Wieviel Don Quijote steckt in Robert Habeck?

PaD 10 /2024 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 10 2024 Wieviel Don Quijote steckt in Rober Habeck

Wieviel Don Quijote steckt in Robert Habeck?

Die Idee zu dieser Überlegung ist nicht von den Windmühlen hergekommen, an denen sich beide, wenn auch in unterschiedlichen Richtungen abarbeiten.

Sie können mir das glauben oder nicht, aber es war so, dass ich am Dienstag, noch schlaftrunken wie jeden Morgen, mit dem ersten Kaffee auf  der Terrasse saß und plötzlich den Namen „Dulcinea“ im Kopf hatte. Wie lange es her ist, dass ich zuletzt den Don Quijote gelesen habe, mögen Sie daran erkennen, dass ich mir meine Frage: „Wer war denn Dulcinea?“, erst einmal mit, „Das war doch das Pferd von Don Quijote“, beantwortete. Dann  allerdings Widerspruch im Kopf: „Das Pferd hieß Rosinante! Der Knappe Sancho Pansa. Der Esel? Egal, jedenfalls nicht Dulcinea.“

Manchmal warte ich, bis mir so etwas nach einer Weile ganz von selbst wieder einfällt. Diesmal habe ich kurz danach bei Onkel Google angefragt und der erinnerte sich prompt daran, dass sich Miguel de Cervantes vor 420 Jahren eine sehr spezielle Figur ausgedacht hatte, die sozusagen das psychologische Fundament darstellt, auf dem der ganze Romans errichtet wurde.

Es gibt Dulcinea nämlich in zwei Ausführungen. Der Simpel Sancho Pansa  sieht sie so wie sie ist, denn anderes zu sehen ist er nicht in der Lage. Eine Frau mit Haaren auf den Zähnen, mit vom Fleischpökeln  überaus kräftig gewordenen Armen und einer unangenehmen, durchdringenden Stimme ausgestattet. Sancho Pansa kennt auch ihren richtigen Namen, nämlich Aldonza Lorenzo.

Don Quijote hingegen, der selbsternannte Ritter, vermutlich in seinem tiefen Unbewussten überzeugt, niemals die Liebe einer Frau von edlem Geblüt für sich gewinnen zu können, wählt sich diese Aldonza aus, der er sich wohl ebenbürtig fühlt und erkürt sie zu seiner Geliebten. Wie der Bildhauer aus einem groben Stück Lindenholz eine wunderbare Figur zu schnitzen befähigt ist, verändert Don Quichote das Bild dieser grobschlächtigen Frau in seiner Vorstellung in die begehrenswerteste Edeldame und schmückt sie mit den kühnsten Attributen: Ihre Haare sind Gold, ihre Stirn ein Paradiesgarten, ihre Brauen gewölbte Regenbogen, ihre Wangen Rosen, ihre Lippen Korallen, Perlen ihre Zähne, und so weiter.

So wie er Aldonza seine Liebe nicht gestehen konnte, kann er nun aber auch Dulcinea seine Liebe nicht gestehen, denn dieser Frau, seinem selbst geschaffenen Hirngespinst, dem Inbegriff von Schönheit, Klugheit und Holdseligkeit, darf er seine Liebe erst offenbaren, wenn er sich ihrer würdig erwiesen hat.

Das ist im Grunde der ganze „Plot“, wie man heute sagen würde. Alle kranken Gedanken des Don Quijote rühren aus der Zwangsvorstellung her, größtmögliche Heldentaten vollbringen zu müssen, um dem gerecht zu werden, was er sich als das höchste, und vorsichtshalber für ihn selbst unerreichbare Ideal selbst ersonnen hat. So schützt ihn sein sich stets  wiederholendes Scheitern zuverlässig davor, sich der Realität stellen zu müssen.

Don Quijote hätte sein Leben – seinen Fähigkeiten  angemessen – womöglich glücklich und zufrieden als ein ordentlicher Hufschmied, als Färber, Steinmetz oder als Müller leben können, wie tausende andere spanische Männer seiner Zeit.

