Bitcoin-Blüte – FTX-Pleite

Wenn Milliarden verschwinden als hätte es sie nie gegeben, dann sollte man die Möglichkeit, dass es sie tatsächlich nie gegeben hat, nicht außer Acht lassen.
Der Krypto-Handelsplatz FTX des Sam Bankman-Fried ist Anlass genug, diesen Gedanken wieder einmal zu verfolgen.

Vor knapp zwei Jahren, im Januar 2021, als die Kryptos wieder einmal Höchstkurse verzeichneten, habe ich mit dem Aufsatz „Bitcoin-Blüte“ vor der Anlage in diesen so genannten „Währungen“ gewarnt. Ich gebe diesen hier noch einmal wieder und füge danach noch ein paar Überlegungen zur Funktion von Krypto-Handelsplätzen an. Außerdem eine Stellungnahme eines Lesers zu diesen Überlegungen.

Der Aufsatz vom Januar 2021:

Wenn sich innerhalb weniger Monate der Preis eines Massenproduktes mehr als verdoppelt,

dann stimmt etwas nicht.

Für solche Unstimmigkeiten gibt es nur drei klassische Erklärungen:

  • Knappheit, Mangelwirtschaft, Missernten
    können manche Produkte verteuern, vor allem dann, wenn es sich um lebensnotwendige oder vermeintlich „unverzichtbare“ Dinge handelt.
  • Allgemeine, galoppierende Inflation
    eine heftige Geldentwertung lässt alle Preise steigen. Ausgenommen vielleicht echt Überflüssiges, das in den Regalen liegen bleibt, weil die Geldentwertung die Konzentration der Kunden auf das Wesentliche erzwingt.
  • Insiderwissen, Astrologie
    Prognosen, die Wertsteigerungen versprechen, lassen, wenn sie geglaubt werden, auch die Preise steigen, noch bevor die Ereignisse eingetroffen sind, auf die sich die Prognosen stützen.

Wenn man sich die Digitalwährung Bitcoin betrachtet, stellt man fest,

dass

  • die Begrenzung auf eine Höchstzahl von Coins zwar als Verknappung angesehen werden kann, die jedoch von anderen, in Fülle verfügbaren Zahlungsmitteln, jederzeit leicht substituiert werden kann. Bitcoins sind daher weder lebensnotwendig, noch in irgendeiner Hinsicht unverzichtbar;
  • es eine allgemeine, galoppierende Inflation nicht gib, ja dass der Bitcoin momentan sogar die Preissteigerung der klassischen Assets (Aktien, Edelmetalle, Grund und Boden) deutlich übersteigt und die Preisentwicklung der Bitcoins damit eine solitäre Ausnahmeerscheinung darstellen;
  • es außer Gerüchten über weitere astronomische Wertzuwächse kein belastbares Indiz gibt, das diese Ausnahmeentwicklung rechtfertigen könnte.

Die heute mindestens Fünfzigjährigen werden sich noch an den Hype um jene billigen Plastikuhren erinnern, die unter dem Namen „Swatch“ auf den Markt kamen und mit Hilfe hochkarätiger Marketing-Tricks deshalb zum Verkaufsschlager wurden, weil „Sammler“ die Uhren schnell wieder aufkauften, damit einen  Wertzuwachs suggerierten und ein Schneeballsystem in Gang brachten, das immer mehr Menschen dazu animierte, sich aus jeder neuen Serie schnellstmöglich ihre Exemplare zu sichern, was das Feuer des Sammelwahns für etliche Jahre immer wieder neu entfachte und einige Sammler, die optimal wieder weiterverkauften, reich machte. Einige wenige Exemplare einiger Swatch-Editionen werden tatsächlich heute noch von Sammlern gehalten und zu horrenden Preisen auf Auktionen ausgerufen. Die meisten „Swatch-Anleger“ dürften sich jedoch inzwischen damit abgefunden haben, dass das Häufchen Plastik-Schrott in der Vitrine nie wieder zu Geld gemacht werden kann.

