Neues Grummeln um die Krim

Das Warten auf den Krieg um die Krim zieht sich nun schon seit ungefähr fünf Jahren hin. Zeitweise gerät das schwelende Feuer fast in Vergessenheit, dann wird  es wieder lodernd angefacht.

Nach dem Märchen von Gestern, heute eine ernsthaftere Beschäftigung mit dem Thema.

Im Frühjahr 2014 wurde in den hiesigen Medien mit Macht zum Krieg geblasen und die Gewissheit verbreitet, eine große Schlacht, mit dem Potential, in den dritten Weltkrieg zu münden, sei schon gar nicht mehr zu vermeiden.

Weil das heute fast schon wieder so ist, weil die Vorgänge an der Engstelle zwischen Schwarzem und Asowschen Meer so dargestellt werden, als hätten russische Einheiten in provokativer Absicht unschuldige ukrainische Schiffe gerammt, beschossen, geentert und erbeutet, was man Putin keinesfalls einfach so durchgehen lassen könne, sehe ich mich veranlasst, darauf hinzuweisen, dass die im November 2013 ausgelösten Vorgänge in der Ukraine, die am 16. März 2014 dazu führten, dass sich die Bevölkerung der Krim in einem Referendum für den Anschluss an Russland entschied, weitaus brisanter waren als der Zwischenfall vom vergangenen Wochenende.

Ein paar Tage vor dem Referendum, am 7. März 2014, habe ich in der zweiten Ausgabe von „EWK – Zur Lage“ jedoch damals schon erklärt, dass es um die Krim nicht zu einem großen Krieg kommen werde.

Damals schrieb ich:

Krieg um die Krim – Wahrscheinlichkeit, militärische Optionen, Risiken

Die Krim ist ein relativ kleiner Flecken Land, eine Halbinsel im Schwarzen Meer und Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte.
Einen Krieg um die Krim zu führen, hätte für einen siegreichen Angreifer nur den Gewinn, die verbleibenden Reste dieser Schwarzmeerflotte von ihrem Stützpunkt zu vertreiben und damit den Russen einen einzigen, wenn auch geostrategisch außerordentlich wichtigen Brückenkopf zu nehmen und selbst diese Position zu besetzen.
Einen Krieg um die Krim zu führen, würde allerdings nicht nur bedeuten, mit Waffengewalt in das Territorium der Ukraine einzudringen, zu welchem die Krim ja immer noch gehört, es würde zwangsläufig bedeuten, Russland den Krieg zu erklären.

Dass die USA dieses Wagnis eingehen, halte ich derzeit für wenig wahrscheinlich. Dass die EU, explizit einschließlich Großbritannien, dieses Wagnis eingehen wollen, halte ich für noch weitaus unwahrscheinlicher, sie würden sich, selbst wenn die USA den NATO-Bündnisfall ausrufen sollten, aus einem selbstmörderischen, auf europäischem Boden ausgetragenen Krieg heraushalten.

Die Begründungen dafür liegen in den militärischen Optionen und den unübersehbaren Risiken, doch dazu später mehr.

Die wahrscheinlichste Entwicklung in der Ukraine 

Der Westen wird sich mit seinem Teilerfolg in Kiew hochzufrieden auf die Position des Anklägers gegenüber Russland zurückziehen, Protestnoten versenden, Sanktionen verhängen und die neue Regierung in Kiew „fordern und fördern“. Ziel dabei: Die neu entstandene, pro-westliche Regierung zu stabilisieren und dabei die Chance zu ergreifen, sich auch mit Militärbasen in der West-Ukraine festzusetzen. Das ist ein gelungener, weiterer Schritt zur militärischen Einkreisung Russlands, zudem ein Schritt, um den Handel zwischen Ukraine und Russland zu minimalisieren und stattdessen mit massiven Krediten einen neuen Exportmarkt für westliche Handelspartner zu etablieren.

Russland wird seinen auf der Krim und in Teilen der Ost-Ukraine gewonnenen Einfluss verstärken, und sollte die Volksabstimmung über den Anschluss der Krim an Russland pro russisch ausgehen, trotz aller westlichen Proteste die Krim wieder ins eigene Staatsgebiet eingliedern. Sollte der Versuch der Volksabstimmung scheitern, wird sich faktisch nichts verändern. Das russische Militär wird aufgrund des Stationierungsvertrages weiter auf der Krim bleiben, wichtige Funktionen in der Verwaltung werden von Russen besetzt bleiben oder noch werden.
Letztlich ist der Unterschied zwischen beiden Varianten „lediglich“ völkerrechtlicher Natur, bleibt aber ohne konkrete Auswirkungen auf die Lage – und sogar der Streit darum, was nun völkerrechtlich erlaubt oder verboten sei, wird, ganz unabhängig vom Ausgang des Referendums, weiter mit vielen Worten, jedoch ohne Waffen, ausgefochten werden.

