Kampfauftrag der Demokratie

Noch darf man zitieren. Das kann sich ändern, wenn das EU-Parlament bei der Abstimmung über das Leistungsschutzrecht so votiert, wie es sich die Hüter der veröffentlichten Meinung vorstellen. Für den Fall habe ich mir vorgenommen, eine letzte Hintertüre zu nutzen. Online wird dann nichts mehr von mir zu finden sein, aber wer sich für meinen Newsletter angemeldet hat, wird dann eben über den Newsletter versorgt. Vielleicht melden Sie sich vorsichtshalber jetzt schon an …

Doch nun zum Thema.

Dem muss ich ein Zitat voranstellen, weil ich ohne dieses Zitat zu verwenden nicht argumentieren kann.
(Sie sehen das künftige Problem sicherlich gleich deutlicher.)

Das Zitat stammt aus einem Kommentar von Stephan Hebel, den dieser in der Frankfurter Rundschau abgegeben hat. Es ist seine Meinung und die sollte er, nach meinem Verständnis von Meinungsfreiheit, auch kundtun dürfen:

„Die AfD zu bekämpfen, ist für freiheitlich denkende Menschen eine demokratische Pflicht.
Aber der Fall des Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz wird zeigen:
Wer glaubt, Rassisten ließen sich mit Kanthölzern vertreiben, schadet den Rechten nicht, sondern macht sie nur stärker.“

Ich weiß nun leider nicht, wie Stephan Hebel seinen „freiheitlich denkenden Menschen“ definiert. Vermutlich würde er selbst in Verlegenheit geraten, dafür eine klare und vernünftige Definition abzuliefern. Der Sinn dieser Formulierung ist jedoch die Herstellung einer einfachen Schwarz-weiß-Malerei: Hier die Guten, da die Bösen. Fertig. Da erübrigt sich doch jegliche weitere Erläuterung, ja es öffnet sich sogar die Tür zum (falschen) Umkehrschluss: Wer die AfD bekämpft, ist ein freiheitlich denkender Mensch, also  einer der Guten.

Nun geht der infame Satz aber weiter, denn der unterscheidet zwischen den demokratischen Pflichten aller freiheitlich denkenden Menschen und offenbar anders gearteten demokratischen Pflichten, die für jene von ihm ausgemachten, „nicht freiheitlich  denkenden Menschen“ gelten. Der Autor schafft also mit einer Zuckung seines Denkapparates eine Zwei-Klassen-Gesellschaft der Demokratie. Unterscheidet zwischen guten, pflichtbewussten und schlechten, pflichtvergessenen Demokraten und ruft, wie viele andere Stimmungsmacher, dazu auf, die AfD zu bekämpfen.

Man kann – und man sollte – die freiheitlich demokratische Grundordnung in allen Fassungen mit allen dreiundsechzig seit 1949 daran vorgenommenen Änderungen nach der Pflicht zur Bekämpfung der AfD durchforsten, man wird nichts  finden, was auch nur annähernd diese Auffassung unterstützt.

Wo steht in Artikel 21 GG geschrieben, die Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes, habe, wenn die Argumente nicht ausreichen, eben auch mit der Anwendung physischer Gewalt gegen Abgeordnete anderer Parteien zu erfolgen? Wo steht geschrieben, Parteien sollten sich zur Sicherung ihrer Mehrheit auf Schlägertrupps abstützen? Im Zentralorgan der SPD, „Vorwärts“, wurde jedenfalls im September verlautbart: „Im Kampf gegen rechts braucht die SPD auch die Antifa“.

Bei der NSDAP hieß das „Sturmabteilung“ (SA), und deren Aufgabe bestand darin, politische Gegner mit Gewalt von eigenen Versammlungen abzuschirmen und gegnerische Veranstaltungen zu behindern. Auf indymedia, der Webseite der Antifa, lässt sich nachlesen, dass genau dieser Auftrag absolut ernst genommen wird. Dass die führenden Köpfe der SA nach der Machtergreifung ermordet wurden, hat an den Diensten, die sie der NSDAP geleistet haben, nichts geändert. Wenn der Mohr seine Schuldigkeit getan hat, dann muss er eben gehen.