Der Bitcoin ist weniger als eine Plastikuhr. Er hat keine materielle Basis. Keine Ausdehnung, kein Gewicht, ist unsichtbar, nichts als eine „Information“ auf bestimmten Servern, die einem „Eigentümer“ zugeordnet wird. Darin unterscheidet er sich nicht von jenem Geld, das wir auf Girokonten halten. Dass der Herstellungsprozess dieser Information gegenüber einem Euro auf einem Bankkonto einen irrsinnig hohen Aufwand an Rechenleistung erfordert und dafür große Mengen elektrischer Energie verbraucht werden, gibt dem Bitcoin keinen Wert. Er bringt die Energie ja nicht mit. Würde ein Geldfälscher mit hohem Aufwand täglich hundert 10 Cent Münzen herstellen, könnte der auch nicht davon ausgehen, dass diese, wegen seiner hohen Arbeitsleistung und der geringen Ausbeute nun tausend Euro wert sein müssten. Der Bitcoin ist schlicht ein (letztlich vollkommen unnützes) Rechenergebnis. Sonst nichts.

Und niemand braucht dieses Rechenergebnis wirklich. Gut, es gibt Erpresser, die per Schadsoftware ganze Rechner verschlüsseln und für die Wiederherstellung der Nutzbarkeit von Daten und Programmen ein Lösegeld in Bitcoin fordern. Aber wer seine Systeme einigermaßen schützt und nicht jede E-Mail dubiosen Ursprungs öffnet, dürfte damit kaum in Berührung kommen.

Es heißt zwar, dass Transaktionen mit Bitcoin anonymisiert stattfinden, und dass die Blockchain, die den Lebensweg jedes Bitcoin aufzeichnet, nicht entschlüsselt werden könne, doch halte ich das für einen frommen Wunsch. Hacker, ob nun im Staatsdienst oder auf eigene Rechnung tätig, werden auch diesen Schutzzaun knacken, wenn es nicht schon längst gelungen ist.

Von daher komme ich zu dem Schluss, dass es wie bei der Swatch auch beim Bitcoin jenen Tag geben wird, an dem sich die Erkenntnis breit macht, dass Bitcoin nur eine unendlich komplizierte Form von Geld ist, die den Nachteil hat, dass keine Bezugsgröße existiert, an der man den wahren Wert bemessen könnte. An diesem Tag wird es der Krypto-Währung ergehen wie der Swatch-Uhr.

… oder wie den Tulpenzwiebeln in den Niederlanden Anfang Februar 1637.

Hype vorbei. Wunden lecken.

Im November 2022 stellt sich mir die Sache nun noch etwas „kryptischer“ dar.

Ich bin vermutlich nicht der Einzige, der keine Ahnung hat, wie das Geschäftsmodell von FTX tatsächlich ausgesehen hat, doch aus den Informationen über die Pleite habe ich für mich das folgende Szenario rekonstruiert:

FTX, so meine Annahme, hat von Kunden Geld in Form von Dollar, Euro und anderen Währungen angenommen und seinen Kunden dafür Krypto-Coins beschafft. Die Wallets dieser Kunden, also die elekronischen Krypto-Geldbörsen, wurden jedoch in den FTX-Computern „aufbewahrt“. Es fand also eine Art Kontoführung über Krypto-Coin-Guthaben statt. Zugriffe der Kunden auf diese Guthaben, vor allem Überweisungen an andere Krypto-Geld Wallets irgendwo auf der Welt, wurden einzig von FTX ausgeführt.

Damit dürfte es möglich gewesen sein, das vermeintlich fälschungssichere Block-Chain-System zu überlisten. Der Bestand an Krypto-Coins in den Datenspeichern des Handelsplatzes musste keineswegs den Bestand der von den Kunden insgesamt gehaltenen Coins abdecken. Es genügte, wie bei jeder „normalen“ Bank auch, eine gewisse Mindestreserve vorzuhalten, um angewiesene Übertragungen auszuführen, was durch eingehende Überweisungen wieder ausgeglichen werden konnte. Selbst wenn die Kunden glaubten, ihre Transaktionen würden durch die von ihnen erzeugten kryptografischen Schlüssel authentifiziert, kann es sich um reine Fake-Schlüssel gehandelt haben, die von FTX  selbst auf einfache Weiese erzeugt und durch echte Schlüssel ersetzt wurden, die von FTX-eigenen Wallets im eigenen (Reserve-) Bestand stammten.

Es wäre also möglich gewesen, von Anfang an sehr viel weniger Krypto-Coins zu erwerben als zur Abdeckung der Einzahlungen der Kunden erforderlich gewesen wären. Der so entstehende Gewinn, in Dollar, Euro oder anderen Währungen vorliegend, konnte folglich problemlos aus dem System entnommen werden.

