Tausendundeine Macht

Nun kommen Sie also zusammen, die 1001 Delegiertinnen und Delegierten, in Hamburg, wo das Atlantik an der Alster als Tagungshotel gerade gut genug ist, um einen Hauch vom Flair der großen weiten Welt auf die eher altbackene CDU fallen zu lassen. Geld genug scheint der Schatzmeister der Christlichen ja in der Kasse zu haben, um sich diese Absteige leisten zu können.

So wird das Ambiente sicherlich geeignet sein, um dem teuersten unter den Kandidaten den Rahmen zu bieten, in dem er so richtig aufblühen kann, während die Konkurrentin und der Konkurrent womöglich vor lauter Glanz und Pomp gar nicht so recht in Erscheinung treten.

Ob Schäuble das gefingert hat und irgendwo noch ein Reserve-Köfferchen für die große Merz-Show zur Verfügung stellte? Wohl kaum. Seit Schreiber ist der Wolfgang sauber. Das war ihm eine Lehre fürs Leben. Wetten?

Nun aber Schluss mit den Äußerlichkeiten. Hin zum Kern des Pudels.

Was wünscht sich die Seele der CDU? Richtig: Alles, nur keine sprunghafte Veränderung.
Die Ruhe, die man braucht, um in Hinterzimmern auszuhecken, wie man dem Volk verkauft, was man plant, und wie man erklärt, warum es anders gekommen ist, wenn es anders gekommen ist.

Das hat mit der Ein-Personen-Quadriga aus Raute, Hosenanzug, Kunstfrisur und Sprachausgabe hervorragend funktioniert und es soll, nach dem Willen der CDU-Seele auch weiter so funktionieren, wenn Vorsitz und Kanzlerschaft sich auf vier Backen verteilen, statt der gewohnten beiden.

Das könnte mit Jens Spahn gelingen, der Junge ist noch formbar, anpassungsfähig, und was an Stromlinie noch fehlt, ließe sich hinmodellieren. Das Problem ist nur, dass diese Metamorphose in den beiden Jahren bis zum nächsten Wahlkampf vermutlich nicht vollendet werden kann. Was jetzt als gefräßige Raupe im Gesundheitswesen zu beobachten ist, wird dann allenfalls als handlungsunfähige Puppe im Vorstands-Versteck liegen, bevor sich entscheidet, ob sich darin ein prachtvolles Pfauenauge oder ein Skarabäus (Mistkäfer) entwickelt hat.

Spahn kann also nicht gewählt werden, weil dies auf etwas hinausläuft, was ich als „Langzeit-Russisch-Roulette“ bezeichnen möchte. Heute abdrücken, 2021 erschossen werden, wer kann solche Ungewissheit ertragen? Sicherheitsbewusste Konservative ganz bestimmt nicht.

Bei Friedrich Merz liegen die Dinge etwas anders. Was der ist und kann und nicht kann, das ist bekannt. Merz ist ein Meister des Antichambrierens was ihn für den Job des Aufsichtsrates der deutschen Blackrock-Tochter prädestiniert hat, und für weitere Jobs, welche die Kunst des selbstbewusst-demütigen Mauschelns erfordern, ebenfalls. Wo es allerdings nicht um die Schaffung von Win-Win-Situationen geht, sondern um das Durchsetzen, eins gegen eins, also Merz gegen Merkel, da hat er schon einmal versagt, und jeder halbwegs erfahrene Psychologe wird bestätigen, dass dies eine prägende Erfahrung war, womit er die gleiche Situation, wenn auch Jahre später, mit dem Odium des Verlierers behaftet, nur unter besonders günstigen Umständen, also einer eklatanten Schwäche des Gegners, zu seinen Gunsten wenden könnte.

Die 1001 Delegiertinnen und Delegierten sehen eine geschwächte Angela Merkel und einen mit dem Fluch des Verlierers beladen antretenden Merz und ahnen, dass sich daraus kein Blitzkrieg mit Blitzsieg entwickeln wird, sondern ein langanhaltender, verlustreicher Stellungskrieg mit ungewissem Ausgang. Das bringt für jede/n einzelnen der Delegiertinnen und Delegierten ein unauflösliches Loyalitätsproblem mit sich, das schon wieder auf ein „Langzeit-Russisch-Roulette“ hinausläuft. Heute abdrücken, 2021 erschossen werden, wer kann solche Ungewissheit ertragen? Sicherheitsbewusste Konservative ganz bestimmt nicht.

Bei Merz kommt jedoch noch ein Aspekt hinzu, der seine Chancen schmälert. Es liegen zwar keine Statistiken über die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Delegierten vor, aber es ist anzunehmen, dass ein erheblicher Teil davon doch Gefühle von Neid und Missgunst nicht unterdrücken kann, blicken sie doch auf jahrelange harte Arbeit, auch und besonders für die Partei zurück, ohne dass sich daraus ein materieller Segen ergeben hätte, wie ihn der schon  verloren geglaubte Sohn der Partei während seiner Wanderjahre in der Wirtschaft einheimsen konnte. Klar, der Vater wird den heimgekehrten Verlorenen mit Tränen in den Augen umarmen und einen Hammel schlachten lassen – Schäuble ist in dieser Rolle einzigartig – aber die Geschwister murren ob des ihnen widerfahrenen Unrechts – und haben am Parteitag einfach sehr viel mehr Stimmen. Pech für Merz.

Die Amazone im Aschenputtelgewand aus dem Saarland, wie sie so dasitzt, und die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen wandern lässt, erscheint hingegen vollkommen ungefährlich.Sowohl in der Kurzfristprognose, wie auch im Hinblick auf das Jahr 2021.

„Wer Angela die Treue gehalten hat, wird von Annegret nicht abgeschossen werden. Komme was da wolle“, raunen sich die Delegierten unter bestätigendem Kopfnicken zu, „und wenn wir sie wieder loswerden wollen, wird das ebenso ein Kinderspiel, wie wir sie nun erwählen.“

Heute Abend werden wir es wissen, ob die diejenigen, die auf den noch nicht geschlüpften Schmetterling Spahn setzen, oder diejenigen, die mit Schäuble die Rückkehr des verlorenen Sohnes feiern wollen, oder diejenigen, denen schon immer der Rock näher war als die Hose in der CDU die Mehrheit stellen.

Die Chance, nicht wie im Synchron-Turmspringen im Gleichklang mit der SPD abzutauchen, kann meines Erachtens nur mit AKK gewahrt werden, aber es ist nicht unbedingt das, was ich mir für die CDU wünsche.