Gestern Abend: Hagen Rether
Hagen Rether, der Mann mit der stahlgrauen Karl-Lagerfeld-Frisur, der nie ohne einen Flügel auf die Bühne geht, ist mir in der Vergangenheit immer nur in kurzen Gast-Auftritten in Kabarett Sendungen begegnet. Meist ist er mir mit seiner distanziert wirkenden, ruhigen, hintergründigen Art angenehm aufgefallen. Daher war die Spannung groß, wie es sich anfühlen wird, wenn er einen ganzen Abend alleine bestreitet – vor allem wenn er, wie angekündigt, sein Publikum mehr als drei Stunden lang in seinen Bann ziehen will.
Nach einem Blick auf Google Maps war die suboptimale Parkplatzsituation beim Antoniushaus in Regensburg entscheidend dafür, schon kurz vor 17.00 loszufahren. Tatsächlich fanden wir auf Anhieb den freien Parkplatz und enterten das vollbesetze Restaurant im Antoniushaus, das wir, da wir nicht reserviert hatten, in Richtung des kärglich ausgestatteten Nebenzimmers verlassen mussten. Es fiel nicht schwer, nach kurzer Nahrungsaufnahme von da wieder aufzubrechen, um im Foyer zum Saal gute 40 Minuten auf den Einlass und dann im Saal nochmals 50 Minuten auf den Künstler zu warten.
Bewunderswert die Präsenz, die er ausstrahlte, als er hinter dem dunkelbauen Vorhang von der linken Bühnenseite her auftrat, es sich in seinem fabelhaft-ergonomischen Fünf-Rollen-Bürodrehstuhl vor dem Flügel bequem machte und mit verträumter Stimme, fast flüsternd, damit begann, sein Publikum zu hypnotisieren. Es sei so schön warm unter den Strahlen der Scheinwerfer. Entspannung. „Schließen Sie ruhig auch die Augen“, forderte er die 500 Gäste auf, sich auf ihn und seine Stimmung einzulassen.
„Was eiert der Kreutzer denn da so herum?“, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen, und, „wann kommt er wohl endlich auf den Punkt?“
Sie haben Recht. Es fällt mir schwer, zu den Themen Rethers etwas zu sagen, ohne dabei Porzellan zu zerschlagen, das ich gar nicht zerschlagen will. Ich fange daher anders an:
Rether ist ein Linker.
So links, dass so mancher in Ehren ergrauter Ex-KPDML-Mitläufer
Schwierigkeiten hat, da noch Schritt zu halten.
Zudem ist er ein veganer, atheistischer Ökologiker.
Eine Mischung aus Marx, Lenin und dem tierlieben Hl. Franz von Assisi,
gerade so, wie die Proletarier aller Länder sich den Lieben Gott vorstellen würden, wären sie nicht gehalten, linksgläubige Atheisten zu sein.
Dies alles sei Hagen Rether zugestanden. Meinungsfreiheit, und so. Wo kämen wir denn sonst hin?! Erst der Austausch von Meinungen, und seien sie noch so konträr, kann bei beiderseitigem guten Willen zu einem Kompromiss, vielleicht sogar zu einer ganz neuen, noch besseren gemeinsamen Lösung führen.
Doch da beginnt mein Problem. Ich sitze in der dritten Reihe, kann fast seinen Atem spüren, doch fühle ich mich auf meinem dürftig gepolsterten Holzstuhl wie beim Zahnarzt, der mir mit drei Fingern der linken Hand die Oberlippe über die Nase zieht und mit der rechten Hand den laufenden Bohrer im hohlen Zahn bewegt und dann fragt: „Tut’s weh?“ Natürlich weiß er, dass der Patient nicht in der Lage ist, auch nur ein Wort zu sagen, und dass er zudem nicht wagt, sich irgendwie zu rühren, weil sonst ja der Bohrer in die empfindliche Wange abrutschen könnte.
