Poschorenko und Alenga – ein Märchen

Poschorenko und Alenga, so heißt ein altes, ukrainisches Volksmärchen, das davon handelt, dass der sehr kluge und zudem sehr reiche Igor Abramowitsch Poschorenko sich mit etwas ganz Großem in die Geschichtsbücher einschreiben wollte und davon, wie er die längst nicht so reiche und auch längst nicht so kluge Alenga von Mergania dazu bringen wollte, mit ihren Galeeren im Asowschen Meere herumzukarriolen, damit der russische Bär aus seiner Höhle gekrochen käme und endlich wieder ein großer Krieg ausbräche. Das wollte sich Igor Abramowitsch Poschorenko dann als sein Verdienst an die Brust heften, dass ihm gelungen sei, was so viele vor ihm erfolglos versucht hatten.

Doch Alenga, die nicht zugeben will, dass sie nicht über einziges einsatzbereites Schiff verfügt, das nicht schon andere, wichtige Aufgaben wahrzunehmen hat, verlangt von Poschorenko, wenn sie ihm ihre Gunst erweisen solle, müsse er zunächst drei schwierige Aufgaben für sie lösen.

Was das denn für Aufgaben seien, fragt Poschorenko, und Alenga, der gerade nichts anderes einfällt, außer jener so schwer zu lösenden Aufgabe aus dem Märchen, in dem eine Müllerstochter Stroh zu Gold zu spinnen hatte, sagt keck: „Hier ist deine erste Aufgabe, Igor Abramowitsch. Es ist ein Rätsel. Ein Jahr hast du Zeit, herauszufinden, wie Rumpelstilzchen heißt. Gelingt es dir, werde ich dir die zweite Aufgabe stellen, gelingt es dir nicht, soll dich der böse Tupin holen.“

Poschorenko war außer sich vor Zorn. Ein Jahr sollte er warten müssen, ein langes Jahr sinnlos vertun, wo doch jedermann weiß, wie Rumpelstilzchen heißt. „Doch halt!“, dachte Poschorenko da, „so einfach kann es nicht sein. Die Frage muss einen tieferen Sinn haben“.

Also sandte er Boten aus in alle Welt, die überall fragen und nachforschen sollten ob sich nicht jemand finde, der den Namen Rumpelstilzchens kennt. Vor Ablauf eines Jahres sollten sie zurückkehren und die Antwort mitbringen.

Alenga war derweil froh, dass der lästige Poschorenko wieder abgezogen war und hatte die Sache ganz und  gar vergessen als er plötzlich wieder vor der großen Waschmaschine stand, in der sie wohnte, und von der Torwache Einlass forderte.

„Oh Gott!“, dachte sie, als sie seiner ansichtig wurde, „der schon wieder!“

Weil alle seine Boten zurückgekehrt waren und berichtet hatten, sie seien in aller Welt ausgelacht und verspottet worden, es gäbe keinen anderen Namen für Rumpelstilzchen als Rumpelstilzchen, hatte er beschlossen alles auf eine Karte zu setzen und als Antwort „Rumpelstilzchen“ zu nennen, jedoch mit einer gewissen Vor- und Umsicht.

So begann er also:

„Vor Jahresfrist, hochgeehrte Alenga, gabt ihr mir die erste von drei Aufgaben, die ich zu lösen hätte, um eure Unterstützung beim Anzetteln eines wahrhaft großen Krieges zu gewinnen. Ihr erinnert euch?“

„Ja, wir erinnern uns“, antwortete Alenga.

„Es ging um ein Männlein, nicht wahr?“

„Ja, es ging um ein Männlein“, sagte Alenga und dachte bei sich: „Wenn ich mich doch nur erinnern könnte, wenn ich mich doch nur erinnern könnte!“

„Ein Männlein, dass die Kunst beherrschte, Stroh zu Gold zu spinnen?“

„Ja, genau, darum ging es.“

„Dann stimmt es also, dass dieses Männlein Rumpelstilzchen heißt?“, überrumpelte er Alenga jetzt mit der Lösung.

„Sicher! So heißt es.“

„Gut, hochgeschätzte Alenga, dann habe ich die Aufgabe gelöst und bitte euch nun um die zweite Aufgabe.“

Alenga tat wie immer, nämlich so, als würde sie die Dinge vom Ende her bedenken, und schwieg den wartenden Igor Abramowitsch Poschorenko wohl eine Stunde oder länger regungslos an. Dann räusperte sie sich leise auf die allerdamenhafteste Weise, kicherte kurz in sich hinein und sprach:

„Nun denn! Deine zweite Aufgabe  ist es, ein Rätsel zu ersinnen, das niemand auf der ganzen Welt lösen kann, nicht einmal du selbst. Komm‘ auf den Tag in drei Jahren wieder in meine Waschmaschine und präsentiere mir dein Rätsel.“

Igor Abramowitsch Poschorenko, von seinem Erfolg mit der ersten Frage beglückt, beschloss, auch diese drei Jahre eifrig und geduldig damit zu verbringen, dieses Rätsel zu ersinnen, sollte er mit der Lösung dieser Aufgabe seinem Traum, in die Geschichtsbücher einzugehen, wieder einen großen Schritt näher kommen.

