Vom vorsätzlichen Missbrauch des Gewaltmonopols

PaD 11 /2024 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 11 2024 Vom vorsätzlichen Missbrauch des Gewaltmonopols

 

Der demokratische Rechtsstaat gewährt der Exekutive das alleinige Recht, im Rahmen der Gesetze im notwendigen Maße Gewalt gegen Sachen und Menschen auszuüben, wenn dies erforderlich ist, um Recht und Gesetz durchzusetzen. Das Gewaltmonopol des Staates dient dem Schutz der Staatsbürger vor Angriffen auf Besitz, Eigentum, Leib und Leben, es entbindet den Bürger von der Notwendigkeit, übermäßige eigene Anstrengungen zu seinem Schutz zu unternehmen und bewahrt damit die Gesellschaft vor den Exzessen des Faustrechts.

Das ist die Theorie. In der Praxis kann das Gewaltmonopol immerhin so weit funktionieren, dass seine Vorteile die damit verbundenen Nachteile überwiegen und die unvermeidlichen Schutzlücken von der Gesellschaft toleriert werden.

Das Gewaltmonopol selbst steht jedoch stets in der Gefahr, von der Exekutive so lange missbräuchlich eingesetzt zu werden, bis der Missbrauch auf dem Wege freier, gleicher und geheimer Wahlen durch den Austausch der Repräsentanten der Exekutive beendet wird. In den meisten Staaten ist dies nach jeweils geltendem Recht im Abstand von vier oder fünf Jahren möglich, vorausgesetzt, die Exekutive nutzt ihr Gewaltmonopol nicht, um die Opposition im Vorfeld der Wahlen gezielt zu schwächen oder vollends  auszuschalten.

Dass es außerhalb des Wertewestens Staaten gibt, in denen die Exekutive die Opposition im Vorfeld von Wahlen schwächt oder vollends ausschaltet, darüber berichten die Medien hierzulande gerne und ausführlich. Dann ist von Scheinwahlen die Rede und von Wahlbetrug, vom Ausschluss oppositioneller Kandidaten, von der Verfolgung von Kritikern, von Verhaftungen und Mordanschlägen.

Wir erfahren dabei, dass sich solche Diktaturen nur mit den Mitteln der Gewalt halten können, dass sie jeglich Kritik verbieten müssen, weil sie ihrem Volk nichts mehr zu bieten haben, was Hoffnung und Zustimmung auslöst.

Natürlich überzeichnen die Medien dabei, schon alleine um die Auflage, bzw. die Klicks in die Höhe zu treiben. Hoffnung und Zustimmung gibt es in Teilen des Volkes in jeder Diktatur. Das Maß der Zustimmung mag unterschiedlich sein, es mag auf Abwägungen zwischen zwei Übeln gegründet sein, aber ausschlaggebend ist, dass es ausreicht, das „System“ am Leben zu halten. Das zeigt sich beispielsweise in China, in Nordkorea und in Russland. Wobei China und Russland dabei bemerkenswerte wirtschaftliche und militärische Stärke – bei gleichzeitig steigendem Lebensstandard der Bevölkerung – entwickelt haben, während es Nordkorea zumindest gelungen ist, sich durch den Aufbau eines beachtlichen Abschreckungspotentials gegen die Begehrlichkeiten  anderer zu wappnen.

Darin zeigt sich, wie so oft in der Geschichte, dass sich ein auf Zwang und Unterdrückung aufgebautes System den eher schwerfälligen, freiheitlich-demokratischen Systemen unter bestimmten Voraussetzungen als überlegen erweisen kann. Warum hat man die Rudersklaven an den Galeeren angekettet? Doch nur aus dem einen, einzigen Grund, dass sie aus ihrem Selbsterhaltungstrieb heraus alle ihre Kraft einsetzen, um ihre Chance aufs Überleben dadurch zu erhöhen, dass das feindliche Schiff mit dem Rammstoß schwer beschädigt und möglichst unmittebar zum Sinken gebracht wird. Anderfalls würden sie, angekettet an das eigene Schiff, elend ersaufen müssen.

Zwischen angeketteten Galeerensklaven und  den Panzerbesatzungen der Neuzeit besteht übrigens kein großer Unterschied. Das Prinzip von Befehl und Gehorsam, errichtet auf der Basis der Kriegsgerichtsbarkeit, das Befehlsverweigerung, Feigheit vor dem Feind oder gar Desertation mit empfindlichen Strafen, bis hin zur standrechtlichen Erschießung, belegt, funktioniert nach dem gleichen Prinzip, und was die Aushebung von Reservisten betrifft, und sei sie noch so penibel genau geseztlich geregelt, so ist der Unterschied zum Einfangen von Sklaven für die Galeeren nur mit Mühe zu erkennen. Das einengende Beispiel von den „Panzerbesatzungen“ steht hier übrigens stellvertretend für alle anderen Waffengattungen. Die U-Boot-Besatzungen, die Mannschaften der Luftabwehr-Batterien, und so weiter, sind in gleichem Maße betroffen.

