Samstag, 09.30 Uhr – sengende 19 Grad Celsius

Die heimtückische Sonne versteckt sich hinter einer dicken Wolkenschicht. Das ist die Gelegenheit, ohne sich den tödlichen Strahlen auszusetzen, wenigstens für einen Moment vor das Haus zu gehen und nach dem Rechten zu sehen. Ich verpacke mich also in den vom Ministerium für Hitze empfohlenen, luftdicht geschlossenen, vierlagigen Hitzeschutzanzug (außen reflektierende Folie, dann Asbestgewebe vor  einer Schicht Styroporflocken, innen ein Wollfilzflies). Das Ding wiegt annähernd 35 Kilogramm und schränkt die Bewegungen stark ein, doch wer nicht verkochen will, nimmt das gerne auf sich.

Kaum vor der Türe bricht mir der Schweiß aus allen Poren. Das Wollfilzflies saugt sich voll und wird immer schwerer. 10 Minuten, sagt der Hersteller, hält dieser Anzug Lufttemperaturen von bis zu maximal 20 Grad stand. Ich drücke den Startknopf der eingebauten Stoppuhr und beginne dann mit der Inspektion der Außenhaut des Hauses. Die Verkleidung des Dachgeschosses hat gelitten und löst sich, vor allem vor den Fenstern, brandblasenartig ab. Das könnte noch heute zu einer Katastrophe führen, doch an eine Reparatur ist frühestens ab 23.00 Uhr zu denken. Ich muss die Feuerwehr anrufen. Wenn ich Glück habe, wird der Dämmzug noch heute Nacht vorbeikommen und den Dämmschaumüberzug erneuern. Man hatte mich ja gewarnt. Besser sei es, die Fenster zuzumauern, bevor gedämmt wird, doch ich Narr hatte nicht damit gerechnet, dass es so schlimm kommen könnte. Im Gegenteil, die ersten Frühdämmer hatte ich noch belächelt. Habe die Dämmschaumbarriere erst anbringen lassen, als die Gebäudeversicherung drohte, die Prämien um fünfhundert Prozent zu erhöhen, oder, wegen der exponierten Lage meines Hauses, den Vertrag sogar einseitig aufzukündigen. Das würde mich nicht von der Pflicht zur Gebäudebrandversicherung entbinden, so die Bundesregierung eindringlich mahnend, und dass ein nicht versichertes Gebäude nicht mehr genutzt werden dürfe.

Zwei Minuten sind schon um. Jetzt kommt der anstrengende Teil der Inspektion. Auf die Leiter und den Zustand der Dachziegel kontrollieren. Es handelt sich um Betonsteine. Äußerst robust, normalerweise, aber eben anfällig für Hitze, insbesondere für den gelegentlich kochenden Regen, der aus den brodelnd aufgeheizten Wolken fällt, die von der Sonne unbarmherzig beschienen werden. Noch sieht alles gut aus. Vorsichtig hebe  ich einen Betonziegel aus dem Verbund, um die Dicke zu prüfen. Bis zu drei Millimeter pro Jahr sollen von Hitze und Strahlung wegerodiert werden, heißt es in einer Broschüre des Heimatschutzministeriums. Das  kostet natürlich Gewicht und vergrößert die Gefahr, dass die leichter gewordene Dachhülle vom Sturmwind davongetragen wird. Am Nachmittag soll es Böen mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 5 m/sec geben. Das ist jetzt die neue Windstärke 5.  Gottseidank! Das Dickenmessgerät gibt Entwarnung. Schlimmstenfalls fehlen bisher 2 Millimeter. Das wird für diesen Sommer noch reichen. Nächstes Jahr wird allerdings die Neueindeckung fällig.

Schweißtriefend bin ich wieder  runter von der Leiter. Stehe inmitten der schon arg in Mitleidenschaft gezogenen Sträucher, die ich rings ums Haus gesetzt hatte. Sehen noch ganz normal aus. Volle Belaubung, sattes Grün. Doch sie sind längst tot. Man darf sie keinesfalls berühren, dann zerfallen sie zu hochgiftigem Staub, hieß es neulich im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF.  Die Hitze habe sie konserviert, so der Experte im Interview. Das sei so ähnlich wie damals beim Ausbruch des Vesuv in Pompeji. 

Neun Minuten. Höchste Zeit ins sichere Gemäuer zurückzukehren. Au! Vor lauter Hektik gestolpert. Gut, dass ich die Wege nicht asphaltiert habe. Sonst würde ich jetzt am flüssigen Asphalt kleben und als Schmorbraten verenden. Mühsam rapple ich mich hoch. Die Stoppuhr piept. Meine Zeit ist abgelaufen. Die reflektierende Folie meines Schutzanzuges hat es nicht überstanden und hängt in Fetzen herunter.  Jetzt kommt auch noch die Sonne heraus. Brennender Schmerz  überall auf der Haut, wo die schützende Folie fehlt. Ich muss es schaffen, ins Haus zu kommen. Nur noch zehn Meter, acht, fünf …

Es ist aus.

Vier …, vier …, nur noch vier Meter trennen mich vom rettenden Schutzraum. Unüberwindlich. Schicksal.

Ob sie mich rechtzeitig finden werden, bevor ich gänzlich verdampft bin? Sollte ich es nicht in die Statistik der Hitzetoten schaffen, also nur als Dunkelziffer geschätzt werden müssen, dann hätte ich ja völlig umsonst …