Also ließ er sich in einer seiner Schokoladenfabriken ein geräumiges Turmzimmer als Studierzimmer einrichten, mit raumhohen Regalen an den Wänden, gefüllt mit den Büchern der Weisheit der gesamten Menschheitsgeschichte und grübelte und grübelte, während immer  wieder Schwaden köstlichen Kakaogeruches durch sein Turmzimmer waberten.

Es war gar nicht so einfach, ein Rätsel zu erfinden, dass niemand auf der ganzen Welt lösen konnte, vor allem wenn man danach in Büchern suchte, die voll waren mit gelösten Fragen, und so ließ er sein Turmzimmer in der Kakaofabrik eines Tages Turmzimmer sein und die Bücher darinnen ließ er Bücher sein und die Regale Regale, schwang sich auf sein Pferd und ritt geradewegs in den Wald. Unter einer hohen, hohlen Eiche fand er ein weiches mossgepolstertes Fleckchen Erde, auf dem er sich niederließ und kurz darauf in einen tiefen Schlaf fiel.

Er träumte, es sei der festgesetzte Tag. Er  tritt feierlich vor Alenga und liest das unlösbare Rätsel von einem großen Bogen Pergament ab. Im Traum ist Alenga davon begeistert, lobt den klugen Igor Abramowischt Poschorenko über den grünen Klee und gibt ihm die dritte Aufgabe, doch noch bevor er die vernommen hat, fällt eine Eichel von der Eiche, ihm direkt ins Gesicht, so dass er erschrickt und darüber ganz und gar vergisst, wie das unlösbare Rätsel lautete, von dem Alenga so begeistert war.

Beim Nachhausereiten fiel ihm dann ein, welches unlösbare Rätsel er vortragen würde, wenn der große Tag, drei Jahre nach seinem zweiten Besuch in der Waschmaschine endlich gekommen sein würde.

Als es soweit war trat er strahlend vor Siegesgewissheit vor Alenga.

„Nun, ist es dir gelungen, ein Rätsel zu erfinden, das niemand auf der ganzen Welt lösen kann, nicht einmal du?“

„Ja. Es ist mir gelungen. Hier ist es:

Im Sommer war ich beim Ausritt im Wald unter der großen Eiche eingeschlafen. Im Traum sah ich mich, wie ich dir das unlösbare Rätsel zeigte, wie du von diesem Rätsel begeistert warst und mir die dritte Aufgabe stelltest. Genau in dem Augenblick weckte mich eine Eichel die mir vom Eichbaum direkt ins Gesicht fiel.“

„Und, wo bleibt das Rätsel“, fragte Alenga ungeduldig.

„Ganz einfach“, antwortete Poschorenko, „das unlösbare Rätsel lautet: Sage mir, wie das unlösbare Rätsel lautet, von dem ich unter dem Eichbaum geträumt habe.“

Da rief Alenga alle ihre Berater und die Weisen des Landes in der Waschmaschine zusammen und ernannte sie alle zusammen zur „Kommission zur Lösung des unlösbaren Rätsels“, mit dem Auftrag, innerhalb eines Jahres ein Gutachten abzugeben, ob das unlösbare Rätsel lösbar sei, und wenn ja, wie, auf welchem Wege und mit welchem Ergebnis, oder ob es tatsächlich unlösbar sei. Sie betonte dabei auf eine sehr merkwürdige Weise, dass es ihr hierbei nicht darauf ankäme, wie das Ergebnis aussehen würde, es herrsche sozusagen Gewissensfreiheit, sagte sie, und konnte sich ein hämisches Grinsen und Kichern nicht verkneifen.

„Du wirst verstehen, dass ich dein Rätsel prüfen lassen muss, und du musst zugeben, dass ein Jahr für diese gigantische Aufgabe sehr knapp bemessen ist. Doch freue ich mich schon heute darauf, dich auf den Tag in einem Jahr hier wieder begrüßen zu dürfen.“ Sprachs, und ließ Poschorenko von ihren Wachen hinausbegleiten.

Die Waschmaschine war über und über mit Fahnen geschmückt, Fanfarenbläser bliesen die Fanfaren, Narren ließen ihre Schellen klingen, kurz, Poschorenko wurde mit allen verfügbaren militärischen Ehren empfangen, so dass er schon ganz sicher war, gewonnen zu haben.

