Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreissen sie des Feindes Herz.
Nichts heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frey.
(aus „Schiller, Die Glocke“)
Es gibt so Träume, in denen unser Gehirn bei seinen internen Aufräumungs- und Konsolidierungsarbeiten wahrhaft perfekte Umwandlungswerke vollbringt. Da werden aus Mäusen Elefanten, die Autobahn verkrümmt und wölbt sich zur Achterbahn, der Silberstreif am Horizont öffnet sich zum Höllentor aus dem eine schier unendliche Wolke schwarzer Todesvögel hervorquillt, und manchmal führt die Tür zur Gästetoilette im Restaurant in ein Labyrinth aus dem es bei schmerzaft drückender Blase – bis zum Aufwachen – kein Entrinnen gibt.
Es ist eine Art Surrealismus, wie ihn die Bilder von René Magritte, Frida Kahlo und Salvadore Dali nur erahnen lassen. Ein Surrealismus, der sich inzwischen jedoch wie Salzsäure in die Realität hineinfrisst und mit erschreckenden Transformationen immer neue Bilder an die Höhlenwand zaubert, vor der wir wie gebannt sitzen und die wabernden Schatten für die wahren Zu- und Umstände unseres Lebens halten.
Drängten da nicht gestern noch Heerscharen gekrönter Viren bedrohlich auf uns zu, verwandelten sich unsere Zeitgenossen nicht in maskentragende, händedesinfizierende, nach Spritzen lechzende Wesen, denen die Panik in den noch erkennbaren Bereich des Gesichts geschrieben stand? Standen nicht an allen Ecken und Enden die Wächter und Kontrolleure, die Testzentren und die Impfzentren? Wurden nicht alle gehasst und geschasst, angepöpelt und verleumdet, ausgeschlossen und entlassen, eingekesselt und verprügelt, die versuchten, dem Strudel zu entkommen und das sichere Ufer zu erreichen?
Und jetzt?
Hat sich der Spuk nicht im Handumdrehen verwandelt?! Die Viren, gerade noch deutlich sichtbar, verwandelten sich in Windeseile in einen giftgrünen Pesthauch, der von Tür zu Tür schleicht und sucht, wen und was er verschlinge? Sehen wir nicht, wie die Wächter und Kontrolleure einem neuen Wahn verpflichtet wurden und wahllos alles, was russisch ist, oder auch nur russisch wirkt oder einen russischen Namen trägt austilgen wollen aus unserem Leben? Wodka, gebrannt irgendwo, nur nicht in Russland, wird aus den Regalen geräumt, Stardirigenten werden harsch vom Pult gestoßen, Sportveranstaltungen aller Arten finden ohne russische Teilnehmer und schon gar nicht mehr in Russland statt, Altkanzlers Mitarbeiter haben längst die Flucht ergriffen, um nicht der Kontaktschuld bezichtigt zu werden, bald werden sie in den Museen die Bilder von Boris Kustodijew und Wassilij Kandinskij von den Wänden reißen, in den Bibliotheken die Bücher von Fjodor Dostojewski, Alexander Puschkin, Leo Tolstoi und Michail Bulgakow in die Giftschränke verbannen, und wer noch eine Matrjoschka zuhause hat, wird bald aufgefordert werden, die zur Sammelstelle zu bringen und sie unter lauten Verfluchungen auf den brennenden Haufen zu werfen, um seine Haltung zu beweisen.
Sieht denn niemand, dass es Willy Brandts Tränenströme sind, die aus seiner Wolke quellen und inzwischen halb Australien überschwemmt haben?
Oh ja! Die besten westlichen Werte aller Zeiten finden ihre Vollendung in der höchsten Form einer außer Rand und Band geratenen Hysterie! Nur wer sich mitreißen lässt von diesem Mahlstrom hat eine Chance, wer noch versucht, inne zu halten, wird erbarmungslos niedergetrampelt, zermalmt, sein Name aus dem Buch der Guten getilgt, denn wo des Volkes Seele brodelt, angefacht vom feurigen Windhauch der Medien, da wird sie auch geläutert, innig eingeschmolzen, unverbrüchlich treu ihren Anführern. Da werden Pflugscharen zu Schwerten, Glocken zu Kanonen, Weiber zu Hyänen, Grün zu NATO-Oliv.