Die Frage muss also gestellt werden, was ihn aus der Bahn geworfen haben mag.

Cervantes liefert eine vordergründige Erklärung. Sein Ritter von der traurigen Gestalt sei durch die Lektüre so genannter „Ritterbücher“, die er in großer Zahl verschlungen habe, von der fixen Idee befallen worden, sich selbst als fahrender Ritter hervorzutun und dem bereits vergangenen Rittertum so zu einer neuen Blüte zu verhelfen.

Nun, das mag für Cervantes zu seiner Zeit das bestmögliche Beispiel gewesen sein, um einen tieferen  Wesenszug zu illustrieren, der heute schlicht als „Narzisstische Persönlichkeitsstörung“ bezeichnet wird.

Ob es sich dabei um eine „normale“ Ausprägung des Charakters, um eine normale Episode im Verlauf der Entwicklung handelt oder um eine pathologische Störung, war  zwischen den Psychoanalytikern lange umstritten. Inzwischen finden sich in den Klassifikationssystemen Kriterien, welche die Einordnung erleichtern sollen, doch Eindeutigkeit ist damit nicht hergestellt. Es ist nicht Zweck dieses Aufsatzes, in dieser Sache zur weiteren Klärung beizutragen. Wichtig ist es, dass es Menschen mit diesen Eigenschaften gibt, nicht, ob diese als Charaktermerkmale  oder  Krankheitssymptome einzuordnen sind.

Ebenfalls wichtig erscheint es mir, einige Stichworte zu benennen, mit denen die Psychoanalytiker versuch(t)en, die Kriterien der narzisstischen Persönlichkeit deutlich zu machen.

  • Hochmut, Ruhmsucht
  • Größenwahn
  • Abgehobenheit, Selbstbewunderung
  • Omnipotenz- und Allwissenheitsfantasien
  • Perfektionismus, Arroganz und Rachsucht
  • Aggressive Selbstüberhöhung
  • Selbstschutz mittels eines grandiosen falschen Selbst
  • Unfähigkeit zur autonomen Regulierung des Selbstwertgefühls

Gerade die beiden letzten Punkte geben Hinweise auf mögliche Ursachen, bzw. auf das zugrunde liegende Persönlichkeitsproblem, das als „Minderwertigkeitskomplex“ bekannt ist. Dem Minderwertigkeitskomplex wird häufig auch das Phänomen der Überkompensation zugeordnet. Dabei wird versucht, Mängel in bestimmten Bereichen durch den Erwerb besonderer Fähigkeiten auf anderen Gebieten auszugleichen. Im Falle des Don Quijote kann ebenfalls von einer Überkompensation ausgegangen werden, die sich jedoch nicht in der Realität, sondern in einer wahnhaften Zwangsvorstellung manifestierte.

 

Wieviel  Don Quijote steckt in Robert Habeck?

Hier mit dem auf der Hand liegenden Vergleich des hanebüchenen Kampfes eines Don Quijote gegen die Windmühlen und Habecks erfolgreichem Kampf für Windmühlen zu beginnen, wäre ein fehlerhafter Versuch.

Es gilt vielmehr herauszufinden, ob es so etwas wie „Habecks Dulcinea“ gibt und wer oder was dies sein mag.

Habeck beansprucht für sich, einen „pragmatischen Idealismus“ zu leben. Eine Begriffsbildung, in der ich einen unlösbaren Widerspruch erkenne. Idealismus ist losgelöst von der Realität, auf unerreichbare Ideale gerichtet, wie sie Platon als jene Ideen verstanden hat, die unabhängig von der sinnlich wahrnehmbaren Welt existieren. Pragmatismus ist hingegen ohne die Realität im Hier und Jetzt nicht vorstellbar. Pragmatismus ist Handeln in der Realität um Erfolg zu erzielen. Im Grunde kann pragmatischer Idealismus nur bedeuten, dass die unerreichbaren Inhalte und Ziele des Idealismus, da, wo ihre Grenzen in der Realität sichtbar werden, pragmatisch verändert, verworfen oder ausgetauscht werden, bis mit dem Erreichen der nächsten Grenze der Realität  das Spiel von Neuem beginnt.

