Mit dem Kinderroller das Klima retten

Abgesehen davon, dass ich finde, es sieht ziemlich doof aus, als Erwachsener einen elektrifizierten Tretroller zu benutzen, und abgesehen davon, dass durchaus zusätzliche Unfallgefahren geschaffen werden, muss doch die einzig wichtige Frage erlaubt sein:

Was soll der Scheiß?

Der E-Roller soll, so heißt es, für die letzten 1.000 Meter von der Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs bis zum Ziel da sein – und, wenn ich das richtig verstanden habe, auch für den Rückweg zur nächsten Haltestelle.

Betrachtet man sich die Packungsdichte der Busse, Straßen-, U- und S-Bahnen in der Rush-Hour, dann wird eines sofort klar: Auch der an der Haltestelle stets in ausreichender Zahl bereitstehende Roller wird nicht dazu führen können, dass im öffentlichen Nahverkehr mehr Personen befördert werden. Die Kapazitäten sind einfach nicht da.

Ja, natürlich: Der öffentliche Nahverkehr muss ausgebaut werden, vor allem im ländlichen Raum.

Über das „Wie“ schweigt man sich aus. In den Städten müssten eben mehr Busse, mehr Straßenbahen, mehr U-Bahnen eingesetzt werden und zusätzliche Linien eingerichtet werden. Klar. Und wirtschaftlich werden diese zusätzlichen Kapazitäten dadurch, dass für jeden Passagier an jeder Haltestelle ein E-Roller bereitsteht. Sommers, wie winters, tags, wie nachts. Ist rechnerisch nicht nachvollziehbar aber voll logisch. Öko-logisch.

Selbstverständlich gilt das ebenso für den ländlichen Raum. Mensch ist Mensch, wo immer er wohnt oder arbeitet. Warum soll da nicht auch im ÖPNV das Gleiche möglich sein? Da einen Unterschied zu machen wäre doch Diskriminierung!

Dabei hat der „ländliche Raum“ verkehrstechnisch zwei sehr unterschiedliche Herausforderungen zu meistern. Einerseits muss der Pendlerverkehr – sternförmig, zumeist – in Richtung auf die nächsten größeren Städte hin organisiert werden, wo sich die Arbeitsplätze für viele  befinden, andererseits müssen die „innerländlichen“ Mobilitätsbedürfnisse befriedigt werden, die sich aber nicht in Form sternförmiger Netze abbilden lassen, sondern nur als ein mehr oder minder chaotisches Kreuz-und-Quer, mit durchaus wechselnden Lastschwerpunkten, die kaum vorausplanbar sind. Die erste Aufgabe konnte bereits halbwegs zufriedenstellend gelöst werden und sorgt dafür, dass am Zielort die Übergabe vom „ländlichen öffentlichen Fernverkehr“ an den „städtischen öffentlichen Nahverkehr“ so weit funktioniert, wie es die Kapazitäten hergeben. Die zweite Aufgabe ist ungelöst – und wird sich auch mit noch so vielen Experimenten mit Bedarfstaxis nicht lösen lassen; mit Elektro-Rollern schon gar nicht.

Die Bevölkerung des ländlichen Raumes wird also weitaus mehr Schwierigkeiten haben, auf das Auto zu verzichten als viele Bewohner der Großstadt, obwohl auch für den Großstädter der Verzicht auf ein Auto nur im Sonderfall keine schwer zu bewältigenden Probleme mit sich bringt. Auf dem Land sind viele Einkaufsmöglichkeiten, viele Dienstleister und auch die Gastronomie so verstreut anzutreffen, dass der Besuch beim Frisör und ein Einkauf beim Lebensmittelhandel und der Abstecher zum Baumarkt und der abendliche Restaurantbesuch jeweils mit 10 bis 30 + X km (hin und zurück) zu Buche schlagen. Für den Hausarzt gilt das ebenso, ein spezieller Facharzt macht leicht mehr als 50 km Fahrstrecke erforderlich. Viele Eisenbahnstrecken, die es einst einfach machten, diese Entfernungen zu überwinden, sind inzwischen stillgelegt, oft sogar die Gleise abgebaut. Wo der Bus zwischen 6.00 und 21.00 vielleicht alle drei Stunden verkehrt, mag es noch möglich sein, die Hinfahrt so zu organisieren, dass die Zeit im Wartehäuschen kurz gehalten werden kann. Für die Rückfahrt wird der ÖPNV jedoch zum Glücksspiel mit sehr vielen Nieten.

Hinzu kommt in vielen Fällen die Notwendigkeit, etwas mehr zu transportieren als ein Smartphone und einen Becher Coffee to go.
Hier treffen sich Stadt und Land wieder. Der Roller ist zur Gepäckbeförderung absolut ungeeignet. Mit beiden Händen am Lenker ist auch der womöglich obligatorische Rucksack nur bedingt als Kofferraum-Ersatz geeignet. Das Problem, das schon beim Verkehren mit Bussen und Bahnen auftritt, wird mit dem E-Roller bis an die Grenze des Unerträglichen verschärft.

Glücklicherweise kommt es in Zeiten der Klimakatastrophe kaum mehr zu Regenfällen, so dass sich die Frage, wie ein Rollerfahrer mit Schirm verkehrssicher vorankommen soll, gar nicht mehr stellt, doch dafür stellt sich eine andere Frage, die schwieriger zu lösen sein wird: Wer hängt die Roller wann und wo an die Steckdose?

Alle 10 Meter eine Ladestation wird sich nicht realisieren lassen. Alle 100 Meter würde für die Kommunen einen irren Kraftakt bedeuten. Alle 500 Meter?

Je weiter die Ladepunkte auseinanderliegen, desto sinnloser wird es, sich einen Roller zu nehmen, weil die letzten 1000 Meter, für die der Roller eingesetzt werden soll, dann unter Umständen zu 1.500 Metern werden, von denen wiederum 500 zu Fuß zurückgegangen werden müssen.

Die Frage der ausreichenden Verfügbarkeit ist auch ungeklärt. Wer pünktlich sein muss, muss die 15 Minuten, die er sich durch den Roller ersparen könnte, als Sicherheitspuffer einplanen, für den Fall, dass sich da, wo er aufsteigen will, gerade keines dieser Gefährt findet.

Es hat schon seinen Grund, warum „Roller“ als Spiel- und Sportgerät für Kinder erfunden wurden – und nicht als Massenbeförderungsmittel. Der Einbau eines Motors ändert daran grundsätzlich nichts.

So sehe ich Kinder und Jugendliche, die sonst zu Fuß oder mit dem Fahrrade unterwegs waren, als künftige Hauptnutzer der E-Roller.

Dass sich Habeck, Baerbock und Roth ggfs. für Wahlplakate auf dem E-Roller ablichten lassen, ändert an der Unvollkommenheit der Idee gar nichts. Es unterstreicht sie lediglich.