Wo ist das alte Bild aus diesem Traum geblieben? Hüpften da nicht eben noch in den guten alten Zeiten elfengleiche, unschuldige Geschöpfe an den Nachmittagen der Freitage für das Klima? Erklangen da nicht die glockenhellen Stimmen, denen nichts mehr am Herzen lag, als die ganze Welt in Panik zu versetzen? War es da der Auserwählten nicht sogar möglich, mit bloßem Auge die bösen Gasmoleküle zu sehen? Wurden da nicht wenigstens nur jene verdammt, die mit Dieselautomobilen das Höllenfeuer anheizten, und natürlich auch jene, die sich von tierischem Fett und Eiweiß ernährten, herrschte da nicht noch die Gnade, nur Kurzstreckenflüge zu verbieten, während liebevoll angemahnt wurde, bloß keine Kinder mehr in die Welt zu setzen, weil es nicht klimaschädlicheres gäbe, als Kinder, die dann sowieso keine Zukunft hätten?
Oh ja! Die Bilder verschwimmen, durchdringen sich. Was für ein wilder Traum! Greta transformiert ihre Gestalt und wird zum Lauterbach, Lauterbach nimmt die Konturen von Ursula von der Leyen an, die Krone des Virus legt sich dieser als gestählte Haarpracht aufs Haupt, der Hockeyschläger des Michael E. Mann transformiert zur steil ansteigenden Inzidenzkurve und diese wiederum schlängelt sich als 60 Kilometer langer Tatzelwurm aus Panzern und Transportfahrzeugen auf Kiew zu. In der Ferne tönt ein Ferntöner, man könne doch die Kriege der USA nicht mit dem Krieg Putins vergleichen, schließlich seien die USA von vor vier Jahren längst nicht mehr die USA von heute, und die bestgekleidete Außenministerin, die Deutschland je hatte, tönt im Duett mit einem Unbekannten, jedoch aus großer Nähe, dass Putins Russland ruiniert werden müsse.
Ein riesiger Elefant steht plötzlich im engen Laden, in dem Porzellanfigürchen mit den artigen Gesichtlein von Biden und Harris, Merkel und von der Leyen, Lambrecht und Scholz, Putin und Lukaschenko, Xi und Orban, Gates und Soros, Schwab und Erdogan in den gläsernen Vitrinen stehen, und fragt: Soll ich? Soll ich jetzt?
Keine Antwort, eisiges Schweigen, zersplitternde Stille – und hoch oben am Firmament das Heer der schwarzen Schwäne, schwer zu erkennen – oder doch? Nein, keine Schwäne, Kampfflugzeuge, bombenbehängt bis zur Lastgrenze, Marschflugkörper, autonom zum Ziel hin navigierend und dann der Aufschrei aus Millionen Kehlen: Das sind nicht unsere!
Auf der Wolke neben Willy Brandts Wolke schlägt Gotthold Ephraim Lessing die Leier und bekennt, zu den Klängen von Beethovens Ode an die Freude, ebenfalls tränenüberströmt, er habe sich geirrt, niemals würden alle Menschen Brüder, er habe – und da weint er noch bitterlicher – die Schwestern vergessen und die anderen Geschlechter, und dass es unmöglich sei, dass diese alle vom gleichen Vater stammen könnten, noch nicht einmal alle vom gleichen Elter zwei, und dann bricht er zusammen und stöhnt nur noch: „Ich verstehe die Welt nicht mehr …“
Albert Einstein streckt seine Zunge aus dem Raum-Zeit-Kontinuum und bemerkt: „Wie ich schon zu Lebzeiten erkannte. Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Schweißgebadet möchte ich jetzt sein, und aufwachen, wie aus einem Albtraum. Doch vermeine ich zu wissen, dass es kein Traum ist, schon weil da kein Schweiß ist, den es abzuwaschen gelte.
Gott entschuldigt sich: Was hätte ich denn machen sollen? Ich musste ihnen ihren freien Willen lassen. Sonst hätten sie mich als Diktator verachtet.
Mephisto ruft ihm zu: Wäre besser gewesen, für dich, Alter. Hab‘ ich schon immer gesagt. Aber du wolltest ja unbedingt dein eigenes Ding machen. Ist jedesmal schief gegangen, schon bei deinen Vorgängern. Am besten, du fängst noch einmal ganz von vorne an.
Gott, unschlüssig: Ich weiß nicht. Was ist, wenn’s wieder nichts wird?
Stand: 2. März 2022, fünf nach zehn.