Venezuela – zynische Anmerkungen

Schon mal was von einer Entscheidungstabelle gehört? Ja?
Auch von der US-Außenpolitik-Entscheidungstabelle? Nein?

Dann geht es Ihnen so, wie Maduro und anderen Sozial-Utopisten auf dieser Welt.

So einfach ist Außenpolitik:

Was gibt’s zu holen?
Viel

P1

Mit Samthandschuhen fest am Hals packen und dann allmählich erdrosseln.

P2

Erpressbare Figuren korrumpieren, Verträge zu unseren Gunsten schließen, Gegner medial bekämpfen und diskreditieren.

P3

Sanktionieren, erpressen, drohen, Opposition bewaffnen, Bürgerkrieg anstiften, zuletzt einmarschieren und befrieden.

Genug

P4

Immer wieder in jeder Form Beweise der Treue fordern.

P5

Freundschaft anbieten, bis sie zu den Willigen zählen. Hin und wieder Glasperlen verschenken.

P6

Auf die Warteliste, bis alle höheren Prioritäten abgearbeitet sind.

Nichts

P7

Ignorieren, vertrösten, hängen lassen.

P8

Immer wieder provozieren, bis sie entweder willig oder störrisch werden.

P9

Trainingsgelände für unser Militär


Wie steht die Regierung zu uns?
Willig Neutral Störrisch

So einfach ist Außenpolitik!

Es gibt allerdings ein paar Randbedingungen zu beachten:

  • Die Handlungsanweisungen der Tabelle können vom jeweiligen Staat nur auf diejenigen Staaten angewendet werden, deren militärische Stärke deutlich unterhalb der eigenen liegt.
  • Besteht hinsichtlich eines betrachteten Staates ein Interessenkonflikt mit einem anderen Staat, so ist dessen militärische Stärke zur militärischen Stärke des betrachteten Staates zu addieren.
  • Die militärische Stärke der Willigen darf der eigenen militärischen Stärke zu bis zu 50% zugerechnet werden.
  • Jede Maßnahme kann bei Bedarf mit jeder niedriger priorisierten aus der gleichen Spalte kombiniert werden.

Wer diese Prinzipien verstanden hat, wird unschwer vorhersagen können, was in Venezuela demnächst geschehen wird.

Die Position Venezuelas in der Entscheidungstabelle ist im Feld P3 zu verorten.

Es ist viel zu holen, nämlich a) Rohstoffe, vor allem Öl, b) geostrategische Position, c) nachhaltiger Eindruck auf die umliegenden Staaten, und:
Maduro ist ein absolut störrischer Esel der sein sozialistisches Experiment gegen alle Interessen der USA durchziehen will.

Dann checken wir noch die Randbedingungen:

  • Venezuela ist den USA militärisch unterlegen. No problem.
  • Russland hat Interesse, sich in Venezuela festzusetzen. Die Addition der militärischen Stärken der potentiellen Gegner – im voraussichtlichen Einsatzraum – ist der unseren jedoch deutlich unterlegen. No problem.
  • Zusammen mit der NATO kann uns keiner was, wenn wir in Venezuela intervenieren. No problem.
  • Weitere Maßnahmen (P6,P9) erweisen sich als irrelevant. No problem.

Und wenn wir jetzt die konkrete Situation in Venezuela betrachten, stellen wir fest, dass die Aktion bereits weit fortgeschritten ist. Die Strategen im Pentagon lehnen sich in ihren Sesseln zurück und warten ab, ob ein direktes militärisches Eingreifen überhaupt nötig sein wird, oder ob ihnen der Apfel von alleine in den Schoß fällt und sich die Position Venezuelas mit dem selbsternannten neuen Präsidenten nicht doch von P3 auf P1 ändert.

Was also soll ich über Venezuela schreiben?

Soll ich Maduro bedauern?
Soll ich Guaidó verdammen?
Soll ich Mitleid mit den Maduro-Anhängern haben?
Soll ich die Guaidó Anhänger beschimpfen?
Soll ich die Regierungen, die sich willig hinter die USA und gegen Venezuela gestellt haben anklagen?

Für alles sicherlich gäbe es Gründe genug.

Doch nichts davon ist geeignet, die US-Entscheidungstabelle „Außenpolitik“ außer Kraft zu setzen. Von daher: Vergebene Liebesmüh!

Jeder, der auf dieser Welt versucht, ob durch Putsch oder auf dem Wege von Propaganda und Wahlen, sein Land in der Matrix von „Willig“ nach „Störrisch“ zu verschieben und nicht über die notwendige militärische Stärke verfügt, um die dann drohenden Reaktionen zurückweisen zu können, ist für alles was danach geschieht selbst verantwortlich.

Das sei zynisch, meinen Sie? Richtig. Steht schon in der Überschrift: „Zynische Anmerkungen“.
Dabei ist es gar nicht mein Zynismus, ich zitiere nur den US-Zynismus, der von den USA selbst leider nicht so offen kommuniziert wird.

Um ein weiteres Beispiel zur Anwendung der Entscheidungstabelle anzuführen, betrachten wir doch kurz Nordkorea.