Es ist unbestritten, dass ein Krieg ohne Opfer kein Krieg wäre. Es ist unbestritten, dass eine Armee, die zur Verteidigung des eigenen Landes aufgestellt ist, diesen Auftrag im Ernstfall nicht ohne eigene Verluste wird erfüllen können. Es ist unbestritten, dass eine Armeeführung, die sich nicht darauf verlassen kann, dass ihren Befehlen bedingungslos Folge geleistet wird, gleich die Kapitulationsurkunde unterzeichnen könnte, weshalb auch unbestritten sein sollte, dass die Grundrechte der Soldaten schon im Frieden, insbesondere jedoch im Kriegsfall eingeschränkt werden müssen. Darin unterscheiden sich demokratisch ausgerichtete Staaten von Diktaturen prinzipiell nicht.

Unterschiede zwischen demokratischen Staaten und Diktaturen lassen sich nur erkennen, wenn der Umgang der Regierung mit Zivilisten im Frieden betrachtet wird.

Roland Tichy fragte gestern in diesem Beitrag:

Darf man sich kritisch über den Staat und Politiker äußern ?

Er begründet den Anlass für diese Frage dabei auch, doch dazu später.

Ich setze dieser Frage ein ganz klares Statement entgegen:

Niemand steht so hoch über dem Souverän, dass er Kritik an Staat und Politikern von seiner Erlaubnis abhängig machen, sie verbieten oder sanktionieren könnte.

Hier prallen die Freiheit des Bürgers und die Hybris der Exekutive aufeinander, und wenn die Exekutive glaubt, das ihr anvertraute Gewaltmonopol einsetzen zu können, um Kritik zu bekämpfen, dann handelt es sich um den Missbrauch des Gewaltmonopols, das die Bürger dem Staat im Gegenzug für sein Schutzversprechen eingeräumt haben.

Hier noch der zweite Teil von Tichys Frage:

… oder ist das schon „Delegitimierung des Staates“ oder gar Verhöhnung – beides Tatbestände, die Innenministerin Nancy Faeser künftig strafrechtlich und mit Hilfe von staatlich finanzierten Hilfspolizisten verfolgen will?

Das Grundgesetz bestimmt über die ideologische Ausrichtung unserer Republik nichts. Es legt lediglich verpflichtend fest:

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(GG Art 20, 1)

„Bundesstaat“ kennzeichnet das föderale Prinzip und betont das Selbstbestimmungsrecht der Bundesländer und deren freiwillige Unterordnung unter das Bundesrecht.
„Sozialer Staat“ garantiert ein Mindestmaß an sozialer Fürsorge des Staates und ein Mindestmaß an Teilhabe aller Staatsbürger.
„Demokratischer Staat“ garantiert allen Bürgern – als dem eigentlichen Souverän – dass der in Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck gebrachte Mehrheitswille im Handeln der Exekutive seinen Ausdruck findet.

Das ist der alleinige Inhalt jener Ordnung, von der es im Grundgesetz heißt:

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(GG Art 20, 4)

Auch dies ist ein Recht der Bürger, dass sich selbstverständlich auch(!) gegen die jeweils amtierende Exekutive richten kann. Es ist kein Recht der Exekutive, innerhalb dieser Ordnung entstandene Ausformungen des Rechts vor dem Willen des Volkes zu schützen, bzw. innerhalb dieser Ordnung mögliche Veränderungen zu unterdrücken.

Wenn jedoch bereits weit unterhalb dieser Schwelle der Veränderung der grundgesetzlich garantierten Ordnung, bestimmte Vorhaben und Handlungen, auch wenn sie von einer gesetzgeberischen Mehrheit des Bundestages beschlossen wurden, nicht mehr Gegenstand der Kritik sein dürfen, gleichgültig ob nun von der  Oppositon im Parlament oder von einzelnen oder Gruppen von Bürgern vorgetragen, und mit dem der Exekutive zur Verfügung gestellten Apparat der staatlichen Machtausübung unterdrückt oder unterbunden werden sollen, selbst dann, wenn sich die Aussagen der Kritiker noch im Rahmen dessen bewegen, was nicht von den Strafgesetzen erfasst ist, dann stellt sich die Frage, ob hier nur ein Feuer am Dach der Demokratie wütet, oder ob sie schon bis auf die nur noch deklamatorisch hochgehaltenen Grundmauern niedergebrannt ist.

