Rechtsextreme Polizei – ein Massenfall?

Ich gebe zu, es gefällt mir nicht,

wenn ich höre oder lese, es gäbe in der Polizei Chat-Gruppen, die untereinander Führerbilder, Hakenkreuze und was es in dieser Richtung an noch Schlimmerem gibt, austauschen. Schließlich handelt es sich dabei nicht um Satire, wie bei Charlie Hebdo, doch dies nur als Hinweis darauf, dass „Gesinnungsverbrechen“ hin und wieder auch als Heldentaten angesehen werden. Es kommt halt auf den Blickwinkel an – und aus meiner Perspektive kann ich in den von den Ermittlern benannten Inhalten solcher Chatgruppen ebensowenig ein Heldentum erkennen, wie seinerzeit in den Mohamed-Karikaturen.

 

Aber ich kann mir erklären, wie es dazu kommt,

und ich komme zu dem Schluss, dass wir in der Polizei, wie auch in der Bundeswehr, die zwangsläufig auftretenden Symptome einer sehr viel tiefer sitzenden, psychosomatischen Krankheit der Gesellschaft sehen, deren zunehmendes Auftreten sich auch durch radikale chirurgische Eingriffe, nämlich durch die Entfernung der befallenen Polizisten oder Soldaten aus dem Dienst, nicht verhindern lässt. Dazu die folgende Argumentation:

  1. Die Motivation, Polizist zu werden
    Diejenigen, die heute im Polizeidienst  stehen, haben sich dafür in den Jahren zwischen 1975 und 2000 entschieden. Die Ältesten sind um die sechzig Jahre alt, die jüngsten gerade zwanzig. Der Anteil derjenigen, die bewusst Polizist geworden sind, um in Deutschland Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten, mag bei den Älteren nahe  der 100 Prozent Grenze gelegen haben, wobei mit jedem neuen Jahrgang der Anteil jener gewachsen ist, die anderswo keinen adäquaten Job gefunden haben, die glaubten, als Polizist ihre Gewaltfantasien ausleben zu können, die aus den Fernsehkrimis erfahren haben, dass bei der Polizei ein Überschuss an attraktiven jungen Frauen herrscht, und zuletzt kamen auch jene hinzu, die sich ganz bewusst aus dem Clan heraus für die Polizei entschieden haben, um dort relevante Informationen abzugreifen. Doch kann davon ausgegangen werden, dass immer noch der weit überwiegende Teil der aktiven Polizisten im Beruf eine Berufung sieht und die Einhaltung der Gesetze sicherstellen will.
  2. Die Realität des Polizeidienstes
    Zwischen 1975 und 2020 hat sich die Realität des Polizeidienstes verändert. Es fanden Konzentrationsprozesse statt, in deren Verlauf sich die Polizei aus der Fläche weitgehend zurückgezogen hat, es fanden Sparmaßnahmen statt, mit denen die Zahl der Polizisten verringert wurde, die Schwerpunkte der Arbeit verlagerten sich von „normalen“ Polizeiaufgaben, wie der Verfolgung der Kriminalität und der Verkehrsüberwachung auf Objekt- und Personenschutz, mit Großeinsätzen bei so genannten „Gipfeln“, sowie auf die Einhegung von Menschenmassen, sowohl bei Sportveranstaltungen, wie auch bei Demonstrationen. Dies zusammengenommen führt dazu, dass die Polizei rein personell schon seit Jahren nicht mehr in der Lage ist, flächendeckend ausreichend präsent zu sein und ihrem Auftrag vollumfänglich gerecht zu werden. In jüngerer Zeit kamen mit den so genannten „Männern“, „Gruppen“ und „Familien“ sehr viele Einzelfälle hinzu, in denen Staatsanwaltschaften und Gerichte durch „Milde“ den Erfolg der Polizeiarbeit konterkarierten, was in der Polizei verständlicherweise zu Frustration, bei Männern, Gruppen und Familien – und auch bei den gewaltbereiten Linken – dazu führte, dass die Polizei nicht nur nicht mehr ernst genommen, sondern auch in zunehmenden Maße mit physischer Gewalte attackiert und in der Arbeit behindert wird.
  3. Das Feindbild der „rechtsextremen“ Polizisten
    Wer angetreten ist, Recht und Ordnung zu bewahren, Gebirge an Überstunden vor sich herschiebt und Tag für Tag seinen Kopf hinhalten muss und noch nicht total abgestumpft nur noch Dienst nach Vorschrift schiebt, wird sich zwangsläufig von äußerst widrigen Umständen umgeben sehen, die sein Leben und seine Arbeit den stets vergeblichen Anstrengungen des Sisyphus vergleichbar machen. Im Bewusstsein, im Grunde immer noch stark genug zu sein, um mit den Clans, den Drogendealern, den Mädchenhändlern fertig zu werden, auch Vergewaltiger und Messerstecher, Hausbesetzer, Pflastersteinewerfer und Autoabfackler, aufspüren, festnehmen und dem Haftrichter vorführen zu können, entwickelt sich der Frust mit der Zeit zum Hass auf jene, die es irgendwie schaffen, trotzt Festnahme und Beweisführung schnell wieder auf freien Fuß gesetzt zu weden, gleichzeitig entwickelt sich jedoch ein gerechter Zorn auf  den Justizapparat und die politischen Verantwortlichen, die es nicht nur zulassen, sondern z.B. mit dem Verbot, besetzte Häuser zu betreten, oder der Notwendigkeit, sein Vorgehen in jedem Einzelfall als nicht „rassistisch“ rechtfertigen zu müssen, geradezu herausfordern, dass sich „der Polizist“ immer mehr wie der letzte Arsch vorkommt, der nicht mehr dem Gesetz dient, sondern in wachsendem Maße als Waffe in ideologischen Auseinandersetzungen instrumentalisiert wird.
  4. Die Fantasie des Polizisten
    Wo die Realität unbefriedigend ist, verliert sich der Mensch, nicht nur der Polizist, gerne in Wunschträumen. Der Polizist erschafft sich eine Märchenwelt, in welcher er mit Unterstützung der Regierung erfolgreich für Recht und Ordnung, und, sogar noch etwas schärfer, für Law and Order sorgen kann. Dabei ist er, ohne dass er seine eigene Einstellung hätte ändern müssen, er wollte ja nie anderes, vom guten Polizisten schon zum Rechten geworden. Wer für Recht und Ordnung eintritt, statt, um ja stets ein „freundliches Gesicht“ zeigen zu können, für alles und jeden eine Entschuldigung zu suchen, von der üblen Kindheit bis zur Traumatisierung bei der Flucht, der ist nun mal hier und heute, in diesem unserem einstigen Lande, rechts. Er kann nichts dafür, der Zeitgeist hat ihn zum Rechten gestempelt. Der Weg von dieser Erkenntnis, zur Überkompensation der Resignation durch ein: „Wenn schon, dann aber richtig!“, ist klar vorgezeichnet.

Setzen sich die unter Punkt 2 und 3 angeführten politisch-gesellschaftlichen Trends fort, mit der inzwischen unverkennbar deutlichen, und von ganz links schon konkret formulierten Absicht, die Polizei insgesamt zu schwächen, wenn nicht gar ganz abzuschaffen und durch so etwas wie „bürgerschaftliche Sozialarbeit“ oder „sozialistische Selbstjustiz“ zu ersetzen, dann werden die Polizisten, jeder für sich, nach und nach eine Entscheidung zu treffen haben.