Nordkorea war ein Staat, in dem es sprichwörtlich nichts zu holen gab, und störrisch noch dazu. Wegen seiner eher freundschafltichen Beziehungen zu China und auch zu Russland, hat man jedoch davon abgesehen, das Territorium nach dem Ende des Koreakrieges weiterhin als Trainingsgelände für das US-Militär zu nutzen. Man hat sich also darauf beschränkt, Nordkorea zu ignorieren und hin und wieder routinemäßig verbal niederzumachen. Dann entwickelte Kim Yong Un Atomwaffen – und geriet damit auf die Warteliste, und als die ersten Tests erfolgreich stattgefunden hatten, gab es plötzlich viel zu holen, nämlich die militärische Potenz des Störrischen. Unglücklicherweise gehört Nordkorea aber zum Interessengebiet von China und Russland. Also hat man es nach der Handlungsanweisung P3 versucht: Drohen, erpressen, sanktionieren – doch damit war Schluss, denn eine Opposition, die man hätte aufwiegeln und bewaffnen können, hat Kim nie aufkommen lassen. Einmarschieren, um zu befrieden, wäre also unmöglich gewesen, und gegen eine Allianz von Nordkorea, China und Russland ein Himmelfahrtskommando.

Trump hat das erkannt. Hat sich mit Kim getroffen und versucht, ihn von P3 wenigstens nach P5 zu ziehen. Das ist die für die USA ideale Positionierung Nordkoreas – und das Ziel ist im Grunde erreicht, wenn auch das Schauspiel, dass der Weltgemeinschaft die enormen Schwierigkeiten und die enormen Anstrengungen aufzeigen soll, noch nicht beim Schlussakt angekommen ist.

Es wäre allerdings töricht, anzunehmen, dass nur die USA nach dieser Entscheidungstabelle vorgehen. Zynismus 2.0

Die EU, deren – durch Rat und Kommission verdeckten – also nicht klar erkennbaren Führungsfiguren danach streben, sich zur Durchsetzung ihrer Interessen der Stärke aller noch 28 Mitglieder zu bedienen, sucht selbst ständig nach möglichen Zielen, wo es viel zu holen gibt. Doch die EU ist zu spät dran. Die Gegenden der Welt, wo es viel zu holen gäbe, sind längst von den Stärkeren vereinnahmt, oder ins Visier genommen. Also gilt es, selbst immer stärker zu werden. Merkels ewiges Mantra: „Alleine können wir die Herausforderungen nicht meistern“, spricht Bände und führt direkt zu der immer wieder geforderten gemeinsamen EU-Armee. Die Keimzelle wurde mit dem neuen Beistandspakt mit Frankreich geschaffen. 

Doch es wird noch ein weiterer Weg der Stärkung verfolgt, nämlich der Kampf gegen alles, was sich intern als „störrisch“ erweist. Ich kann mich kurz fassen. Tsipras war so etwas wie der Maduro Griechenlands. Er wurde, als Mitglied und damit zumindest dem Augenschein nach Williger, mit Samthandschuhen solange gewürgt, bis er schwor, wieder rückhaltlos willig sein zu wollen. Puigdemont, der inzwischen vergessene Anführer der Katalanen wurde angeklagt und durch halb Europa gehetzt, bis man seiner in Deutchland habhaft wurde. Der Ausbruchsversuch der Briten wird von der Rest-EU mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, vor allem mit absolut unnachgiebigem Beharren auf vollkommen sinnlosen und unannehmbaren Standpunkten nach Kräften unter Feuer genommen, denn so manche  schon fest angepeilte Beute würde von einer EU ohne die Briten nicht mehr geschlagen werden können.

Eine Einladung, vom Zynismus zum Sarkasmus zu wechseln, bietet die verfahrene Situation in der Ukraine.

Die USA sahen die Ukraine als einen Staat an, in dem es viel zu holen gibt, doch Janukowitsch, der gewählte Präsident, dessen zögerlicher Umgang mit dem EU-Assoziierungabkommen klar machte, dass er von der Linie des halbwilligen Neutralen abgekommen war und sich unter die Störrischen mengte, hätte Brzezinskis schön aufgestelltes Schachspiel beinahe vom Tisch gefegt. Also galt es in aller Hektik P3 auszurufen. „Dumm gelaufen!“, muss man den US-Strategen heute noch ‚anerkennend‘ über den großen Teich zurufen, denn sie hatten übersehen, dass sie zwar eine Opposition gegen Janukowitsch aufgerüstet hatten, aber die Opposition gegen Poroschenko überhaupt nicht auf dem Plan hatten. Dass Putin, der auch über eine Entscheidungstabelle verfügt, nun seinerseits diese Opposition nutzte, um den Fuß in der Tür zu behalten, hatte auch niemand auf dem Plan. Schon gar nicht die EU, die sich erst von den USA hatte missbrauchen lassen, ihre kostspielige Osterweiterung fortzuführen, und dann zwischen allen Stühlen stand, was den EU-Helden Steinmeier dafür prädestinierte, zwischen den Fronten als Vermittler anzutreten, in einer Sache, in der es nichts zu vermitteln gab und gibt, weil das Tauziehen um die Ukraine nur gewonnen werden könnte, wenn eine Seite nachgibt. Aber keine Seite sieht sich genötigt nachzugeben.  Dummerweise traut sich aber auch keine Seite, das notwendige bisschen Kraft einzusetzen, das für den Sieg erforderlich wäre, denn dann gerieten die beiden Kleinkonflikte USA-Ukraine und Russland-Ukraine zum Großkonflikt USA-Russland und daran hat Putin kein Interesse und die USA fürchten, diesen Konflikt nicht für sich entscheiden zu können.

So hat das heiße Umwerben der Ukraine zu einem Zustand geführt, der ebenso unlösbar erscheint, wie der vor allem von sexuell unerfahrenen Teenagern gefürchtete Scheidenkrampf.
Man weiß einfach nicht mehr, wie man ohne Notarzt wieder rauskommen soll.