Weiß Wissing noch, was er tut?

Volker Wissing, FDP, Bundesminister für Digitales und Verkehr, hat beschlossen, sich mit den Vertretern der „Letzten Generation“ zu treffen. Am 2. Mai 2023.

Die Letzte Generation, das sind diejenigen, die Straßen blockieren und Kunstwerke besudeln. „Klimakleber“ werden sie von manchen spöttisch genannt.

Mehr noch als bei der grünen Partei selbst, ist das konkrete Wissen darum, was auf welche Weise geschehen soll und welche Veränderungen das hervorrufen wird, bei der Letzten Generation – um es höflich auszudrücken – seltsam unscharf. Im Grunde fordern sie nur, die Regierung müsse mehr tun und dies schneller. Für Details sind sie nicht zuständig. Sie sind ja weder Ingenieure noch Minister oder Staatssekretäre. Es müssten sich die darum kümmern, die es können und dafür bezahlt werden, doch diese verweigern sich angeblich der großen Transformation.

Mir kommen sie immer vor wie kleine Kinder, die auf der Fahrt in den Urlaub, kaum dass die Silhuette der Heimatstadt im Rückspiegel verschwunden ist, anfangen zu quengeln: „Wann sind wird denn endlich da?“, „Mir ist langweilig.“, „Ich muss dringend Pipi!“, „Ich will jetzt ein Eis!“

Volker Wissing passt als Fahrer gut in dieses Bild. Seine FDP ist ja, gemeinsam mit der SPD und den Grünen, sowie im Einverständnis mit der Union auf dem Weg ins gelobte Land der CO2-Neutralität. Er hält sich halt an die Straßenverkehrsordnung, überholt nur, wo es erlaubt und gefahrlos möglich ist, lässt den Tacho auch nie auf über 130 steigen, der Umwelt zuliebe, und glaubt nun, die Blagen würden schon Einsicht zeigen, wenn er kurz anhält, sich seinen Rücksitzpassagieren zuwendet und ihnen alles erklärt, vor allem auch, wie weit der Weg bis ans Ziel noch ist, in Stunden und in Kilometern, und dass sie einfach noch ein bisschen Geduld haben müssten.

Dazu von Herzen viel Vergnügen!

Dass dieses Gespräch ausgerechnet jetzt zustandekommen soll, nachdem die ersten Gerichte damit begonnen haben, zwischen dem hehren Zweck und den strafwürdigen Mitteln zu unterscheiden, mit denen die Letzte Generation ihre Forderungen durchzusetzen versucht, leuchtet mir nicht ein. Schließlich zeugt die aktuelle Drohung, ganz Berlin lahmzulegen, von einer Gesinnung, die gerade noch hart am Terrorismus vorbeisegelt. Kann man denn nicht, wie sonst auch, die Gesprächsbereitschaft davon abhängig machen, dass die Gegenseite so lange an sich arbeiten muss, bis wenigstens der Anschein erweckt wird, sie stünde auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung? 

Schließlich ist das Verkehrsministerium doch von weitaus größerer Bedeutung als das Rathaus von Hannover. Dort hat man sich im Gespräch darauf geeinigt, dass es keine Blockaden mehr geben wird, wenn Hannover sich den Forderungen der Letzten Generation unterwirft. Früher nannte man so etwas auch schon einmal „Erpressung“, im vorliegenden Fall würde sogar „Schutzgelderpressung“ passen. Allerdings wird Hannover von einem grünen Bürgermeister regiert, da war der Aufwand, ihn zu überreden, vermutlich relativ gering.

Aber Herr Wissing hat einen schönen Satz auf Lager, mit dem er seine Gesprächsbereitschaft begründet. Sinngemäß: Man muss einräumen, dass auch die andere Seite recht haben könne. Und dann, bußfertig auf sich und sein Amt bezogen: Eine Verkehrspolitik, die die Gesellschaft spalte, sei keine gute Politik.

Ist es wirklich die Verkehrspolitik, die die Gesellschaft spaltet? Deutschland, seit den 60er Jahren als Autoland konzipiert und ausgebaut, war mit der Verkehrspolitik so lange rundum zufrieden, wie mit dem privaten Pkw (fast) alle individuellen Verkehrsbedürfnisse befriedigt werden konnten, so lange, wie breite Straßen gebaut, statt zurückgebaut wurden, so lange Parkplätze in der Nähe des Ziels zu finden waren, so lange keine Umweltplaketten erforderlich waren, um ohne Umweg ans Ziel zu gelangen, und so weiter.

Der Großteil der Bevökerung ist mit der Verkehrspolitik immer noch einverstanden, auch wenn das Autofahren künstlich verteuert wird, auch wenn der Reparaturstau an Straßen und Brücken nur langsam aufgelöst wird: Hauptsache, man kann sich noch frei bewegen.

Die Spaltung der Gesellschaft wird doch von jenen betrieben, die sich als Minderheit in ideologischer Verbohrtheit zum Ziel gesetzt haben, den Individualverkehr mit allen denkbaren Mitteln zum Erliegen zu bringen. Das ist nicht die Mehrheit, weder die absolute noch die relative. 

Aber gut. Soll sich Herr Wissing mit ihnen treffen. Nachdem es seinen Kabinettskollegen von den Grünen nicht gelungen ist, die FDP davon zu überzeugen, alle Baumaßnahmen an den Bundesfernstraßen einzustellen, wird es der Letzten Generation wohl auch nicht gelingen. Was Wissing sich aber einhandelt, dass ist ein linksgrüner-Shitstorm astronomischen Ausmaßes, weil sich nach dem Treffen herausgestellt haben wird, dass er im Grunde gar nicht gesprächsbereit war, sondern nur seine Auffassungen vertreten hat.

Ein Rätsel bleibt auch noch, warum sich nicht Robert Habeck bereit erklärt hat, mit der Letzten Generation zu sprechen. Ich versuche eine Lösung:

Habeck, der – um im Bild zu bleiben – sowieso schon als rücksichtsloser Raser mit dem Finger ständig auf der Lichthupe unterwegs ist, um möglichst noch vor den verabredeten Terminen am Ziel anzukommen, hat sich als Autor vermutlich mehr mit der Psyche von Kindern befasst als Wissing.

Er weiß, und das ist nicht schwer zu erkennen, dass selbst sein selbstmörderisches Tempo die Letzte Genration nicht befriedigen würde. Die wollen ALLES und zwar SOFORT.

Und das Letzte, was Habeck brauchen kann, ist ein Shitstorm, ausgelöst von den eigenen Hilfstruppen, die zwar nützlich sind, um die Stimmung im Lande aufzuheizen, die man aber nicht so nahe an sich herankommen lassen darf, dass sie Einfluss auf die eigene Politik nehmen könnten.