Lobeshymne auf den deutschen Untertan

Wir Deutschen sind der Welt um uns herum ein beliebtes Ziel, ohne das geringste Risiko Hohn und Spott über uns auszuschütten. Vor allem unsere Duldsamkeit, unsere Hörigkeit, unsere Unfähigkeit, die eigenen Interessen zu erkennen, geschweige denn auch nur den Versuch zu unternehmen, unsere Interessen zu verteidigen, gleich, ob der Einzelne, eine Gruppe oder das ganze Volk unter Herrschsucht und Despotie zu leiden haben, wird uns immer wieder mit breitem, überlegenem Grinsen wie ein Spiegel vorgehalten.

Lenin soll gesagt haben, die Deutschen seien schon zu feige, sich eine Bahnsteigkarte zu kaufen, um sich nicht verdächtig zu machen, den Bahnhof stürmen zu wollen.

Napoleon ging noch einen Schritt weiter. Es gäbe kein leichtgläubigeres Volk als das deutsche. Untereinander hätten sie sich gewürgt, weil sie meinten, ihre Pflicht zu tun. Napoleon war sogar überzeugt, dass die Deutschen jede Lüge glauben, und sei sich noch so durchsichtig ersonnen.  

Nun,

  • Lenins einbalsamierter Leichnam liegt seit dem 27. Januar 1924, öffentlich zur Schau gestellt, im Mausoleum am Roten Platz in Moskau.
  • Napoleons sterbliche Hülle moderte 19 Jahre auf St. Helena vor sich hin, bis sie in der Krypta des Invalidendoms in einem pompösen Sarkophag aus Schokscha-Quarzit untergebracht werden konnten.
  • Die Deutschen hingegen existieren immer noch, sind immer noch so gutmütig und leichtgläubig, wie Napoleon sie geschildert hatte, und so unfähig, für ihre Interessen einzutreten, wie es Lenin erkannte.

Es muss also ein Geheimnis in diesem deutschen Wesen liegen.

Etwas ganz Besonderes, was den oberflächlichen Betrachtern, den Spöttern und Lästerern bis auf den heutigen Tag verborgen geblieben ist. Das zeigt sich schon daran, dass Kaiser Friedrich I., Barbarossa, weder in einem Mausoleum, noch in einer Krypta als Leichnam aufbewahrt wird, sondern schlafend im Inneren eines Berges darauf wartet, dass der Tag seiner Wiederkehr kommen möge. Friedrich Rückert, der fränkische Dichterfürst, hat dem Schlafenden ein literarisches Denkmal gesetzt, das durchaus als Metapher für den Schlaf der Deutschen gelten kann:

BARBAROSSA

Der alte Barbarossa,
Der Kaiser Friederich,
Im unterird’schen Schlosse
Hält er verzaubert sich.

Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloß verborgen
Zum Schlaf sich hingesetzt.

Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit,
Und wird einst wiederkommen,
Mit ihr, zu seiner Zeit.

Der Stuhl ist elfenbeinern,
Darauf der Kaiser sitzt:
Der Tisch ist marmelsteinern,
Worauf sein Haupt er stützt.

Sein Bart ist nicht von Flachse,
Er ist von Feuersglut,
Ist durch den Tisch gewachsen,
Worauf sein Kinn ausruht.

Er nickt als wie im Traume,
Sein Aug’ halb offen zwinkt;
Und je nach langem Raume
Er einem Knaben winkt.

Er spricht im Schlaf zum Knaben:
Geh hin vors Schloß, o Zwerg,
Und sieh, ob noch die Raben
Herfliegen um den Berg.

Und wenn die alten Raben
Noch fliegen immerdar,
So muß auch ich noch schlafen
Verzaubert hundert Jahr.

Was ist es also, was die Deutschen auszeichnet, worauf beruht ihre Geduld und Duldsamkeit, warum erscheinen sie dem Rest der Welt so töricht und verführbar?

Es gibt ein Wort dafür. Dieses Wort wird in diesen Tagen wieder besonders häufig gebraucht, gerade in Deutschland, gerade als eine besondere Eigenschaft der Deutschen, die jetzt, wo Krieg und Seuche, Hitze und Dürre, Inflation und Knappheit die Welt in Atem halten, dabei hilft, ruhig und gelassen Schritt für Schritt weiter auf den Abgrund zuzusteuern. Dieses Wort heißt:

Resilienz.