  • Die Älteren werden sich sagen, Augen zu und durch, die Pension ist nahe. Dienst nach Vorschrift, im Zweifel wegschauen, bloß auf den letzten Metern nicht noch negativ auffallen.
  • Unter den Jüngeren werden sich etliche finden, die nichts dabei finden, ihren Dienst so zu verrichten, dass die angestrebte Karriere dadurch gefördert wird, aber vermutlich eben so viele, die glauben, noch jung genug zu sein, noch einmal etwas Neues anfangen zu können, bevor sie im Polizeidienst zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufgerieben werden.
  • Es sind die mittleren Jahrgänge, Männer zwischen Anfang dreißig und Ende vierzig, die ihre Ideale verraten sehen, aber lange genug dabei sind, um genau zu wissen, wie der Hase läuft, in denen mit der Empörung der Wille wächst, sich dem Trend entgegenzustemmen. Die werden weder so naiv sein, zu glauben, geschlossene Chat-Gruppen seien das Non plus ultra konspirativer Geheimniswahrung, noch so weltfremd, um zu meinen, kleine Reminiszenzen an den Nationalsozialismus könnten, schon alleine wegen der Personalknappheit, keine massiven dienstrechtlichen Folgen haben. 

Ich bin mir nicht sicher, ob es Absicht ist, wofür einiges spricht, oder einfach nur Dummheit und Populismus, wofür ebenfalls einiges spricht, diese Männer in den offenen Aufstand zu treiben, um das „Problem Polizei“ auf diese Weise einer Lösung zuzuführen. Im oben verlinkten Aufsatz aus der Marxisten-Postille „Sozialismus.info“, finden sich Sätze wie diese:

„Wenn das System in Frage gestellt wird, wenn die Arbeiter sich für demokratische Kontrolle der Betriebe und für die Vergesellschaftung der Produktion engagieren, wenn die Ideologie des Kapitalismus nicht mehr funktioniert, dann sind es am Ende diese bewaffneten Einheiten, welche die Besitzenden und ihr System mit Gewalt schützen. Unter dem Strich agieren Polizei und Justiz zur Aufrechterhaltung des Systems und der Privilegien der herrschenden Klasse.“

Der SPD-Halbvorsitzenden Esken, bekennende Antifa-Antisfaschistin, würde es womöglich heftige Gewissensbisse verursachen, dieser Aussage widersprechen zu müssen, der junge Nachrücker, Kevin Kühnert, kann seine Vergesellschaftungsforderungen schon länger nicht mehr für sich behalten – und das sind zwei wichtige Figuren aus der immer noch als gemäßigt anzusehenden SPD. Noch wehren sich Teile der Union dagegen, aus wahltaktischen Gründen noch stärker mit ins gleiche Horn zu blasen. Ich meine, es stünde den konservativen Kräften in der Union gut an, jetzt verstärkt Gesicht zu zeigen und damit zu demonstrieren, dass Rot-Rot-Grün im Bund ab 2021 eben nicht alternativlos ist, sondern schon heute bedenkliche Züge erkennen lässt, die sich mit der grundgesetzlichen Ordnung nur schwer vereinbaren ließen.

Der innere Zusammenhalt der Nation steht und fällt damit, dass dem Gewaltmonopol des Staates die notwenigen Mittel zur Verfügung stehen, um Recht und Gesetz durchsetzen zu können.

Die sich mehrenden Versuche, die Arbeit der Polizei ins Zwielicht zu rücken, Misstrauen gegen die Polizei zu wecken  und über die große mediale „Anteilnahme“ eine allgemeine, polizeikritische bis polizeifeindliche Stimmung auch im konservativen Teil der Bevölkerung zu erzeugen, zersetzen letztlich die staatliche Einheit. Die Verwendung des längst für sein Gegenteil stehenden Begriffes „Einzelfall“ heizt die falsche Empörung in der Bevölkerung dabei nur noch weiter an.

Wer die Fähigkeiten der Polizei und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung erhalten und stärken wollte, der würde einen Einzelfall nicht zur Staatskrise aufblasen, sondern das Problem in aller Stille bereinigen. NSU-Akten für 120 Jahre unter Verschluss zu halten und keinem einzigen Journalisten auch nur einen Satz davon durchzustecken, das funktioniert in unserer ach so transparenten Demokratie ja auch.