SPD – Zu viel Licht am Ende des Tunnels

Die SPD hat es nur als erste erwischt.

Ihr Zug hat den Tunnel hinter sich gelassen, in dem die richtige Richtung nicht nur von den Gleisen, sondern vor allem von der durchs Gestein gebohrten Röhre selbst vorgegeben war. Eine von klugen Menschen ersonnene Röhre, die einen Weg aus dem kapitalistisch-militaristischem Jammertal vorzeichnete, der in das  Reich der Mitbestimmung und der Teilhabe, der Freiheit und des Wohlstands führen sollte. Was die Schöpfer dieses Tunnels noch wussten, dass  nämlich nach der Enge und Finsternis der Röhre nicht das Schlaraffenland stehen würde, sondern die Gelegenheit und die Pflicht zur Übernahme der Verantwortung, ist nach 150 Jahren, zwei Weltkriegen, 70 Jahren Frieden und 30 Jahren Wiedervereinigung  total in Vergessenheit geraten. So total, dass die Reisenden nach Jahren der Dunkelheit erst vollkommen geblendet zusammenbrachen, und dann, nachdem sie sich erholt und lange die Augen gerieben hatten, wie die sprichwörtlichen Ochsen vorm neuen Scheunentor vollends die Orientierung verloren und sich zurücksehnten nach der Geborgenheit des Tunnels, in dem es zwar galt, sich anzustrengen und abzumühen, wo einem aber nie eine schwierige Entscheidung abverlangt wurde, schon gar keine Richtungsentscheidung. Auch Schröders Agenda 2010 gehört noch in diesen Tunnel, als Phase des Erwerbs ökonomischer Kompetenz, als der Genuss von den Früchten des verbotenen Baumes, als Verlust der kindlichen Unschuld und dem – leider nicht nur bei Adam, Eva und ihren Nachkommen, sondern auch bei der SPD weitgehend fehlgeschlagenem – Erwerb der Fähigkeit, zwischen gut und böse zu unterscheiden.

Draußen, im hellen Licht einer Welt voller  Möglichkeiten und Chancen, aber auch voller Risiken und Gefahren, waren die lange nicht beanspruchten Kräfte der SPD soweit geschwunden, dass sie sich an die CDU anlehnen musste, um nicht sofort zu stürzen.

Die SPD hat es nur als erste erwischt.

Die Union ist mit dem gleichen Zug im gleichen Tunnel unterwegs gewesen. Man hatte zwar getrennte Abteile, und man hat es fast bis zum Schluss geschafft, die SPD vom Speisewagen fern zu halten, doch war man sich sicher, dass dies der richtige Weg war, der aus dem Jammertal der Trümmerfelder von 1945 zu neuer Größe, neuem Wohlstand und neuer Macht führen würde, solange man nur gläubig dem vorgezeichneten transatlantischen Weg folgen würde. Auch Helmut Kohls gelungener Anlauf zur Wiedervereinigung gehört noch zum Tunnel, als Phase der Rückgewinnung von Souveränität, verbunden mit dem Verlust der Unschuld der alten, zwar wiederbewaffneten, aber dennoch kriegsscheuen BRD, und dem Erwerb einer Ahnung davon, was gut, und was böse sei.

Am Ende des Tunnels angekommen, war zwar auch die Union geschwächt, bewahrte aber Haltung und ließ sich das kaum anmerken. Merkel, vorgebend, die alte Konkurrentin SPD in der Koalition stützen zu wollen, stützte sich stattdessen selbst auf die SPD, bis diese vor zwei Jahren im Wahlkampf unter der Last zusammenbrach und sich seitdem nicht mehr erholen konnte, sondern immer weiter an Substanz verloren hat.

Der Tunnel, das war für die beiden deutschen Volksparteien die Gewissheit, als Frontstaat des Westens die Grenzlinie zwischen den beiden Blöcken zu markieren und im ureigensten Interesse darauf hinzuwirken, das Wiederaufflammen des Krieges in Europa unwahrscheinlicher zu machen. Der Tunnel, das war auch die Rolle, im Rahmen der psychologischen Kriegsführung als „Schaufensters des Westens“ zu agieren und seine Überlegenheit darzustellen. Der Tunnel, das war aufs Ende  zu auch die Teilnahme am Spiel der Globalisierung und der dafür nützlichen Einebnung von Unterschieden und der auf „Unterscheidbarkeit“ errichteten Wertesysteme.

Nun ist die bipolare Welt Vergangenheit und die zwischenzeitlich vermeintlich entstehende unipolare Welt mit Zentrum in Washington hat sich schneller in Rauch aufgelöst als man in Berlin bis drei zählen konnte.