Damit ist zweifellos eine neue Phase des Kalten Krieges ausgebrochen, die zu einer neuerlichen politischen Eiszeit zwischen Russland und dem Westen führt, doch werden die Handelsbeziehungen mit Russland davon weniger betroffen sein. Russland wird weiter Gas nach Westeuropa liefern – und die Russen werden weiter Autos bei uns kaufen.

 

Das ist im Großen und Ganzen so gekommen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Allerdings nicht ganz so friedlich. Die Entwicklung im Donbass entspricht eher dem, was ich mir auch vorstellen konnte, aber für weniger zwingend und damit für weniger wahrscheinlich hielt. Beschrieben habe ich das im März 2014 so:

 

Die etwas weniger wahrscheinliche Entwicklung 

Sollte es gelingen, den Bürgerkrieg neu anzufachen, indem sich pro-westliche Ost-Ukrainer und Krim-Ukrainer gegen pro-russische Ost- und Krim-Ukrainer Straßenkämpfe liefern und die ukrainische Armee sich berufen sieht, im Osten für Ordnung zu sorgen, sähe sich Putin gezwungen, zur Wiederherstellung der Ordnung beizutragen.

Es könnte dann zu kleineren, bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen militärischen Truppen auf der Ukraine kommen, wobei Putin klug genug wäre, sich nicht so weit in die Falle locken zu lassen, dass dieser kleine, regionale, auf einige Städte begrenzte Krieg zu einem Hilferuf an die EU oder die NATO führen könnte, der dort auch gehört würde.

Nach ein paar Tagen, längstens Wochen, wären neue „Zuständigkeitsgebiete“ abgesteckt und die zu erwartenden Flüchtlingsbewegungen in beide Richtungen kämen wieder zum Stillstand. Das Ende einer solchen Entwicklung wäre zwangsläufig ein Vertrag über die Aufteilung der Einflusszonen, ohne dass in diesem auch die Abspaltung der Krim geregelt werden müsste.

Die „Zuständigkeitsbereiche“ waren tatsächlich recht bald abgesteckt. Im Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 wurden diese Einflusszonen dann von Hollande (Frankreich), Merkel (Deutschland), Poroschenko (Ukraine) und Putin (Russland) bestätigt und mit der Einrichtung von Pufferzonen zwischen Ost- und West-Ukraine bis heute halbwegs stabilisiert – aber, wie nicht anders zu erwarten war, konnte zu der inzwischen erfolgten Eingliederung der Krim in den russischen Staat dabei keine gemeinsame völkerrechtliche Bewertung gefunden werden.

So ist eingetroffen, was ich erwartete. Es ist aber auch nicht eingetroffen, was ich für unwahrscheinlich hielt. Und das war das:

Zwei unwahrscheinliche Szenarien 

A) Russland versucht durch eine Gegenrevolution die ganze Ukraine unter Kontrolle zu bringen und schafft es, in Kiew wieder eine pro-russische Regierung zu installieren.

Das wird nicht gelingen, weil die pro-westliche Stimmung so stark ist, dass der Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.

B) Die Übergangsregierung in Kiew versucht, mit der Unterstützung des Westens, durch ultimative Androhung von Kampfhandlungen, die ausdrücklich keinem anderen Zweck dienen würden, als die Krim wieder in die Ukraine zu integrieren, ihre volle Autorität auch in der Ost-Ukraine und auf der Krim herzustellen.

Auch das wird nicht gelingen, denn die damit verbundene Kriegsdrohung gegen Russland ist wirkungslos, weil ihr die Glaubwürdigkeit fehlt.

Wenn es zum Krieg kommen sollte, dann ist das der Dritte Weltkrieg.

Hierzu war ich im März 2014 zu folgenden Schlüssen gekommen:

 

Die militärischen Optionen 

Egal, wo der erste Schuss fällt, ein großer Krieg gegen Russland ist nicht entlang einer Frontlinie zu führen. Es gibt auf dem europäischen Festland keine Panzerarmeen, die sich und nachfolgenden Bodentruppen den Weg nach Moskau freischießen könnten. Ein solcher Versuch müsste kläglich scheitern.