Wie entsteht eine solche Daseinsmaxime?

Habeck erklärt dies selbst mit seinem Studiensemester an der Universität im dänischen Roskilde und der dort erlebten Freiheit in der eigenständigen Wissenssuche und der unabhängigen Zeiteinteilung. Das mag hier einfach unkommentiert so stehenbleiben.

Mehr Beachtung soll seine 1996 an der Universität Hamburg abgeschlossene Magisterarbeit über die Gedichte von Casimir Ulrich Boehlendorf  finden.

Boehlendorf war quasi der literarische Underdog seiner Zeit. Geprägt von seinem Lehrer Johann Gottlieb Fichte (bekannt durch „Fichtes Reden an die deutsche Nation) und  seinen Freunden Friedrich Hölderlin und Johann Friedrich Herbarth, von Goethe und Schiller hingegen gering geschätzt, gelang ihm der „Durchbruch“ nie. 1825, fünfzig Jahre alt, nahm er sich das Leben.

Es ist anzunehmen, dass Boehlendorf Hölderlins Roman Hyperion gut kannte und sich vielleicht auch mit Hyperion identifizierte, der auf seinem Weg in die Welt in einen Umsturzplan verwickelt wird und das Ideal einer freien Gesellschaft entwirft, woraus allerdings nichts wird, was ihn veranlasst, sein Glück in Bescheidenheit und im Leben im Einklang mit der Natur zu suchen, nur um in einem zweiten Anlauf doch noch an einem Aufstand teilzunehmen, wobei er sich aber vom Verhalten der Mitkämpfer abgestoßen fühlt. Er endet nach einem Abstecher nach Deutschland, wo er sich auch nicht wohlfühlt, als Eremit in Griechenland.

Ich nehme an, dass Habeck sich bei seiner Magisterarbeit bewusst für Boehlendorfs Gedichte entschieden hat. Ich nehme ferner an, dass er sich schon im Vorfeld seiner stilkritischen Auseinandersetzung nicht nur mit den Gedichten, sondern auch mit der Person und dem Leben des  Casimir Ulrich von Boehlendorf beschäftigt hat.

Ich schließe daraus – ohne jeden Anspruch auf Gültigkeit – dass Habeck damit einen gewissen Hang für das Morbide, eine Neugier für „das Prinzip des Scheiterns“ zu erkennen gegeben hat, wie das aus einem zu oft am fehlenden Können gescheiterten Wollen entstehen kann.

Als Habeck vier Jahre später seine Promotionsschrift einreichte, war davon bereits nicht mehr zu finden, die „gattungstheoretische Begründung literarischer Ästhetizität“ war eine wertneutrale, emotionsfreie Arbeit. Literatur auf dem Seziertisch des Ästhetiologen. Hier scheint der Pragmatiker die Feder geführt zu haben.

Die Werke, die dann in Zusammenarbeit mit Ehefrau Andrea Paluch entstanden, tragen allerdings mehrheitlich Titel, die irgendwie wieder an die Tragik des Scheiterns gemahnen:

  • Hauke Haiens Tod (2001)
  • Jagd auf den Wolf (2001)
  • Der Schrei der Hyänen (2004)
  • Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf (2005)
  • Unter dem Gully liegt das Meer (2007)
  • Verwirrte Väter – oder: Wann ist der Mann ein Mann (2008)
  • 1918 – Revolution in Kiel (2008)

Bei einem Autorenduo weiß man nie genau, wer die Themen gewählt, wer den Spannungsbogen konstruiert und wer welche Emotionen in den Vordergrund gerückt haben mag. Sicher ist nur, dass sich weder A, noch B, wirksam gegen die Inhalte dessen entschieden haben können, was am Ende in Druck gegangen ist.

 

Bald darauf reißt diese Reihe ab.

Habeck zog 2009 als Fraktionsvorsitzender der Grünen in den Landtag von Schleswig-Holstein. Er war definitiv in der Politik angekommen und von 2012 bis 2018 Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Schleswig-Holstein.

