass es an der Zeit wäre, ein Reiterstandbild Ursula von der Leyens auf dem Markplatz von Schilda zu errichten.

Dabei muss man noch nicht einmal auf das schwarze Schaf  der EU, Victor Orban, blicken, der nach wie vor günstige Energie aus Russland bezieht und nun beschlossen hat, von der durch Ungarn laufenden Druschba-Öl-Pipeline eine Abzweigung nach Serbien zu bauen, um die Serben, die durch das neue Sanktionspaket von russischem Öl abgeschnitten werden, mit preiswertem Öl zu versorgen. Man muss auch nicht auf die Mehrheit der Staaten dieser Welt schauen, die sich nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligen, sondern – zumindestens einige davon – auch noch von den Sanktionen profitieren.

Es genügt vollständig, sich klarzumachen, welche Schockwellen die Ankündigung der EU, für russisches Öl nur noch einen von der EU festgesetzten Höchstpreis bezahlen zu wollen, im Kreml ausgelöst haben mögen. Ist da vielleicht irgendwo der Stuck von der Decke gefallen?

Klar, auch heute wieder habe ich gelesen, ein Experte hat das geschrieben, dass Putin pleite sei. Das ist Blödsinn.

Es ist möglich, dass Russland die Devisen ausgehen. Das hat sehr viel damit zu tun, dass der Westen die russischen Auslandsguthaben entschädigungslos kassiert hat. Schlagen Sie mich tot, wenn ich die falsche Zahl im Kopf habe: Ich glaube es handelte sich um rund 60 Milliarden Dollar.

Russland hat darauf reagiert, indem es seinen Sanktionsfolterknechten erklärte, es nehme für Öl- und Gaslieferungen von diesen nur noch Rubel an. Der Lärm im Westen, über diese „unverschämte Forderung“ hat nicht lange angehalten. Es fließt weiterhin russisches Öl in westliche Staaten, sogar in die USA, und vermutlich wird dafür auch, soweit nicht über Drittstaaten, wie z.B. Indien, eingekauft wird, in Rubel bezahlt, was die russische Währung inzwischen ungemein gestärkt hat.

Der Witz dabei ist allerdings: Was will Russland überhaupt noch mit Dollar- und Euro-Reserven anfangen? Es gibt ja praktisch nichts mehr, was die Russen wirklich brauchen könnten und was vom kollektiven Westen auch noch nach Russland geliefert würde. Die Ausfuhrverbote wirken, schon weil jedes  privatwirtschaftliche Unternehmen weiß, dass die USA nicht zögern würden, es schon im bloßen Zweifelsfall zu ruinieren. Das hat man deutlich gesehen, als sich die am Bau von North Stream 2 beteiligten Unternehmen superschnell verkrümelt haben, als die USA die entsprechende Drohung ausgestoßen haben.

Natürlich hat Russland jedes Recht der Welt, für seine Produkte Weltmarktpreise zu fordern. Es passiert gerade das, was die Propheten seit Jahrzehnten ankündigen, nämlich die Ölpreisexplosion aufgrund nachlassender Fördermengen. Stichwort: Peak Oil.

Nur dass die Reserven eben noch lange nicht erschöpft sind, sondern die westlichen Staaten das Angebot russischen Öls und russischen Erdgases einfach nicht mehr annehmen wollen.

Die OPEC hat auf diesen Blödsinn bereits reagiert, indem sie eine spürbare Kürzung der Fördermengen beschlossen hat. Das ist nicht ohne Wirkung auf die Weltmarktpreise geblieben, und wenn sich die EU jetzt dazu aufschwingt, wirklich auch die letzten Kanäle, über die russisches Öl in die EU geflossen ist, zuzuschütten, dann wird der Weltmarktpreis für Öl noch weiter durch die Decke gehen, während in der EU die Lichter und die Heizungen ausgehen und die Tankstellen zu reinen Getränkemärkten verkommen. Ein Blick nach England genügt, um die Folgen zu erkennen, obwohl es da – wie es heißt – gar nicht an Öl mangelt, sondern an LKW-Fahrern. Eine Entwicklung, die sich mit der Einführung des Bürgergeldes in Deutschland auch in Deutschland durchsetzen könnte, weil sich viele Menschen einfach dadurch besser stellen, dass sie nicht arbeiten und sich ihre Miete und Heizkosten vom Staat bezahlen lassen, statt mit kleinem Einkommen aus der Vollzeitbeschäftigung aus den Geldsorgen gar nicht mehr herauszukommen. 

Wenn dieser Ölpreisdeckel also kommt, der ja nichts ist als der Exzess der Befriedigung grüner Dekarbonisierungsgelüste, in unheiliger Allianz mit dem Versuch der USA, ihre längst löchrig gewordene, weltumspannende Hegemonie neu zu erzwingen, dann ist in ein paar Monaten nicht nur die EU am Ende, sondern auch alle Einzelstaaten, in die sie zerfallen wird. Um das zu vermeiden, wird sich eine Anhebung des Deckels, in mehreren Stufen, bis das Marktpreisniveau erreicht ist, nicht vermeiden lassen.

Aus der Medizin weiß man, dass ein Medikament, das nicht zu einer Besserung führt, auch dann nicht, wenn man die Dosis stark erhöht, für den Patienten immer gefährlicher wird, je länger und je mehr davon verabreicht wird. Wenn ich mich recht erinnere, hat Ursula von der Leyen mal Medizin studiert, aber offenbar fehlt ihr die Möglichkeit, Wissen und Erfahrungen auf andere Problemstellungen zu übertragen.

Aus meinem Konfirmanden-Unterricht ist mir das Bruchstück eines Kirchenliedes in Erinnerung geblieben, das – mit einem gewissen Maß an Blasphemie – auch auf die Energiemangelsituation der EU übertragen werden kann:

Mit Sorgen und mit Grämen
und selbstgemachter Pein
lässt Gott sich gar nichts nehmen.
.
Es muss erbeten sein.
Auch noch so viel Sanktionen
und frieren für den Frieden
wird Putin euch nicht lohnen,
.
es sei denn, ihr lenkt ein.