Gewalt als Problemlösungs-Strategie

Gestern Abend in der Tagesschau um 20.00 Uhr. Nach einer Eloge auf Lindner und die FDP folgte bald  die Berichterstattung über Macrons Gelbwestenproblem, das sich am Sonntag in gewaltfreien Gelbwestenfrauen-Protesten gezeigt hatte, während am Tag zuvor die Proteste der Männer von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften „überschattet“ waren.

Madame Muriel Pénicaud, die französiche Hubertus Heil, also Arbeitsministerin, erschien auf dem Bildschirm, und der Übersetzer sagte, sie habe gesagt:

Gewalt hat noch nie ein Problem gelöst.
Gewalt ist niemals eine  Lösung.
Wer zu Gewalt aufruft und sie toleriert, stellt sich gegen die Demokratie.

Kaum waren die Gelbwesten abgehakt, Macron wurde noch zitiert: Er biete Gespräche an, werde aber seine Reformen durchziehen, erschien ein irgendwie defektes  US-Kriegsschiff auf dem Bildschirm. Die ARD informierte darüber, dass es sich um die USS Cole handle, die noch vor 9/11 und noch vor Beginn der Kanzlerschaft Angela Merkels, nämlich im Oktober des Jahres 2000 im Jemen durch einen terroristischen Anschlag, ausgeführt von zwei Selbstmordattentätern, dermaßen beschädigt worden sei, dass dabei auch 17 US-Soldaten den Heldentod starben.

„Heldentod“ steht zweifelsfrei fest, denn Trump twitterte gestern: „Our GREAT MILITARY has delivered justice for the heroes lost and wounded in the cowardly attack on the USS Cole.“

Was war der Anlass für diese Erinnerung über die Berge von Leichen hinweg, die von den USA in diesen langen achtzehn Jahren aufgetürmt worden sind?

Nun, noch eine Leiche.

Die Leiche eines Mannes, der von irgendwem in Washington für ein Problem gehalten wurde, den man nun vermeintlch aufgespürt hatte und mit der ganzen Gewalt eines Luftangriffes in eine vermutlich kaum mehr identifizierbare Leiche verwandelte. Ob es tatsächlich Jamal al-Badawi war, der physisch vernichtet wurde, ob Jamal al-Badawi tatsächlich der Organisator der  Attacke auf die USS Cole war, wer weiß das schon. Das US-Militär hat damit offenbar ein Problem gelöst, das darin bestand, dass die Opfer des Anschlags aus dem Jahre 2000 18 Jahre lang nicht gerächt wurden, dass ihnen also keine Gerächtigkeit (justice) widerfahren ist.

Was faselt Muriel Pénicaud da also von „Gewalt ist niemals eine Lösung“?

Ist ihr nicht aufgefallen, dass Gewalt auf dieser Erde schon immer als probates Mittel zur Problemlösung eingesetzt wurde? Hat nicht ihr verehrter Monsieur Le Président  in den letzten Wochen immer wieder zum Mittel der Gewalt gegriffen, um sich die Gelbwesten vom Halse zu halten? Gut, bei uns in den Zeitungen liest man nichts von „Gewalt“. Da heißt es in vornehmer Zurückhaltung: „Macron geht mit neuer Härte gegen die Gelbwesten vor“, wie es das Handelsblatt am 3. Januar formulierte.

Wenn man bedenkt, dass an einem einzigen Samstag 16.000 Tränengasgranaten verschossen wurden, dass Wasserwerfer und sogar Panzer gegen die Demonstranten in Stellung gebracht wurden und 90.000 hochgerüstete Polizisten wie ein schwarzes Ameisenheer in Paris und anderen französischen Städten aufmarschierten und die Demonstranten aufmischten, dann erklärt sich der  flotte Spruch der Arbeitsministerin so:

„Liebe gelbbejackte Vollpfosten! Seht ihr nicht, dass wir viel stärker sind als ihr?
Dass wir über alle Mittel verfügen, euch allesamt kurz und klein zu schlagen?
Also versucht es doch gar nicht erst mit Gewalt. Mit Gewalt könnt IHR EUER Problem nicht lösen.
Also zwingt uns doch nicht dazu, dies mit aller Härte und Konsequenz zu demonstrieren.“

Das ist die Arroganz der Macht. Das stammt aus jenen Tagen, in denen es hieß: „Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch Kuchen essen!“

