Grundrecht auf „Haltung“?

Angela Merkel, November 2019:
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„Manche erwarten offensichtlich, dass ihnen immer zugestimmt wird. Aber zur Meinungsfreiheit gehört, dass sich Menschen mit einem Argument auseinandersetzen und vielleicht auch sagen, dass das Argument ganz falsch sei. In Zeiten der Digitalisierung hat man dazu noch schnell einen sogenannten Shitstorm am Hacken, den natürlich niemand will. Natürlich gibt es Meinungsfreiheit, aber es gibt kein Recht auf Zustimmung von allen Seiten. Diese Diskussion empfinde ich ansonsten als ziemlich gespenstisch“.

Diese Aussage war schon damals ein geschicktes Schleichen um den heißen Brei herum, denn es ging ja nie darum, keine Kritik hören zu wollen, sondern darum, dass „unerwünschte“ Meinungen mit unterschiedlichsten Methoden unterdrückt wurden.
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Wenige Wochen vor dieser Äußerung, am 16. und am 23. Oktober 2019, war zum Beispiel Prof. Dr. Bernd Lucke von Provokateuren  daran gehindert worden, seine geplanten Lehrveranstaltungen an der Universität Hamburg durchzuführen. Ebenfalls im Oktober war dem FDP Vorsitzenden Christian Lindner die Erlaubnis versagt worden, an der Uni Hamburg einen Vortrag zu halten.
Es ging also nicht nur um die allgemeine Meinungsfreiheit, sondern auch um die spezielle Freiheit von Forschung und Lehre, die ebenfalls von Grundgesetz garantiert wird. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, am 14. 11. 2019, also ein paar Tage nach Angela Merkels: „Diese Diskussion empfinde ich ansonsten als ziemlich gespenstisch„, in der ARD-Sendung „Kontraste“ erklärte, die Häufung solcher Vorkommnisse mache ihr große Sorgen.
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Nun hat sich die Problematik nicht mit dem Ende des Jahres 2019 in Wohlgefallen aufgelöst, sie ist nur von der medialen Bühne verschwunden.
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Bei den EU-freien Briten, die unter einer vergleichbaren Dominanz einer dezidiert linken „political correctness“ leiden, hat es jüngst eine Art Paukenschlag gegeben, als nämlich der Bildungsminister, Gavin Williamson, am 16. Februar 2021 strengere gesetzliche Maßnahmen zur Stärkung der freien Meinungsäußerung und der akademischen Freiheit an den Universitäten in England ankündigte.
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Das kürzlich auch auf deutsch erschienene Buch „Generation Beleidigt“ der französischen Autorin Caroline Fourest schreibt die Entwicklung fort und macht deutlich, welche Gefahren von den die „Political Correctness“ vor sich her tragenden sogenannten Linken ausgeht. Es handle sich inzwischen um eine Meute von Inquisitoren, die alle auf Dialog ausgerichteten demokratischen Strukturen bedrohen.
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Es ist erfreulich, dass die politische Debatte zu diesem gefährlichen Trend, den Caroline Fourest im Untertitel: „Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei“, sehr deutlich benennt, nun auch in Deutschland von der konservativen Opposition im Bundestag zur Sprache gebracht wird.
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Mit dem Antrag der AfD-Fraktion (Bundestagsdrucksache 19/28797 vom 21.04.2021), wird die Bundesregierung aufgefordert,
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  • umgehend einen Forschungsverbund einzuberufen, der bundesweit eine Studie zur Bedrohung der Meinungs-und Wissenschaftsfreiheit an deutschen Hochschulen erstellt,
  • die Ergebnisse der Studie in geeigneter Form publik zu machen und
  • im Falle einer Bedrohung der Meinungs-und Wissenschaftsfreiheit an deutschen Hochschulen zusammen mit der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) geeignete Maßnahmen zu beraten und zu ergreifen, um diese Bedrohung abzuwenden.

Frau Karliczek, der die Häufung solcher Vorfälle schon vor anderthalb Jahren große Sorge machte, sollte eigentlich nicht umhin können, sich diesem Antrag anzuschließen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sie damit „einen Shitstorm am Hacken hat“ (A. Merkel) und die „gespenstische Diskussion“(A. Merkel) zur „unverzeihlichen“ Diskussion wird, erachte ich jedoch für relativ groß.

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