Wenn Rether also seine Überzeugungen abschießt, die durch scheunentorgroße Aus- und Weglassungen geprägt sind, und Beispiele konstruiert, in denen er von der Form seines Kaffeesatzes zwingend auf die Richtigkeit der Merksätze Merkels schließt, und ihr „Wir schaffen das“ zum Glaubensbekenntnis erhebt, in welchem zwar nicht der Vater, der Sohn und der Heilige Geist vorkommen, wohl aber
- 1 Million
- und zwar „Flüchtlinge“ (bei ihm ohne Anführungszeichen)
- denen 500 Millionen reiche Europäer entgegenstehen,
- darunter 80 Millionen ganz besonders reiche, SUV-Diesel-fahrende Deutsche,
die „das“ (was?) zweifellos schaffen könnten, gäbe es darunter nicht so viele empathielose Rassisten – und jetzt kommt der Zahnarzt durch, der weiß, dass der Patient nichts sagen kann – die wie ein vom Buchsbaumzünsler befallener Buchsbaum von innen heraus verfault und unrettbar verloren sind, weshalb sie ignoriert und ausgegrenzt werden müssen, weil man mit „denen“ nicht diskutieren kann.
Da sitzt du drin, auf dem harten Gestühl, die Gesäßmuskeln schmerzen schon, und möchtest ein paar Fragen an ihn richten, eine Diskussion beginnen, doch es ist wie in der Kirche. Fragen sind nicht zugelassen – und über Dogmen kann man nicht diskutieren.
Dann geht der strenge linksgrüne Oberlehrer mit ihm durch und er behauptet ernsthaft, die Welt ließe sich nur mit Verboten in Ordnung bringen. Freiwilligkeit habe noch nie geholfen. Schließlich hätten wir auch ein BGB und ein Strafgesetzbuch. Diesel gehören verboten, schon wegen Greta, die es allen, deren Denken vor tausend Jahren stehengeblieben ist, sagt, was heute alle Kinder, alle Sechsjährigen wissen, was nämlich getan werden muss, um die Welt zu retten.
Hat wohl zu viel Grönemeyer gehört. Kinder an die Macht, und so. Weiß er nicht, dass Kinder nur das wissen, was ihnen von Erwachsenen eingeblasen wird? Hat er im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst, wenn von Clothar II. (mit vier Monaten König geworden) die Rede war, oder noch schlimmer, von Anno II., Erzbischof zu Köln, der den 12-jährigen Heinrich IV. in seine Gewalt brachte und damit selbst zum alleinigen Strippenzieher des Reiches wurde?
Außerdem sei sowieso schon immer alles zuerst von den Linken und Grünen erkannt und gefordert worden, bis alles fast zu spät war, dann hätten es die Etablierten eingesehen, die linken und die grünen Rezepte übernommen und sich dafür loben lassen. Von Bismarck angefangen, der doch die Sozialgesetzgebung nur unter dem Druck der Linken erlassen hat, bis zu Petra Kelly, ohne deren Drängen der Rhein immer noch die stinkende Industrie-Kloake wäre, zu der zwischenzeitlich gemacht worden war. Jetzt, im 21. Jahrhundert, wo wir mehr wissen als der Club of Rome in den Sechzigern, müsse halt alles gleich verboten werden, weil alles viel schlimmer ist, als die es damals wissen konnten.
Ja, ein bisschen hat er mit seinem Lamento da ja Recht, gar keine Frage. Ende des 19. Jahrhunderts war die Lage der Arbeiter prekär, und die Sozialversicherung war ein Versuch, mit der Verbesserung der Absicherung der Arbeiter die Gefahr von Unruhen abzuwenden und damit die Regierung zu stabilisieren. Ja, die Grünen, als sie noch eine ökologische Partei waren, haben so manchen Anstoß gegeben, der aufgenommen wurde. Doch weder die Sozialisten am Ende des 19. Jahrhunderts, noch die Grünen der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts waren vom Wähler mit Mehrheiten ausgestattet, die ihnen ermöglicht hätten zur Unzeit und ohne umfassende Güterabwägung überzogene Gesetze zu verabschieden – und ich füge dem hinzu: Glücklicherweise!