Erst als – möglicherweise ausgelöst von den Zinserhöhungsschritten der FED und der EZB – zu viele Kunden den Rückumtausch ihrer bei FTX verwahrte Krypto-Coins  in Echtwährungen verlangten, also ein Bank-Run einsetzte,  aber weder diese Coins  im System vorhanden waren, weil sie nie beschafft wurden, folglich auch nicht für die Beschaffung von Echtwährung zur Verfügung standen, noch die entsprechenden Beträge in Echtwährung zur Verfügung standen, musste das System zusammenbrechen.

Selbstverständlich liegt es nahe, für den nun eingetretenen Schadensfall, anonyme Hacker verantwortlich zu machen.

Wie gesagt: So habe ich mir das zusammengereimt. Es kann auch anders gewesen sein.

Ein Leser bestätigt meine Auffassung weitgehend:

Hallo Herr Kreutzer,

vielen Dank für Ihren Tageskommentar.

Ich habe mich letztes Jahr etwas mit den Krypto-Währungen beschäftigt und habe den FTX-Zusammenbruch etwas verfolgt. Es ist wohl so wie Sie geschrieben haben. Auf den „Konten“ von FTX haben die Kunden Guthaben von Krypto-Währungen gutgeschrieben bekommen. Die FTX-Kunden hatten keine eigenen Coins und auch nicht die Schlüssel zu den Coins.

(Bitcoin hat ja immer einen Privat-Key und einen Public-Key, mit dem Public-Key kann man den Bitcoin an eine andere Person transferieren und mit dem Privat-Key kann man den Bitcoin im Netz wieder „herstellen“, bei Etherium ist es ähnlich. Mit anderen Coins habe ich mich nicht beschäftigt, weil mir ziemlich schnell klar geworden sind, dass die sogenannten „Altcoins“  noch weniger Währungen sind wie Bitcoin oder Etherium, sondern nur Geschäftsmodelle, die den Emittenten Geld bringen sollen)

FTX-Kunden hatten diese Schlüssel nicht, sie hatten lediglich einen Anspruch gegen FTX auf die Auszahlung von Coins. So ist es auch bei anderen Krypto-Börsen wie z.B. Bainance oder Kraken. Bei der deutschen Kryptobörse Nuri, die ja auch pleite ist, hatten die Kunden tatsächlich Wallets, das heißt die Kunden hatten die Schlüssel und können die Bitcoins auch wirklich unabhängig von der Existenz von Nuri transferieren. Wie Sie schreiben, konnte FTX die Ansprüche der Kunden auf die Auszahlung von Coins nicht befriedigen, weil die Coins nicht mehr in ausreichender Menge da waren und damit ist das Kartenhaus zusammengefallen. Das könnte auch bei anderen Kryptobörsen passieren.

Daher sollten Bitcoin-Anleger sich selbst eine Wallet erstellen und Ihren Anspruch auf Auszahlung der gutgeschriebenen Bitcoins so schnell wie möglich realisieren und die Coins auf ihre eigene Wallet übertragen. An der Veruntreuung von Kundenguthaben bei FTX sieht man, wie wichtig dieser Schritt ist.

Herzliche Grüße, Helmut W.

Ein anderer Leser verweist auf die verblüffend ähnlich klingende Geschicht der Adele Spitzeder, die 1869 – vollkommen mittelos  – mit wahnwitziger Geschwindigkeit eine Art Bankgeschäft aufbaute. Wikipedia erzählt dazu:

Zu ihrer besten Zeit hatte sie 83 Angestellte, viele Kreditvermittler darunter, sie stellte am Tag mehr als 1000 Wechsel aus. Täglich brachten die Leute mehr als 100.000 Gulden vorbei; Spitzeder nahm anderen Banken das Geschäft weg, so erlitt die Münchner Sparkasse in einem Jahr 50.000 Gulden Schulden (es wurden 50.000 Gulden mehr abgehoben als eingezahlt). Sie konnte lange frei agieren, denn es gab noch kein Kreditwesengesetz und keine Finanzaufsicht, die sie behelligen konnte.

Spitzeder konnte dem stärker werdenden Druck der Regierung, der Banken und einzelner Zeitungen, die gegen die „Schwindelbank“ zu Felde zogen, noch einige Zeit standhalten. Als die Gegner etwa 60 Gläubiger organisierten, die sich gleichzeitig ihr Geld auszahlen lassen wollten, brach die Bank zusammen. Spitzeder war nicht solvent und wurde am 12. November 1872 wegen Vorwurf des Betrugs verhaftet. 

Hier der komplette Wikipedia-Beitrag: https://de.wikipedia.org/wiki/Adele_Spitzeder