Resilienz, die psychische Widerstandskraft in Zeiten traumatisierender Katastrophen, lässt uns Deutsche ruhig bleiben, wo anderswo die Trucker im Winter die kanadischen Straßen blockieren, wo französische Gelbwesten längst die Straßen von Paris und Marseille füllen, wo holländische Bauern mit ihren Traktoren aufmarschieren, um das abzuwenden, womit sich der resiliente Deutsche leicht zu arrangieren weiß. Dass man den Deutschen als Kartoffel diskriminiert, ficht ihn nicht an, dass ihm jeglicher Versuch, zur Selbstbestimmung zurückzukehren, nach eigenen Gesetzen mit Seinesgleichen innerhalb der Grenzen seines Landes zu leben, als Rassismus und Faschismus, Hass und Hetze angekreidet wird, dass zur Unterdrückung solcher Regungen eilends „Meldestellen“ eingerichtet werden, stört nur jene, die aus der Art geschlagen sind und ihre Resilienz eingebüßt haben. 

Grundvoraussetzung für eine starke Resilienz ist Akzeptanz.

Der kluge Deutsche sagt sich, die Dinge sind nun mal so, wie sie sind. Damit komme ich zurecht. Schon die große Lehrmeisterin der Resilienz brachte das mit ihrem „Wir schaffen das!“, und, „Nun sind sie halt mal da“, auf unnachahmliche Weise auf den Punkt. Als sie dann erkannte, dass nun halt mal die Grünen da sind, hat sie auch das akzeptiert und ihren 16 Jahren kein Siebzehntes mehr in sinnlos-trotzigem Aufbegehren hinzufügen wollen. Nun kocht sie für Herrn Sauer Pommersche Kartoffelsuppe – und, wie man hört, akzeptiert er auch das.

Zur Resilienz gehört zudem das „Verlassen der Opferrolle“.

Wer sich als Opfer sieht, ob als Opfer der Zeiten, der Umstände, der politischen Kräfte, der kapitalistischen Mächte oder von Verschwörungen, gleich weder Art, hat sich doch schon selbst aufgegeben. Da lässt er sich auch vom südländisch aussehenden Mitbürger nicht provozieren, wenn der ihn mit „du Opfer“ anredet. Das Verlassen der Opferrolle gehört unauflöslich zur Tugend der Akzeptanz. Der gute Deutsche sagt sich, wer soll denn an meiner Situation, meinem Leiden, meiner Armut, meiner Arbeitslosigkeit schuld sein außer mir selbst? Ich bin kein Opfer. Ich bin meines Glückes eigener Schmied. Ich habe mich dahin gebracht, wo ich bin, und ich werde mich weiterhin dahin bringen, wo ich sein werde, und daran ändern weder Bill Gates noch Ricarda Lang etwas. Wenn ich wirlich anderes für mich wollte als das, was ich habe, ich würde es doch ändern!
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Wer sich also nicht als Opfer zu sehen vermag und seine Situation akzeptiert, der wird sich mit dem dritten Schild der Resilienz zu schützen vermögen, und das ist der Optimismus.

Des deutschen Optimismus erwächst aus der Abwesenheit von Zweifel an der Kompetenz und an den Fähigkeiten seiner Vorgesetzten, seiner Volksvertreter, seiner Regierungsmitglieder und aller maßgeblichen Zentralkomitees, die ihm mit Rat ohne Tat zur Seite stehen. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben, sagte sich der optimistische Deutsche als  Annalena Baerbock als Außenministerin vereidigt wurde. So, wie er Optimismus verspürte, als der Führer begann, mit Wunderwaffen den Endsieg herbeizuführen, verspürt er den Optimismus, Russlands Putin zu besiegen, wenn auf Bergeshöhen und in den Niederungen die Wunderkraftanlagen mit Beschleunigungsgesetzen in Windeseile errichtet werden, die, fast wie die schöne Müllerstochter, die mit Rumpelstilzchens Hilfe Stroh zu Gold spinnen konnte, immerwährend Strom aus Wind spinnen werden, ganz wie es im Märchen heißt: Und wenn sie nicht gestorben sind, so spinnen sie noch heute.