Und, oh Wunder – Urheberschaft hin oder her – es wurden notwendige Veränderungen in Angriff genommen, sobald die realistischen Möglichkeiten ausgelotet und dann auch die Mehrheiten dafür da waren.
Kohlekraftwerke müssen sofort verboten werden. Warum noch zögern, wo doch schon die Sechsjährigen wissen, dass es gar nicht anders geht, wenn nicht die Holländer als Flüchtlinge nach Deutschland kommen sollen? – Allerdings nicht zu Fuß, sondern mit dem Wohnwagen – Helau!
Die Ausstiegsgegner jammern doch nur, dass das 40 Milliarden kosten wird. 40 Milliarden, die wir doch haben, die wir jedes Jahr, wegen der Noch-nicht-Veganer für Diabetes ausgeben, und 30 Milliarden, die für Alkoholismusfolgen anfallen, und 40 Milliarden für Rüstung …
Das ist nicht mehr Populismus. Das ist schon Demagogie. Die 40 Milliarden sind nicht die Kosten des Kohleausstiegs sondern die veranschlagten Fördermittel für die betroffenen Regionen in der Lausitz und am Rhein, damit die eine Chance haben, den Strukturwandel zu vollziehen. Die sind auch praktisch schon nicht mehr Gegenstand des Streites, sondern Beschlusslage für den Fall, dass der Ausstieg bis 2038 funktioniert, wie von der Kohlekommission vorgeschlagen .
Das Problem besteht doch darin, dass Sonne und Wind unzuverlässige Energielieferanten sind und dass der Umstieg auf E-Mobilität den Strombedarf stark – zu stark – ansteigen lassen wird. Das Problem besteht zudem darin, dass eine auf das Automobil und individuelle Mobilität zugeschnittene Gesellschaft, samt ihrer Infrastruktur, sich nicht vom Zauberstab der guten Fee von heute auf morgen in ein linksgrünes Paradies verwandeln lässt, in dem das Grundeinkommen und United Parcel Service individuelle Mobilität überflüssig machen, wie in der dystopischen Geschichte von E. M. Foster „The Machine stops). Ganz abgesehen davon, dass die CO2-Klimamodelle, auf denen alles beruht, nur als unumstrittene Wahrheit dargestellt und Kritiker – wie vom Buchsbaumzünsler befallene Buchsbäume – aus dem Wissenschaftsgärtlein des IPPC ausgerissen und zumindest symbolisch verbrannt werden, ohne dass es tatsächlich so etwas wie einen Beweis gäbe, wohl aber viele berechtigte und begründete Zweifel.
An zwei Dinge habe ich mich, während Rether immer weiter und länger versuchte, den Gutmenschen in mir zu füttern, recht intensiv erinnert.
Anfang der 70er-Jahre haben wir bei Siemens so genannte „Unternehmens-Spiele“ für die Nachwuchsförderung entwickelt. Je vier oder fünf Mitspieler wurden zu den Verantwortlichen eines von vier oder fünf konkurrierenden Unternehmen ernannt, erhielten seitenlange ausführliche Informationen über die bisherige Entwicklung ihres Unternehmens und hatten dann eine Stunde Zeit, Beschlüsse für die Strategie des nächsten Geschäftsjahres zu fassen. Nach einer Stunde wurden die Ergebnisse eingesammelt und von den Spielleitern (ohne App auf dem Tablet) entsprechend den Grundannahmen des Spiels bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung ausgewertet und das „wahre Ergebnis des Geschäftsjahres“ an die Gruppen zurückgegeben. Ziel war es, das Verständnis für die betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge zu schärfen und die Teilnehmer an ein gewissenhaftes, alle Aspekte einbeziehendes, verantwortungsvolles Entscheidungsverhalten heranzuführen.
Rether würde ich heute bei einem solchen Spiel die Insolvenz spätestens im dritten Geschäftsjahr sicher vorhersagen, schlicht, weil er zu viele relevante Parameter vollkommen außer Acht lässt.
