Wenn sich innerhalb weniger Monate der Preis eines Massenproduktes mehr als verdoppelt,
dann stimmt etwas nicht.
Für solche Unstimmigkeiten gibt es nur drei klassische Erklärungen:
- Knappheit, Mangelwirtschaft, Missernten
können manche Produkte verteuern, vor allem dann, wenn es sich um lebensnotwendige oder vermeintlich „unverzichtbare“ Dinge handelt. - Allgemeine, galoppierende Inflation
eine heftige Geldentwertung lässt alle Preise steigen. Ausgenommen vielleicht echt Überflüssiges, das in den Regalen liegen bleibt, weil die Geldentwertung die Konzentration der Kunden auf das Wesentliche erzwingt. - Insiderwissen, Astrologie
Prognosen, die Wertsteigerungen versprechen, lassen, wenn sie geglaubt werden, auch die Preise steigen, noch bevor die Ereignisse eingetroffen sind, auf die sich die Prognosen stützen.
Wenn man sich die Digitalwährung Bitcoin betrachtet, stellt man fest,
dass
- die Begrenzung auf eine Höchstzahl von Coins zwar als Verknappung angesehen werden kann, die jedoch von anderen, in Fülle verfügbaren Zahlungsmitteln, jederzeit leicht substituiert werden kann. Bitcoins sind daher weder lebensnotwendig, noch in irgendeiner Hinsicht unverzichtbar;
- es eine allgemeine, galoppierende Inflation nicht gib, ja dass der Bitcoin momentan sogar die Preissteigerung der klassischen Assets (Aktien, Edelmetalle, Grund und Boden) deutlich übersteigt und die Preisentwicklung der Bitcoins damit eine solitäre Ausnahmeerscheinung darstellen;
- es außer Gerüchten über weitere astronomische Wertzuwächse kein belastbares Indiz gibt, das diese Ausnahmeentwicklung rechtfertigen könnte.
Die heute mindestens Fünfzigjährigen werden sich noch an den Hype um jene billigen Plastikuhren erinnern, die unter dem Namen „Swatch“ auf den Markt kamen und mit Hilfe hochkarätiger Marketing-Tricks deshalb zum Verkaufsschlager wurden, weil „Sammler“ die Uhren schnell wieder aufkauften, damit einen Wertzuwachs suggerierten und ein Schneeballsystem in Gang brachten, das immer mehr Menschen dazu animierte, sich aus jeder neuen Serie schnellstmöglich ihre Exemplare zu sichern, was das Feuer des Sammelwahns für etliche Jahre immer wieder neu entfachte und einige Sammler, die optimal wieder weiterverkauften, reich machte. Einige wenige Exemplare einiger Swatch-Editionen werden tatsächlich heute noch von Sammlern gehalten und zu horrenden Preisen auf Auktionen ausgerufen. Die meisten „Swatch-Anleger“ dürften sich jedoch inzwischen damit abgefunden haben, dass das Häufchen Plastik-Schrott in der Vitrine nie wieder zu Geld gemacht werden kann.
Der Bitcoin ist weniger als eine Plastikuhr. Er hat keine materielle Basis. Keine Ausdehnung, kein Gewicht, ist unsichtbar, nichts als eine „Information“ auf bestimmten Servern, die einem „Eigentümer“ zugeordnet wird. Darin unterscheidet er sich nicht von jenem Geld, das wir auf Girokonten halten. Dass der Herstellungsprozess dieser Information gegenüber einem Euro auf einem Bankkonto einen irrsinnig hohen Aufwand an Rechenleistung erfordert und dafür große Mengen elektrischer Energie verbraucht werden, gibt dem Bitcoin keinen Wert. Er bringt die Energie ja nicht mit. Würde ein Geldfälscher mit hohem Aufwand täglich hundert 10 Cent Münzen herstellen, könnte der auch nicht davon ausgehen, dass diese, wegen seiner hohen Arbeitsleistung und der geringen Ausbeute nun tausend Euro wert sein müssten. Der Bitcoin ist schlicht ein (letztlich vollkommen unnützes) Rechenergebnis. Sonst nichts.
Und niemand braucht dieses Rechenergebnis wirklich. Gut, es gibt Erpresser, die per Schadsoftware ganze Rechner verschlüsseln und für die Wiederherstellung der Nutzbarkeit von Daten und Programmen ein Lösegeld in Bitcoin fordern. Aber wer seine Systeme einigermaßen schützt und nicht jede E-Mail dubiosen Ursprungs öffnet, dürfte damit kaum in Berührung kommen.
Es heißt zwar, dass Transaktionen mit Bitcoin anonymisiert stattfinden, und dass die Blockchain, die den Lebensweg jedes Bitcoin aufzeichnet, nicht entschlüsselt werden könne, doch halte ich das für einen frommen Wunsch. Hacker, ob nun im Staatsdienst oder auf eigene Rechnung tätig, werden auch diesen Schutzzaun knacken, wenn es nicht schon längst gelungen ist.
Von daher komme ich zu dem Schluss, dass es wie bei der Swatch auch beim Bitcoin jenen Tag geben wird, an dem sich die Erkenntnis breit macht, dass Bitcoin nur eine unendlich komplizierte Form von Geld ist, die den Nachteil hat, dass keine Bezugsgröße existiert, an der man den wahren Wert bemessen könnte. An diesem Tag wird es der Krypto-Währung ergehen wie der Swatch-Uhr.
… oder wie den Tulpenzwiebeln in den Niederlanden Anfang Februar 1637.
Hype vorbei. Wunden lecken.