Mit Aktzepteanz, Optimismus und Eigenschuldbekenntnis, hat der Deutsche auch bereits die vierte Voraussetzung der Resilienz erfüllt, nämlich die Lösungsorientierung.
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Dass es kein Problem geben kann, wenn nicht auch schon eine Lösung dafür existiert, das ist Teil des genetischen Erbes der Abkömmlinge der Dichter und Denker. Das bewahrt den Deutschen in unserer Welt der hochkomplexen Arbeitsteilung auch zuverlässig davor, sich selbst und alleine seines Verstandes bedienen zu müssen: Ist die Lösung doch stets zum Greifen nah. Wenn es dann zur Lösunge noch eine Gratis-Bratwurst oder eine Freikarte fürs Bordell gibt, dann ist der Deutsche ebenso hochgradig lösungsorientiert, wie wenn es darum geht, Frieden zu schaffen, was sich ja ganz einfach mit dem täglichen Verzicht auf ein paar Minuten Duschen oder der Absenkung der Raumtemperatur um drei Grad bewerkstelligen lässt. Die meisten Lösungen sind sowieso im archaischen Kern des deutschen Märchens verankert. Da findet sich am Ende des finsteren und bitterkalten Waldes für zwei hungrige Kinder aus dem Hartz immer ein nahrhaftes Pfefferkuchenhäuschen, da verwandeln sich hässliche, glitschige grüne Amphibien mit mächtigen Schallblasen, wenn man nur den Mut fasst, sie zu küssen, in strahlende Prinzen. Aschenputtel, die mit dem kleinsten Fuß, bekommt am Ende ihre Märchenhochzeit. Der  brave Jägersmann schlitzt dem bösen Wolf den Bauch auf und holt die angefressene Großmutter samt Rotkäppchen in die heile Welt zurück. Da kann – und da sind wir fast schon wieder bei Barbarossa – ein Dornröschen mit ihrem gesamten Hofstaat in einen hundertjährigen Schlaf versinken, doch wenn der vorbei ist, erhält sogar der Küchenjunge noch die vor hundert Jahren verdiente Ohrfeige, so dass alles wieder seine Ordnung hat.
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Noch resilienter wird der deutsche Mensch, wenn er Teil eines Erfolgsnetzwerkes geworden ist.
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Denn ganz nach dem Motto: „Gleich und gleich gesellt sich gern“, besteht in den modernen Echokammern jede Menge Gelegenheit zur gegenseitigen Selbstbestätigung. War es früher noch erforderlich, sich aufzuraffen, aus dem Haus zu gehen, um am Stammtisch oder bei der Vereinsversammlung feststellen zu können, mit der Briefmarkensammlung oder dem Brieftaubenschlag nicht alleine auf der Welt zu sein, ist das Internet heute voll von Netzwerken, in denen es vor Freunden wimmelt. Dass man dabei nicht auf die falschen Pfade gerät, dafür sorgen mit großer Liebe für Demokratie und Menschenrechte das Innenministerium, das Justizministerium, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und viele freiwillige Helfer, teils Faktenchecker, teils Denunzianten, so dass selbst jene, die gerne einmal abseits des Mainstreams unterwegs sind, immer wieder fürsorglich auf den linken Weg zurückgeführt werden. Wer sich partout nicht führen lassen will, nagt an den Grundfesten der freiheitlich demokratischen Grundordnung, hat sich also als nicht resilient – und damit als zutiefst undeutsch – erwiesen.
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Nein, da geht die neuzeitliche Wissenschaft in die Irre. Selbstreflexion und deutsche Resilienz sind eindeutig ein Widerspruchspaar.
Auch das, mit der positiven Zukunftsplanung ist Blödsinn. Pläne für die Zukunft zu schmieden, bedeutet doch in 99,87 Prozent aller Fälle, mit der Gegenwart unzufrieden zu sein. Da platzt sie doch mit lautem Knall, die Luftblase der Aktzeptanz des Gottgebenen. Da wird man doch versuchen, sich aus der Masse herauszulösen Selbständigkeit zu gewinnen. Da wird man doch mit den aus der Gegenwart bekannten Lösungen nicht mehr zufrieden sein und versuchen, irgendwie andere Abhilfe zu schaffen.
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Die Resilienz der Deutschen, so viel ist klar, ruht nicht auf sieben, sondern nur auf fünf Säulen. Diese sind:
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  • Bedingungslose Akzeptanz aller Gegebenheiten
  • Vorbehaltloses Schuldanerkenntnis für alle Übel dieser Welt
  • Vollkommen ungerechtfertigter Optimismus in allen Lebenslagen
  • Orientierung an den regierungsamtlich empfohlenen Lösungen
  • Leben in geschlosssenen Echokammern permanenter Selbstbestätigung

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Sollten Sie – in undeutsch-rebellischer Manier –  jetzt wissen wollen, was sich verändern könnte, wenn sich ein paar Deutsche fänden, die sich nicht erst eine Bahnsteigkarte lösen, bevor sie sich aufmachen, Abhilfe zu schaffen, dann empfehle ich Ihnen den Polit-Thriller „Andere Abhilfe“, dessen Handlung in genau 121 Tagen, am 17. November 2022 beginnt.

Falls Sie sich jedoch fragen, warum Klaus Schwab, Bill Gates, Robert Habeck und viele andere gerade in der Krise ihre Chance sehen, sich die Welt neu zurechtzubiegen, dann lassen Sie sich gesagt sein, dass die Krise auch Ihnen Chancen eröffnet. Worauf Sie sich dabei einlassen und wie auch Sie gewinnen können, verrät Ihnen das Buch „Selbständigkeit“.