„Lieber Igor Abramowitsch“, hob Alenga an, „meine Kommission zur Lösung des unlösbaren Rätsels“  hat sehr viel Pergament beschrieben, Hypothesen aufgestellt, Theorien entwickelt und Wahrscheinlichkeiten berechnet. Man ist sich nicht ganz sicher, doch es haben sich drei Lösungen herauskristallisiert, denen eine gewisse Chance eingeräumt wird, richtig zu sein, und wir hoffen, du bist Ehrenmann genug, es zuzugeben, wenn eine dieser drei Lösungen die richtige sein sollte.“

„Nur zu“, entgegnete Poschorenko, „ein Ehrenmann bin ich gewiss!“

Der Präsident der Kommission zur Lösung des unlösbaren Rätsels trat vor und fragte:

„Kann es sein, dass das Rätsel lautete: Wie hieß Rumpelstilzchens Schwiegervater?“

„Nein“, antwortete Poschorenko. Im Turmzimmer meiner Schokoladenfabrik, im dritten Regal, rechts neben der Tür, in der zweiten Reihe von oben, da steht ein Buch, in dem die Familiengeschichte Rumpelstilzchens von ihren Anfängen bis zu seinem jähen Tode beschrieben ist. Wer lesen kann, kann also auch wissen, dass Rumpelstilzchens Schwiegervater Götz hieß, Götz von Berlichingen, um genau zu sein.“

„Ja“, meinte der Kommissionspräsident, „so etwas hatten wir fast erwartet, aber wir haben ja noch zwei Ideen in petto. Also, kann es sein, dass das Rätsel lautete: Wie viele Engel finden auf einer Nadelspitze Platz?“

„Nein“, antwortete Poschorenko amüsiert. „Im Turmzimmer meiner Schokoladenfabrik, im fünften Regal, links neben der Tür, in der untersten Reihe, findet sich eine Handschrift aus dem Vatikan, in der die Zahl der Engel, die auf einer Nadelspitze Platz finden, exakt berechnet ist. Es finden dort nämlich sämtliche Erzengel und weitere sechs Millionen einhundertdreiundzwanzigtausend und vierhundertelf einfache Engel Platz. Das ist doch kein Rätsel! Das war, soweit ich weiß, sogar einmal ein Dogma!“

Der Kommissionspräsident klang nun kleinlaut, als  er sagte: „Dann versuche ich es noch mit der letzten Idee, die unserer Kommission ganz zum Schluss, am Ende des letzten Tages dieser  zwölf Monate gekommen ist. Lautet das gesuchte Rätsel etwa: Ist es möglich, dass eine Kommission die Lösung für ein Problem findet, bevor es zu spät ist?“

Da jubelte Igor Abramowitsch Poschorenko auf. Das wäre zwar auch eine unlösbare Frage, doch obwohl er sich nicht mehr erinnnerte, von welchem Rätsel er geträumt hatte, dass es dieses nicht war, da war er ganz sicher.

„Hochwerte Alenga! Nun stellt mir schnell die dritte Aufgabe, damit wir endlich gemeinsam Zoff machen können im Asowschen Meer, und einen Krieg auslösen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.“

„Gemach, gemach. Ihr sollt eure dritte Aufgabe bekommen. Aber freut euch nicht zu früh, ihr habt nämlich keine Chance!“

„Das wollen wir doch erst einmal sehen! Wie lautet die dritte Aufgabe? Ich brenne darauf!“

„Nun, dann. Aber du bist selbst schuld. Du wolltest es nicht anders. Die dritte Aufgabe lautet: Löse das unlösbare Rätsel, das du selbst gestellt hast!“

Poschorenko blieb vor Staunen der Mund offen stehen. „Das kann ich doch nicht. Das kann kein Mensch. Das kannst du nicht von mir verlangen!“

„Oh doch, das kann ich wohl. Das ist schon lange mein ganz persönlicher Stil!“

Poschorenko dachte kurz nach, beschloss, alles auf eine Karte zu setzen und log ohne rot zu werden munter drauflos: „Gut. Dann verrate ich Dir jetzt das Rätsel, von dem ich geträumt habe…“

„Geschenkt“, lachte Alenga. „Gib dir gar keine Mühe. Wenn du das unlösbare Rätsel lösen kannst, dann bist du ja schon an der zweiten Aufgabe gescheitert!“

Igor Abramowitsch Poschorenko schrie vor Wut auf wie ein waidwundes Tier, doch dann reihte er sich in sein Schickal ergeben in die lange Reihe derer ein, die jemals gehofft hatten, mit Alengas Hilfe und Unterstützung etwas Großes zu erreichen und erscheint seitdem im Abspann des Märchens – derzeit noch an letzter Stelle.

 

Mitwirkendende

in allen Hauptrollen
die große Alenga von Merganien

in weiteren Rollen

Kohl und Schäuble,
Meyer und Merz,
Stoiber und die ganze SPD,
Roland Koch, Christian Wulff,
Friedbert Pflüger, Günther Oettinger und

– ganz frisch im Absturz begriffen –
Horst Seehofer,
Annette Kramp-Karrenbauer,
Jens Spahn

sowie als Gast in dieser Folge
der große Igor Abramowitsch Poschorenko

u.v.a.m.