Dass Gewalt noch nie ein Problem gelöst habe, ist eine der unverschämtesten Lügen, die je in die Welt gesetzt wurden. In der Menschheitsgeschichte steht das Verhältnis von gewalttätigen zu gewaltlosen Problemlösungen bei mindestens 1.000 : 1 und in den allermeisten Fällen war das auch noch von einem oder mehreren Göttern abgesegnet. Sicherlich, manchmal ist nach dem gelösten Problem ein neues Problem aufgetaucht, aber wenn die Gewalt nur gründlich genug ausgeübt wurde, dann stellt sich das Problem von ein paar übriggebliebenen Indianern in winzigen Reservaten doch als sehr viel überschaubarer dar, als es war, als die Indianer noch davon ausgingen, das weite Land sei ihr Eigentum. Wurde nicht das Problem „Deutsches Reich“ im letzten Jahrhundert zweimal mit Gewalt gelöst. Beim ersten Mal noch mit mäßigem Erfolg, das Problem war schnell in voller Größe wieder da, aber dann hat man es beim zweiten Mal richtig gemacht – und wo ist das Problem heute? In der NATO. Problem gelöst, oder?

Karl dem Großen waren die Sachsen im Weg. Weg damit. Der spanischen Krone fehlte es an Geld und Gold. Also hat man es sich mit Gewalt aus Südamerika zusammengestohlen. Als die Römer frech geworden, Simserim sim sim usw. Arminius hat dieses Problem auch nicht gerade gewaltlos in den Sümpfen des Teutoburger Waldes gelöst.

Wie viele Morde haben das Problem von nachrangigen Erben und Thronfolgern schon gelöst, auf dieser Erde?

Alle alten Westernfilme spielen das Gewaltthema durch. Immer ist es der Held, der zunächst Gnade walten, seinen Feind noch einmal davonkommen lässt, was ihn selbstverständlich noch einmal moralisch erhöht, bevor er dann bei der finalen Begegnung seine Überlegenheit ausspielt und den „feigen Attentäter“ dem Sargmacher zuführt.

Bräuchte Frankreich eine Armee, Atomwaffen, eine Fremdenlegion, wenn Gewalt nicht die Lösung wäre? Müssten die USA über 600 Milliarden Dollar jährlich für Rüstung ausgeben, wüssten sie nicht, dass es die Gewalt ist, die Probleme löst?

Und, bitteschön, Madame Pénicaud, haben sich Gewalt und Demokratie nicht ganz wunderbar zu einem unteilbaren Ganzen verbunden? Können Sie sich erinnern, aus welchem Anlass der 14. Juli zum französischen Nationalfeiertag gemacht wurde, und wissen Sie, was an diesem Tag gefeiert wird?

Der 14. Juli ist ein Tag, an dem an den Sieg der Gewalt erinnert wird. Beginnend mit seinem Ursprung, dem 14. Juli 1789, dem Tag, an dem französische Bürger die Bastille stürmten und die große Revolution auslösten, heute werden am 14. Juli in einem Aufwasch noch einmal alle französischen Siege der Vergangenheit gefeiert, alle gewalttätigen Problemlösungen glorifiziert, und da stellen Sie sich hin und erklären, schon wer Gewalt nur toleriert, sei ein Feind der Demokratie? Was ist es dann, wenn es allgemeiner Brauch ist, die Gewalt der Vergangenheit zu verherrlichen?

Das Faustrecht, das Recht des Stärkeren, regiert unter der dünnen Tünche von Menschenrechten und Völkerrecht seit Jahrtausenden ungebrochen und einzig und allein.

Sicherlich, kleine Probleme, unwesentliche Konflikte, wo der „Streitwert“ oder die „Beute“ gegenüber den Kriegskosten nicht ins Gewicht fallen, die werden schon auch einmal diplomatisch und auf dem Verhandlungswege gelöst. Deswegen heißt es seit Carl von Clausewitz auch so richtig: „Der Krieg ist die bloße Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln.“ Denn auch hinter jeder Verhandlung, hinter jedem Kompromiss, steht letztlich das drohende Gewaltpotential beider Seiten, das zum Einsatz kommt, wenn einer der Kontrahenten seinen Vorteil im Kompromiss nicht ausreichend gewahrt sieht.

Zur Auffrischung der Kenntnisse über den inneren Zustand Frankreichs empfehle ich zur erneuten Lektüre den Artikel vom 14. Dezember 2018 „Gilets jaunes – was wir Deutschen nicht wissen“ mit unverfälschten Informationen eines Zeitzeugen vor Ort. Hier zu finden.

Und vergessen Sie nicht: Macron hat Gespräche angeboten, aber keine Abweichung vom so genannten Reformkurs. Was soll also herauskommen?

Gut, dass wir mal darüber gesprochen haben?

Nicht wirklich.