Ich nehme für mich die Freiheit in Anspruch, jegliche Maßnahme und jegliches Vorhaben der Regierung zu kritisieren, wenn ich zu der Auffassung gelange, dass es sich dabei um Vorhaben oder Maßnahmen handelt, die dem deutschen Volke Schaden zufügen, statt seinen Nutzen zu mehren.

Ich nehme für mich die Freiheit in Anspruch, meine Kritik öffentlich zu machen, zur Diskussion zu stellen und auf diesem Wege Mehrheiten zu suchen, die auf dem Wege demokratischer Wahlen eine Veränderung herbeiführen können.

Ich nehme für mich die Freiheit in Anspruch, meine Kritik in allen Politikfeldern zu artikulieren und dabei auch jene Repräsentanten der Exekutive zu kritisieren, die für kritikwürdige Vorhaben und Maßnahmen verantwortlich zu machen sind.

Wer will mir in einer Demokratie verbieten, den Absichten und Maßnahmen der Regierung meine dezidiert andere Meinung entgegen zu stellen?

  • Darf ich nicht der Überzeugung sein, eine andere als die feministische Außenpolitik der Frau Baerbock würde Deutschland mehr Nutzen und weniger Schaden einbringen?
  • Darf ich nicht der Überzeugung sein, eine andere als die klimazentrierte Wirtschaftspolitik des Herrn Habeck würde Deutschland mehr Nutzen und weniger Schaden einbringen?
  • Darf ich nicht der Überzeugung sein, eine andere als die von Frau Faeser zu verantwortende Innenpolitik wäre  der Demokratie und der Freiheit dienlicher und würde weniger Staatsverdrossenheit und mehr Zukunftsmut mit sich bringen?
  • Darf ich nicht der Überzeugung sein …?

Was ist das denn, wenn der amtierende Finanzminister, Christian Lindner, von den freien Demokraten, sein Ministerium vor einem drastischen Anstieg der Staatsverschuldung warnen lässt, und zwar im günstigen Szenario von aktuell 64 % BIP  auf 140 %, im ungünstigen Szenario auf wahnwitzige  345%, während der Minister, statt bei Weiterführung der verantwortungslosen Ausgabenpolitik und gleichzeitiger Strangulation der Wirtschaft durch die Energiepolitik seinen Rücktritt anzudrohen, sich lediglich zu einem Appell aufraffen kann, nun doch vielleicht „Strukturreformen“ in den relevanten Politikbereichen anzugehen?

Was ist das denn, wenn nicht kritikwürdig – und zwar vollumfänglich die gesamte Regierungsarbeit der letzten beiden Jahre und die noch abzuarbeitenden Elemente des Koalitionsvertrags betreffend, nicht nur den Finanzminister, der von dieser Koalition zwischen Baum und Borke eingeschlossen, ein schwächliches Dasein fristet?

Was ist das denn, wenn das Finanzministerium in diesem Papier zur Kenntnis gibt, eine höhere Zuwanderung würde sich günstig auf die langfristige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auswirken? Eine solide belegte Annahme, oder doch nur ein Kotau vor dem linksgrünen Narrativ? Soll ich da nicht kritisch anmerken dürfen, dass ich das so lange schlicht für Blödsinn halte, bis mir jemand erklären kann, wie es dazu kommen soll, und, dass die dafür herangezogenen Annahmen wenigstens einigermaßen realistisch sind?

Wer erinnert sich noch, wie es war, als die versammelte Politprominenz in Paris in voller Straßenbreite aufmarschiert ist, um die Meinungs-, Kunst-, Satire- und Spott- und Blasphemiefreiheit von Charly Hebdo zu bekräftigen, und nun sind wir so weit, dass  es schon gefährlich für den kritischen Deutschen ist, ein Plakat im Vorgarten aufzustellen, in dem Regierungsmitglieder unter dem Slogan: „Wir machen alles platt“, dargestellt sind?

Würde man heute in Deutschland die gleichen Maßstäbe anwenden … Es wäre ein Traum!

 

Ja. Dieser Paukenschlag klingt wie das Plädoyer eines Angeklagten. Und, ja. Es ist nichts anderes. Wenn ich mich umschaue, wer da bereits alles ins Visier der Macht geraten ist und sich von der Staatsgewalt oder deren zivilgesellschaftlichen Hilfstruppen bedrängt sieht, dann kann es nicht schaden, schon einmal vorsorglich auf „unschuldig“ zu plädieren. Auf rechtliches Gehör kann man, das lehrt unter anderem der Fall „Ballweg“, nämlich dann, wenn es zu spät ist, sehr lange warten.

 

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