Macron: Bereit für den Bürgerkrieg?

Sonderbare Töne erreichen  uns aus  Paris. Präsident Macron warnt:

Die politischen Programme der Rechts- und Linkspopulisten im Lande könnten zu einem Bürgerkrieg führen.

Die einfachste und einzige Definition von Bürgerkrieg lautet:

Ein bewaffneter Konflikt auf dem Territorium eines Staates zwischen „Gruppen“, die um die Kontrolle der Gewalt innerhalb des Staates ringen.

Daraus ergibt sich zwingend, dass jene Gruppe, die bis zum Beginn dieses bewaffneten Konfliktes  die Staatsgewalt innehat, so sie sich nicht von sich aus zurückzieht, zum Beispiel durch Flucht ins befreundete Ausland, Konfliktpartei sein wird.

Wirkt Macron so, als würde er sich einem innerfranzösischen Konflikt  durch die Flucht nach Guinea entziehen? Sein bisheriges Verhalten, zum Beispiel an der Auseinandersetzung mit den Gelbwesten zu beobachten, legt das eher nicht nahe.

So ist die Botschaft Macrons in meinen Augen so zu lesen, dass er – so lange er die Macht noch innehat – die Staatsgewalt sowohl gegen die Vertreter von Links-  als auch von Rechtspopulisten zum Einsatz bringen wird, sollten diese, nach einem Wahlsieg in den von Macron festgesetzten, vorgezogenen Parlamentswahlen, versuchen, ihre Programmatik gegen den Willen des Präsidenten durchzusetzen.

Macron hat am 24. April 2022 die Stichwahl gewonnen. Bleibt also unter normalen Umständen bis zum Frühjahr 2027 – noch drei Jahre – Präsident.

So lange ist er noch

  • Oberbefehlshaber der Streitkräfte
  • Vorsitzender des Ministerrates
  • befugt, Verwaltungsvorschriften zu erlassen
  • befugt, die  Nationalversammlung (das Parlament) aufzulösen
  • befugt, Gesetze zur nochmaligen Beratung zurückzuweisen

Weitere Befugnisse finden sich in der diesbezüglichen Veröffentlichung des Élysée. Seine Machtfülle ist, das muss betont werden, nicht weit von der eines absolutistischen Monarchen entfernt und tatsächlich nur dadurch begrenzt, dass er nicht auf Lebenszeit gewählt ist, sondern sich alle fünf Jahre vom französischen Volk in Wahlen bestätigen lassen muss. Mehrheiten im Parlament zu haben, fühlt sich dabei zwar gut an, aber am Parlament  vorbei quasi gesetzesidentische Verwaltungsvorschriften erlassen zu können, führt auch zum Ziel – und wenn es gar nicht mehr anders geht, dann werden halt Neuwahlen angesetzt und das Parlament aufgelöst.

Wenn also Macron einen Bürgerkrieg an die Wand malt, dann ist es nicht verwunderlich, wenn sein rechtsrheinischer Bündnispartner, Olaf Scholz, sich ebenfalls „Sorgen wegen der Wahlen in Frankreich“ macht und nibelungentreu schon einmal versichert: „Wir werden, in den Gremien, wo ich sitze, weiter den französischen Präsidenten Macron sehen.“

Das sind klare Zeichen der Geschlossenheit. Man kann das durchaus auch als ein Signal an Macron interpretieren, er möge doch in Frankreich für Ordnung sorgen, das linksgrüne Deutschland, selbst im Kampf gegen rechts hochaktiv, werde ihm dabei keinesfalls in den Arm fallen.

Ich füge hier einige Sätze aus meinem Tageskommentar vom 5. März 2019 „Demokratie à la Macron und Konsorten“ ein:

„Wir dürfen nicht zulassen, dass die Nationalisten, die keine Lösungen anzubieten haben, die Wut der Völker ausnutzen.“

Das ist wohl die Kernbotschaft Emmanuel Macrons für die Wahlen zum EU-Parlament. Es ist ein Satz, bei dem man beim Lesen die Krätze bekommen könnte. Aber kein Qualitätsblatt in Europa hat seine Leser vor diesem Satz bewahrt.