In den USA regiert Trump. Zu Trump und seiner Administration gibt es immer noch keine tragfähigen Kontakte, geschweige denn Beziehungen. Bosheit gegenüber Trump trieft den deutschen Eliten, wohin man auch schaut, von Frank-Walter Steinmeier bis Claus Kleber, aus allen Poren, während Trump die deutsche Eiche gibt, die es nicht schert, wenn sich die Wildsau an ihr scheuert, und „sein Ding“ unbeirrt durchzieht.

In Russland regiert Putin. Zu Putin und seiner Adminstration gibt es seit Merkel keine tragfähigen Kontakte mehr, geschweige denn Beziehungen. Bosheit gegenüber Putin trieft den deutschen Eliten, wohin man auch schaut, aus allen Poren, während Putin die deutsche Eiche gibt, die es nicht schert, wenn sich die Wildsau an ihr scheuert, und „sein Ding“ unbeirrt durchzieht.

In Peking regiert Xi Jinping. Zu Xi und seiner Administration gibt es in Berlin keine tragfähigen Kontakte, geschweige denn Beziehungen. Die Bosheit gegenüber Xi wird zwar nicht besonders hochgekocht, was auch daran liegen mag, dass der deutsche Michel die Amis und die Russen aus zwei Weltkriegen kennt, die Chinesen hingegen garnicht, so dass man es damit bewenden lässt, darauf hinzuweisen, dass in China immer auf die Menschenrechtssituation hingewiesen werden müsse, was Xi aber nicht dabei stört, „sein Ding“ unbeirrt durchzuziehen.

In Ankara, und jetzt wird es lustig, regiert der böse Türke Erdogan. Ein NATO-Partner, ein echter Oppositions-Schreck, einer, der sich nicht aufhalten lässt, in Syrien Kurden zu jagen und vor Zypern nach Gas zu bohren, einer, dem man sich in Berlin moralisch überlegen fühlt, den man nicht in die EU lassen will, dem man aber Milliarden dafür bezahlt, Flüchtlinge zurückzuhalten. Bosheit gegenüber Erdogan kommt den deutschen Eliten schon immer wieder über die Lippen, aber dann schweigt man auch wieder freundlich, und lässt sich von Erdogan, der ja nichts anderes im Sinn hat, als „sein Ding“ durchzuziehen, am Nasenring durch die Manege schleppen.

In Ungarn, noch lustiger, regiert der böse Ungar Orban. Ein Mann, der es – vor Salvini – lange als einziger versucht, die EU-Außengrenzen zu sichern, wie es Pflicht aller Länder mit Außengrenzen wäre. Die Bosheit gegenüber Orban trieft den deutschen Eliten, wohin man schaut, aus allen Poren, während Orban die deutsche Eiche gibt, die es nicht schert, wenn sich die Wildsau an ihr scheuert, und „sein Ding“ unbeirrt durchzieht, selbst wenn Angela leibhaftig neben ihm steht, wie gerade eben wieder, als  Orban erläuterte, dass vor 30 Jahren Grenzen gefallen sind, damit die Deutschen gut und gerne leben können, und dass jetzt Grenzen errichtet und gesichert werden müssen,  damit sie weiterhin in ihrem Land gut und gerne leben können.

Lassen wir Polen, Tschechien und Österreich außen vor, reden wir noch nicht einmal von Italien, weil da überall das „Orban-Fieber“ grassiert. Es gibt zwei noch lustigere Lokalitäten:

In London regiert seit ein paar Tagen Boris Johnson. Zu Boris Johnson und seiner Administration gibt es in Berlin keine tragfähigen Kontakte, geschweige denn Beziehungen. Bosheit gegenüber Johnson trieft den deutschen Eliten, wohin man auch schaut, aus allen Poren, während Johnson die deutsche Eiche gibt, die es nicht schert, wenn sich die britische oder die deutsche Wildsau an ihr scheuert, und „sein Ding“ unbeirrt durchzieht.

In Paris regiert Emmanuel Macron in einem schönen, alten Palast, mit Wächtern in wunderschönen, auf Hochglanz polierten alten Uniformen davor, und macht alle paar Tage Anstalten, in Berlin  jemanden zu  finden, der  ihm hilft, sein EU-Ding durchzuziehen. Zu Emmanuel Macron und seiner Administration gibt es alte Kontakte und Beziehungen, die jedoch nicht ausreichen, um wirklich eine gemeinsame Linie zu erarbeiten.

Es wäre möglich, die außenpolitische Szenerie mit Heiko Maas als Joker in der Mitte noch weiter auszumalen und alle gerade aktuell anerkannten Staaten zu berücksichtigen – es wäre dennoch keiner zu finden, zu dem Deutschland tragfähige, bessere Beziehungen geschaffen hätte als zu den bisher aufgeführten.