Alleine, dass er den (viel zu groß eingeschätzten) Reichtum Deutschlands für gottgegeben hält, und daher meint, er könne jetzt großzügig mit allen geteilt werden, die nie etwas dazu beigetragen haben und aller Voraussicht nach auch nie etwas dazu beitragen werden, deutet darauf hin, dass er auch die Reserven seines Unternehmens in kurzfristigen Aktivitäten verpulvern würde.
Was sich mir noch immer wieder aufdrängte, war Dieter Nuhr, der ebenfalls antiklerikale, aber dennoch komplette Gegenentwurf des Kabaretts des neoliberalen Establishments zu Hagen Rether. Man müsste die beiden so lange gemeinsam in einem Raum einsperren, bis sie sich auf ein gemeinsames Programm geeinigt haben. Ich fürchte aber, da bliebe nicht sehr viel mehr übrig als zwei drei Pointen um Päpste, Bischöfe und Chorknaben.
Das will ich Ihnen zum Schluss auch nicht vorenthalten:
Köln, Domplatte, Silvester 2015, Antanzen, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen …
Rether: Diesmal halt vor der Kirche.
Im Übrigen habe ich zu spät angefangen mitzuzählen, und als es nicht enden wollte, war ich dann auch schon zu müde, aber sicher ist:
Brennende Flüchtlingsheime kamen immer wieder vor, in Rethers Text. Sicher, die hat es gegeben und sie gibt es immer noch. Das ist schlimm. Das darf nicht nur nicht toleriert werden, das muss mit Nachdruck verfolgt und bestraft werden. Im Faktencheck habe ich dann bei inuri.de dazu die folgenden Zahlen gefunden:
In den Jahren 2015 und 2016 gab es insgesamt 1.248 Fälle. Davon waren 578 von den Bewohnern selbst verursacht, 99 Brände entstanden aufgrund technischer Defekte, in 87 Fällen konnte die Brandursache nicht geklärt werden.
Bleiben 484 Fälle mit 301 ermittelten und 183 nicht ermittelten Tätern. Es kam dabei zu vier Todesfällen. Drei davon infolge eines Suizids bzw. einer Tötung.
Nein, das brauchen wir nicht!
Und es sollte auch nicht das Privileg linksgrüner Aktivisten sein, bzw. bleiben, dies mit Abscheu immer wieder vorzutragen.Das geht uns alle an.
Es kann aber auch nicht das Privileg linksgrüner Aktivisten sein, die im gleichen Zeitraum von Migranten verübten schweren Straftaten gegen das Leben und die sexuelle Selbstbestimmung und das Eigentum als bedauerliche Einzelfälle von „Männern“ oder „Gruppen“ unter den Tisch kehren zu dürfen. Dass Regierung und Medien das ihre dazu beitragen, hier einen großen Teppich auszubreiten, unter den alles was nicht ins Bild passt, schnellstmöglich gekehrt werden kann, ist dabei keine Entschuldigung, sondern ein Fakt, der nachdenklich machen sollte. Offizielle, aussagefähige Statistiken gibt es dazu natürlich auch nicht. Einen Versuch, wenigstens auf die Dimension hinzuweisen (aus dem Juni 2017) habe ich hier gefunden.
Auch diese Straftaten, sind kein Grund, um – Auge und Auge, Zahn um Zahn – Brandanschläge auszuüben.
Aber auch diese zu erwähnen, ist wichtig, um die Einseitigkeit der Berichterstattung zu überwinden, um den Menschen im Lande ein vollständiges Bild der Lage zu bieten und ihnen in Bezug auf die problematische Migrations- und Flüchtlingsproblematik Hilfen für ihre Meinungsbildung und Wahlentscheidung zu geben.
Rether hat einen tollen Auftritt hingelegt und seinen Zuhörern in über drei Stunden sehr viel Stoff geboten. Leider für meine Begriffe so einseitig wie das Plädoyer eines US-Staranwalts vor der Geschworenenbank im Hollywoodfilm.
Schade.