Beginnen wir beim Offenkundigsten. Macron spricht  die „Wut der Völker“ an, verkneift sich aber jeden Versuch der Ursachenforschung. Die „Wut der Völker“, das scheint für ihn eine Eigenschaft oder eine wiederkehrende Erscheinung von Völkern zu sein, die man hinnimmt, wie einen Regenschauer. Entweder bleibt man da im trockenen Palast, oder man lässt sich von Lakaien  unter einem XXL-Regenschirm von der Haustür zur gepanzerten Limousine geleiten.

Er, die große Zielscheibe der Wut der Franzosen, die mit überwältigender Mehrheit den Aktionen und Forderungen der Gelbwesten applaudieren, er, der keine Lösung hat, die Wut jenes Volkes zu beruhigen, dem er als Präsident dienen sollte, er, dessen Volk ihn mehrheitlich nicht mehr seinen Präsidenten nennt, während er vermutlich, wenn er von den Franzosen, als seinem Volk spricht, eher in Kategorien des Eigentums als in denen von Gemeinschaft undVerbundenheit denkt, er zieht sich zurück auf ein gesichtsloses „Wir“.

Das ist die zweite übelkeitserregende Farce in diesem Satz. „Wir dürfen nicht zulassen …“

Wir. Wer vor einer Wahl die Trommel schlägt, um seine Anhänger hinter sich zu versammeln, meint mit „wir“ immer zuerst sich selbst, seine Partei und deren Ziele.

Wer vor einer Wahl erklärt, „wir dürfen etwas nicht zulassen“, will sich damit eine moralisch überlegene Position verschaffen, sich zum „Wächter“ erklären, und damit alle, die anderer Meinung sein sollten, von vornherein diskreditieren, ohne ihre Argumente überhaupt anzuhören, geschweige denn, darauf einzugehen.

Diese Art von Demokratie beruht nicht auf dem Prinzip des Austauschs von Meinungen, Absichten und Zielen,  wobei versucht wird, die Zustimmung einer Mehrheit zu erlangen, sondern auf dem Prinzip des Faustrechts, bei dem Recht hat und immer weitermachen darf, wer es schafft seine Gegner K.O. zu schlagen.

Damit sind wir bei der dritten Dreistigkeit  des Präsidenten Macron. Denn er (wir) will ja nicht nur nicht zulassen, dass sich jemand anderes als er (wir) um die Wut der Völker kümmert, nur weil er (wir) sich nicht darum kümmert, er will explizit verhindern, dass die Nationalisten die Wut der Völker ausnutzen – weil die Nationalisten keine Lösungen haben.

Das ist jetzt fünf Jahrer her, passt aber wunderbar zur neuen Situation, in der Macron die Schraube noch eine Umdrehung fester anzieht und offenbart, was er nach fünf Jahren des Erstarkens von Le Pen unter „nicht zulassen“ versteht, nämlich, es auf einen Bürgerkrieg ankommen zu lassen.

Ich habe ja lange gerätselt, was Macron veranlasst haben könnte, gleich nach den Wahlen zum EU-Parlament Neuwahlen für die Nationalversammlung anzusetzen.

Heute glaube ich, einen Schachzug zu erkennen, der nach den Regeln der Macht, die mit normalem Denken nicht nachzuvollziehen sind, wie folgt dazu führen soll, Le Pen mattzusetzen:

  • Mit dem Schwung aus den EU-Wahlen soll es dem Rassemblement National, also Le Pen, gelingen, eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu etablieren.
  • Der Präsident wird seine verbleibende Amtszeit von da an nutzen, um die Mehrheit der Nationalversammlung mit den Mitteln seiner Macht auszubremsen, ihre Vorhaben zu be- und zu verhindern, ihre Mitglieder und Anführer zu demütigen.
  • Auf diese Weise soll der Volkszorn in einem Maße aufgeheizt werden, der weit über den Erregungslevel bei den Demonstrationen der Gelbwesten hinausgeht.
  • Entweder es kommt dann von selbst zu Ausschreitungen oder sie werden von Provokateuren gezielt ausgelöst und weiter befeuert. Spätestens beim Sturm auf den Èlysée-Palast lässt der Präsident das Feuer eröffnen und die führenden Figuren des RN inhaftieren und wegen Putschversuchs zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilen.
  • Die politische Welt in Frankreich ist wieder in Ordnung und alle lupenreinen Europäer, wie z.B. Olaf Scholz, müssen sich keine Sorgen mehr machen.

Im größeren europäischen Rahmen betrachtet, erinnert das an die Beendigung des Versuchs der Katalanen, ihre Unabhängigkeit von Spanien zu erringen. Dieses Ansinnen ist von den Auswirkungen her den Bestrebungen der französischen Rechten, Frankreichs Politik neu auszurichten, durchaus gleichzusetzen.

Sieben Jahre hat es gedauert, bis ein Amnestiegesetz verabschiedet wurde, das rund 400 katalanischen Aktivisten zugutekommt, die nach ihrem gescheiterten Abspaltungsversuch im Jahr 2017 von der spanischen Justiz verfolgt wurden. Unter ihnen ist auch der frühere katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont, der nach dem Abspaltungsversuch nach Belgien geflohen war. Nun könnte er, Jahre später, nach Spanien zurückzukehren.

Ich bin jetzt versucht, noch sehr viel weiter auszuholen. Zum Beispiel mit der Fragestellung, wie weit man das gleiche Spiel in Deutschland treiben könnte, würde man ernsthaft – gleich nach den Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen – die AfD bundesweit verbieten, weil die Prozesse gegen Höcke wegen eines  konstruierten Gedankenverbrechens die Deutschen noch nicht einmal dazu bewegen konnten, die berühmt-berüchtigte Bahnsteigkarte zu lösen. Das wird ja öffentlich von vom Volk gewählten Politikern gefordert. Auch frage ich mich, ob es nach den drei Monsterprozessen gegen Prinz Reuss und seine Anhänger, nach sieben Jahren Haft für die Überlebenden eine Amnestie geben wird, weil das schaurige Schauspiel, das dem deutschen Volke dargeboten wird, einfach viel zu gut in die Zeit und zu den Interessen der Allianz gegen rechts passt, als dass man darauf verzichten könnte, Exempel gegen jene zu statuieren, die sich unter anderem darüber aufregen, dass man gegenüber Messerstechern und Gruppenvergewaltigern viel zu oft viel zu große Milde walten lässt.

Ebenso müsste die Frage, warum Julian Assange nun freigekommen ist, nachdem er  versprochen  hat, sich endlich schuldig zu bekennen, im gleichen Zusammenhang beleuchtet werden. Was hat  er denn verbrochen? Klingt sein Verbrechen nicht ebenfalls im dem Satz Macrons an: „Wir dürfen nicht zulassen, dass (beliebige missliebige Gruppierung) die Wut der Völker ausnutzen!“ Und warum kommt er jetzt frei, wenn nicht, um den Demokraten in den USA Wahlkampfhilfe zu leisten?

Ich würde auch gerne noch auf das Gewaltmonopol des Staates eingehen, und auf die Verantwortung, die damit für die Regierungen verbunden sein sollte, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen, sowie auf den Bruch dieser Vereinbarung gegenüber den sich freiwillig entwaffnet habenden Bürgern, wenn das Gewaltmonopol primär zum Eigenschutz der Regierenden (Machthaber?) genutzt wird, während die Sicherheit der Bevölkerung etwas ist, was ihnen irgendwo, ganz weit hinten, vorbeigeht.

Doch dies alles noch auszuführen würde viel zu weit führen und Ihre Zeit über Gebühr beanspruchen.

Lassen wir es für heute dabei. Es reicht sowieso.