Und während man den allermeisten Staaten dieser Welt attestieren könnte, dass ihre Regierungen unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten bemüht sind, „ihr Ding“ durchzuziehen, muss man konstatieren,  dass es so etwas wie „das deutsche Ding“, das unbeirrt durchgezogen wird, nicht gibt. Um dies zu kaschieren, hat man sich in der Migrationsfrage und in der Klimafrage an die Spitze der Bewegung gestellt und erfüllt brav das, was die UN – getriggert von durchaus anderen als  deutschen Interessen – als Ziele vorgegeben hat. Projiziert man dieses Merkel-deutsche Verhalten spaßeshalber auf andere, dann hätte Donald Trump längst selbst ein Amtsenthebungverfahren gegen sich anstrengen müssen, Putin hätte den russischen Stützpunkt auf der Krim räumen und Poroschenko zum Ehrenbürger Moskaus ernennen müssen, Xi Jinping hätte freiwillig auf alle Hoheitsgewässer verzichten müssen und schon aufgeschüttete Inseln wieder abtragen lassen. Erdogan hätte nach dem Putschversuch das Gespräch mit Gülen suchen und diesem das Amt des türksichen Präsidenten  antragen müssen, Orban hätte alle Ungarn mit Teddybären an alle ungarischen Bahnhöfe beordern und seit 2014 jedem Flüchtling mindestens jene Leistungen anbieten müssen, die ausreichen, um die Weiterreise nach Deutschland gar nicht  erst  anzutreten. Boris Johnson müsste auf Knien nach Brüssel wallfahren und dort reuig den von May ausgehandelten Vertrag unterschreiben.

Ist doch wahr – oder etwa nicht?

Die SPD hat es nur als erste erwischt.

Im Erkennen, dass man weder weiß, wo man angekommen ist, noch wo man hin will, dass man die alten Feinde behalten, aber die alten Freunde verloren hat, dass  die eigene Kraft gerade noch reicht, um ein bisschen an der Mietpreisbremse herumzuspielen und den Bußgeldkatalog zu verschärfen, hat sich die Partei mit ihrer Suche nach Vorsitzenden, die eher  einer Einladung zum Ball Paradox gleicht, als einem parteiinternen Wettsstreit um die höheren Ziele und besseren Argumente, zum begleiteten Selbstmord entschieden.

Der Lärm, den die Sozen dabei (genetisch bedingt) verursachen, verdeckt allerdings vollkommen, dass es die exakt gleiche Situation in der Union ebenfalls zu bewundern gibt. Das Mädel mit dem Wuschelkopf von der Saar, dem der Parteivorsitz zugefallen ist wie das Kind der Jungfrau, weil auch in der Union ein Wettstreit um höhere Ziele und bessere Argumente nicht mehr geführt werden kann, weil es seit Jahren hinter der mühsam aufrecht erhaltenen Fassade keine neuen Ziele und Argumente mehr gibt, ist doch im Grunde auch schon als Testamentsvollstreckerin angetreten, auch wenn es bis zur vollständigen Abwicklung der CDU in dieser Funktion noch Nachfolger geben wird.

Und nun lassen Sie mich zum Schluss eine Linie ziehen, beginnend bei der immer noch nicht ersetzten Andrea-Bätschi-Nahles von der SPD, über die munter von einem Fettnäpfchen ins andere springenden Annegret Kramp-Karrenbauer, hin zu der frisch in Brüssel angekommenen Ursula von der Leyen …

Es ist eine Linie der Inkompetenz, eine Linie des Zerfalls und des Unterganges.
Es ist eine Linie der personellen Katastrophen.

Aber noch schlimmer ist das, was sich dahinter verbirgt – und das sind die Staaten, die Völker, die in seniler Selbstbeweihräucherung zu keinen neuen Impulsen mehr fähig sind und deren Eifersüchtelei es nicht mehr zulässt, sich mit fähigeren Vertretern zu schmücken.

Mit den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird das Menetekel der drohenden Unregierbarkeit Deutschlands im Bund an der Wand erscheinen. Die beginnende Rezession wird das ihre dazu beitragen, dass die wirtschaftliche Stärke, jenes bisher hochgehaltene, große Feigenblatt der Deutschen, nicht mehr ausreicht, um die politische Schwäche Deutschlands  zu verdecken. Damit wird die EU innerlich verrotten, die Fassade wird noch lange stehen bleiben, aber hinter der Fassade wird jeder versuchen „sein Ding“ durchzuziehen – während Ursula von der Leyen, auch ganz ohne Ischias vollkommen hilflos, eine Kommission anführt, deren Mitglieder allesamt aus gutem Grund ihre nationalen Egoismen vor das Wohl einer Gemeinschaft stellen, die nicht mehr zu retten ist.