Aber zurück zur Meinung Stephan Hebels, der die gewalttätige Attacke auf den AfD Abgeordneten den „Fall Magnitz“ nennt. Es kann ausgeschlossen werden, dass er mit „Fall“  einen „Sturz“ gemeint haben könnte. Er verwendet „Fall“ hier so, als sei Magnitz der Angeklagte in einem Strafprozess, und nicht das Opfer. Ebenso, wie die Qualtitätspresse im letzten Jahr von einem „Fall Maaßen“ zu berichten wusste, oder wie der „Fall Schneider“ einen der größten Betrugsprozesse der Vergangenheit bezeichnete, oder, der „Fall Schreiber“ die Affäre um verdeckte Parteispenden für die CDU.

Auch der letzte Satz dieses Zitates verdient Aufmerksamkeit. Hebel verurteilt die Attacke nicht. Er stellt sie als einen untauglichen Versuch dar, die Rechten zu vertreiben. Vielleicht tröstet ihn inzwischen die Tatsache, dass die Polizei auf  Videos von Überwachungskameras kein Kantholz gesehen hat. Vielleicht ist das Einprügeln auf einen alten weißen Mann – ohne Kantholz –  ja im Nachhinein doch geeignet, die Rechten zu vertreiben. Vielleicht war ihm die Gewalt aber für den angestrebten Zweck auch nicht ausreichend? Wer weiß das schon.

Und dann die hammerharte, als logischer Schluss getarnte Aussage: Attacken mit Kanthölzern auf Rechte machen die Rechten nur noch stärker.

Ja, es ist etwas dran. Es gibt Geschichten von Märtyrern, die einer Sache erst richtig Auftrieb gegeben haben.

Es gibt aber auch die anderern Geschichten, und da nehmen wir gerne noch einmal eine Anleihe beim Dritten Reich: Staatsterror, wie er von SA und von der GeStapo sowie vom Volksgerichtshof und nicht nur einem Marinerichter betrieben wurde, hat wirksamen Widerstand bis zum 8. Mai 1945 nicht aufkommen lassen. Und die Deutschen damals, die waren noch längst nicht so wehrlos und kraftlos, wie ein Großteil der Deutschen heute. Welcher Normalbürger ist heute noch in der Lage, sich gegen Schläger erfolgreich zur Wehr zu setzen? Wie viele, die Hilfe leisten wollten, wurden dabei selbst zum Opfer? Und wie war das in der DDR?

Hilfreich, Hebels Kommentar richtig zu verstehen, ist ein Blick auf die Antfa-Seite Indymedia, die zwar verboten wurde, aber dessenungeachtet weiter im Netz erreichbar ist.

Dort findet sich auch eine Würdigung der Attacke von Bremen unter der Überschrift:

Angriff auf AfD Bundestagsabgeordneten: Die richtige Tat zur richtigen Zeit?

Und im Text heißt es dann:

Die Verletzung seines Körpers hat aber darüber hinausreichende Wirkungen, die sich aus der Funktion von Frank Magnitz als Spitzenpolitiker des rechtesten Flügels der AfD ergeben. Infofern ist die Tat ein doppeltes Signal. Sie führt allen AfDlern, die eine Karriere innerhalb der Partei anstreben vor Augen, dass einen Schlag mit dem Holzknüppel riskiert, wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt. Und sie erinnert die militante Antifa daran, dass Antifaschismus im Jahr 2019 bedeutet, den Schrittmachern des Rechtsrucks ins Auge zu sehen. Das sind nicht die Naziskins von der Straße, sondern die Führungsfiguren der neuen Rechten. Und die sind angreifbar, selbst noch im Bundestag.