Aus dieser Zeit stammt nicht nur sein „linkes Patriotismus-Plädoyer“, sondern auch die (Klappentext:) „brillante politische Autobiografie“ des damals noch nicht einmal Fünfzigjährigen mit dem Titel „Wer wagt, gewinnt – Die Politik und ich“ (2016).

In der Buchbeschreibung bei Amazon heißt es unter anderem:

„Persönlich und mit großer Ehrlichkeit schildert Habeck, was ihn politisch antreibt, wie ihn das Leben in öffentlichen Ämtern verändert hat, wie er mit Niederlagen umgeht und warum er darum kämpft, auch in der Politik wieder Visionen und eine Kultur des Zweifels zuzulassen.“

Das scheint der Zeitpunkt zu sein, an dem Habeck das innere Bild seiner „Dulcinea“ vollendet hatte, jener unerreichbaren Figur, für die er seitdem bereit ist, sich in die kühnsten Abenteuer zu stürzen. Es könnte auch der Zeitpunkt gewesen sein, an dem Habeck von „Peters Principle“ heimgesucht wurde.

Seither lässt er nichts unversucht, immer neue Wege zu finden, Deutschland mit großen Mengen preiswerter und sicher verfügbarer Energie zu versorgen.

Ist auch der Weg zu diesem Ziel ebenso steil, wie der Anstieg der Energiepreise und das Wachstum des Risikos unabwendbarer Stromabschaltungen, Robert lässt sich nicht beirren.

Verlässt auch die Industrie fluchtartig das Land – Habeck ficht das nicht an. Sie werden schon sehen, was sie davon haben.

Es mögen auch die Bäcker aufhören zu backen, Robert ist zufrieden, weil ja nicht jeder deswegen gleich Insolvenz anmelden muss.

 

Aus Kapitel VIII

Sancho: „… hab ich‘s Euer Gestrengen nicht gesagt, Ihr solltet wohl zusehen, was Ihr thätet, und dass es nur Windmühlen wären? Meiner Treu! Man müsste selber welche im Kopfe haben, wenn man‘s nicht sehen wollte.“

„Schweig, Freund Sancho“, sagte Don Quijote, „Kriegsglück ist veränderlicher denn alles andere. Und gewiss ist es so, jener weise Zauberer Freston, der mir Kammer und Bücher entführt, hat auch diese Riesen in Windmühlen verwandelt, nur damit er mir nicht die Ehre, sie besiegt zu haben ließe. So heftig ist der Groll, den er wider mich trägt.  Aber wenn‘s zum Ende kommt, dann, ja dann sollen ihm seine bösen Künste wenig helfen wider mein gutes Schwert.“

„Ja, wenn’s Gottes Wille ist“, sprach Sancho, hob seinen Herrn von der Erde auf und half ihm wieder auf den Rosinante, der nahezu kreuzlahm war.

 

Cervantes hat mit diesen wenigen Sätzen den pragmatischen Idealismus des Don Quijote aufscheinen lassen. Wo sich das Ideal der Riesen in der schmerzhaften Realität nicht länger aufrecht halten lässt, wird ganz pragmatisch der böse Zauberer an ihrer Stelle zum Feindbild erkoren.

Wo sich das Ideal von Wind und Sonne in der schmerzhaften Realität unter dem Rauch der Schornsteine der reaktivierten Kohlekraftwerke nicht länger aufrecht halten lässt, wird ganz pragmatisch der grüne Wasserstoff zum neuen unerreichbaren Ideal erhoben, bis auch da die Realität ihre garstige Fratze zeigen wird.

 

Habecks Dulcinea? Ich kann sie nicht erkennen. Vielleicht hat er Patrick Graichen von ihr vorgeschwärmt.

Aber ohne das hohe, unerreichbare Wesen, aus dessen Existenz er Motivation und Kraft zieht, dessen Existenz aber gleichzeitig vor allem dazu gut ist, seine Versuche und sein Scheitern zu rechtfertigen, bleibt Habecks Agieren  ebenso unerklärlich wie Don Quijotes sonderbare Passion.