Ein Krieg gegen Russland kann auch nicht von Flugzeugträgern und anderen, mit Cruise-Missiles bewaffneten Schiffen aus gewonnen werden, auch nicht von den Luftwaffenstützpunkten entlang der russischen Grenze. Das alles sind große Ziele – und große, noch dazu nicht oder nur vergleichsweise langsam bewegliche Ziele sind nun einmal schwer zu schützen, wenn man es mit einem etwa gleichwertig gerüsteten Gegner zu tun hat, aber leicht zu treffen.

Saddam Hussein hatte kein Mittel in der Hand, Kriegsschiffe wirksam zu bekämpfen. Da war es einfach, Krieg von See aus gegen das Land zu führen. Die Entsendung des Flugzeugträgers
„USS George H.W. Bush“ (und der zugehörigen Begleitschiffe), der nach türkischen Medienberichten die Durchfahrtsgenehmigung ins Schwarze Meer erhalten hat, ist nur eine Drohgebärde, die im Ernstfall innerhalb kürzester Zeit mit dem Totalverlust des Schiffes und der Mannschaft enden würde.

Ein Krieg gegen Russland würde daher schon in seiner frühen Phase zu einem Krieg der Langstreckenraketen und der atomar bewaffneten Unterseeboote werden.

Die Installation des Raketenabwehrschildes der USA in Europa, vorgeblich gegen eine nicht existente Bedrohung aus dem Iran gerichtet, soll Russlands Fähigkeit zu einem atomaren Gegenschlag reduzieren, ist jedoch selbst extrem verletzlich. Die dafür erforderlichen Radarstationen könnten zwar relativ schnell durch AWACS-Flugzeuge ersetzt werden, doch auch die sind keineswegs unverwundbar. Selbst die durchaus mögliche Übernahme der Überwachung von Raketenbahnen durch Satelliten kann gestört oder durch Zerstörung der Satelliten unterbunden werden.

So ist damit zu rechnen, dass dem Raketenabwehrschild frühzeitig zumindest die Aufklärungs- und Leitfunktionen genommen werden, und zugleich so viele Abfangraketen wie möglich in ihren Stellungen vernichtet werden, was, nach der Logik des Krieges, in dem Augenblick befohlen werden muss, in dem die Wahrscheinlichkeit eines US-Erstschlages mit deutlich über 90 Prozent eingeschätzt wird. Weil es dann schnell gehen muss, werden da vor allem Mittel- und Kurzstreckenraketen zum Einsatz kommen, und die vermutlich zunächst noch mit konventionellen Sprengköpfen.

Die Zerstörung des Abwehrschildes wird nicht vollständig gelingen, aber doch in so ausreichendem Maße, dass Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen auch vom russischen Festland aus eine Vielzahl von Zielen in Europa und den USA erreichen könnten.

Sollte bis dahin noch keine Atombombe über russischem Territorium explodiert sein, wäre das der letzte mögliche Zeitpunkt, zum Roten Telefon zu greifen und die Feindseligkeiten einzustellen. Gewonnen wäre von beiden Seiten nichts, doch man könnte sich am Ende im Ruhm sonnen, die Welt vor dem totalen Atomkrieg gerettet zu haben.

Friedensnobelpreisverdächtig.

 

Die Risiken 

Ein Krieg um die Krim, selbst wenn er sich auf eine schwer vorstellbare Weise nicht zum Atomkrieg entwickeln sollte, birgt weitere, vollkommen unkalkulierbare Risiken.

Risiko 1 – Europa

Die Gefolgschaft der Europäer in einem eskalierenden Konflikt mit ungewissem Ausgang aber vorhersehbaren Großschäden auf eigenem Territorium kann nicht als gesichert gelten. Teile der NATO-Verbände, die von den USA gerne als ihre „Toolbox“ angesehen werden, könnten plötzlich nicht mehr verfügbar sein. Die Statements der Europäer in der derzeitigen Krise, allen voran unser Außenminister Steinmeier, deuten darauf hin, dass der unbedingte Wille besteht, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen. Ob Cameron einen „Russlandfeldzug“ mittragen würde, ist auch zweifelhaft. Es ist ein Unterschied, ob eine Kolonialmacht die alte Kanonenbootstrategie fortsetzt und überall auf der Welt seine Interessen mit kalkulierbaren Verlusten, aber ohne jedes weitere Risiko durchsetzt, oder ob es darum geht, die eigene Vernichtung in Kauf zu nehmen.

Risiko 2 – Israel / Iran

Im Windschatten eines großen Krieges der USA könnte Israel durchaus auf den Gedanken kommen, die Welt von der iranischen Bedrohung zu erlösen und den immer wieder geforderten und oft auch angedrohten Angriff auf Teheran zu starten. Damit wäre ein zweiter – atomarer – Brandherd gezündet, und dies mit verheerenden Folgen auf die Zugänglichkeit der iranischen Ölquellen. Wenn der Iran fällt, dann muss er in einem konventionellen Krieg, noch besser natürlich nach einer neuerlichen Revolution, fallen, denn außer dem iranischen Öl gibt es dort keine wirklich lohnende Beute.

Risiko 3 – China

Den Chinesen ist klar, dass sie auf der Wunschliste der USA ganz oben stehen. Ein Krieg gegen Russland würde China zwingen, an der Seite Russlands zu kämpfen, weil es sich nach dem Fall Russlands, vollständig umzingelt, nicht mehr würde halten können. Umgekehrt gilt das übrigens ebenso. Ein Krieg gegen China würde Russland an die Seite Chinas zwingen, und ich würde mich nicht wundern, wenn es für diesen Fall nicht längst ein chinesisch-russisches Geheimabkommen gäbe, in dem auch schon die Rollen verteilt sind.

Zusammenfassung
Aufgrund der Tatsache, dass es im Grunde nur die Option eines mit Langstreckenraketen geführten Atomkrieges gibt, der auch die USA schwer treffen würde, dass die europäischen Verbündeten einen Krieg gegen Russland ablehnen und sich auch nicht hineinziehen lassen wollen und dass ein solcher Krieg die Achse Moskau-Peking kraftvoll, weil um das Überleben kämpfend, aktivieren würde, kann der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika keinen entsprechenden Befehl geben.

Beide, Obama und Putin, werden stattdessen strikt darauf achten, dass mutwillig ausgelöste Scharmützel nicht zur Eskalation führen, sondern schnellstmöglich wieder beendet werden.

Der Rest dient auf beiden Seiten in erster Linie der innenpolitischen Wirkung.

An dieser Einschätzung hat sich heute, knapp fünf Jahre später, nichts grundsätzlich geändert.

Die Provokation in der Enge von Kertsch ist nach meiner Einschätzung nicht von den USA gedeckt gewesen, ja noch nicht einmal von den Diensten und dem Tiefen Staat hinter Trumps Rücken gefingert worden.

Es handelte sich um ein verzweifeltes Manöver Poroschenkos um sich selbst vor dem drohenden Verlust der im kommenden Frühjahr anstehenden Wahlen zu retten, indem er sich erst einmal als „starker Max“ präsentiert und sich darüber hinaus mit der Verhängung des Kriegsrechts, das sich ggfs. bis weit über den Wahltag hinaus verlängern lässt, gänzlich vor dem Votum des Volkes zu drücken.

Dass die Nichtanerkennung der so genannten Annexion der Krim durch „den Westen“ nicht bedeutet, dass auch nur die geringste Absicht des Westens bestünde, die Russen der Ukraine zuliebe von der Krim zu vertreiben, sondern dass hier eine formale Position, so ähnlich wie die gegen Deutschland gerichtete Feindstaatenklausel der UN, einfach für alle Zukunft wie ein Joker in Reserve gehalten wird, ohne dass man jetzt schon wüsste, wann, und ob überhaupt, diese Karte jemals gezogen werden soll, das hat Poroschenko womöglich in seiner oligarchisch-kapitalistischen, pro westlichen Vertrauensseligkeit noch gar nicht realisiert.

Auch heute meine ich also, Ihnen mit gutem Gewissen zurufen zu können:

Kein Grund zur Panik!

 

„EWK – Zur Lage“?                          Nie gehört! Was ist das?

EWK-Zur Lage ist ein Dossier, das nun schon seit fünf Jahren regelmäßig erscheint. Im Abstand von ca. zwei Monaten versuche ich möglichst früh und vorausschauend, Veränderungen der langfristigen Trends der globalen Entwicklung, der europäischen und speziell der deutschen Politik aufzuzeigen und deren Einflüsse und Folgen zu prognostizieren.

Und wo findet man „EWK – Zur Lage“?

EWK – Zur Lage wird jeweils bei Erscheinen per Newsletter angekündigt und kann dann über den ewkshop als PDF (zwischen 20 und 30 Seiten) heruntergeladen werden. Die jeweils aktuelle Ausgabe kostet 11,90 Euro – 1,90 Euro davon gehen als MwSt. an Olaf Scholz. Die vorletzte Ausgabe kostet die Hälfte, alle älteren sind für 3,57 Euro zu haben.

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