Das Parlament als Korrektiv in der Krise?

Was  ist eine Krise?

Zu den gefährlichsten Krisen, die vorstellbar sind, gehört die Verwicklung in einen Krieg, insbesondere dann, wenn dieser auf dem eigenen Staatsgebiet ausgetragen wird. Für diesen Fall sollte das übergeordnete Interesse für den Fortbestand des Staates möglichst alle parteilichen Streitpunkte überdecken und ein einiges, kraftvolles, gemeinsames Handeln ermöglichen.

Krise heißt im Zweifelsfall sogar: Die Entscheidungsfreiheit und Machtausübung der „zufällig“ gerade amtierenden Regierung zu beschneiden und dem Parlament, als der Vertretung des ganzen Volkes, stattdessen erhebliche Mitsprache- und Einspruchsrechte zu gewähren. Dies wurde in einer in der Theorie vorbildlichen Weise bei der Wiederbewaffnung Deutschlands im Grundgesetz abgebildet.

Nach der Schaffung der Bundeswehr wurde 1956, elf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, versucht, das nationale Machtinstrument im Grundgesetz so zu verankern, dass  die Armee nicht alleine der Regierung in die Hand gegeben wurde, sondern dem Parlament maßgebliche Mitsprache über die Bundeswehr – als Parlamentsarmee – einzuräumen.

Man war sich klar und einig darüber, dass gerade in gefährlichen Situationen und bei der Vorbereitung auf gefährliche Situationen, das Recht einer „zufällig“ gerade amtierenden Regierung beschnitten, und den gewählten Vertretern des Volkes insgesamt wichtige Befugnisse vorbehalten bleiben sollen. Zur Kontrolle der Regierung, speziell des Verteidigungsministeriums wurde im Parlament der Verteidigungsausschuss implementiert, aus dessen Arbeit nicht nur wichtige Informationen für die Beschlussfassug über den Verteidigungshaushalt gewonnen werden, denn hier hat das Parlament die Budgethoheit, sondern auch die Beurteilung von geplanten Auslandseinsätzen erleichtert wird, die jeweils für die Dauer von maximal 12 Monaten vom Parlament zu genehmigen sind.

Vom kriegerischen Ernstfall, von auf deutschem Boden vorrückenden Panzern, von in deutschen Städten einschlagenden Bomben und Raketen, sind wir seither glücklicherweise nicht betroffen gewesen, so dass es weniger wichtig erscheint, dass das Parlament der ihm zugewiesenen Sonderrolle insofern nur wenig abgewinnen konnte, als es sich auch in Fragen des Verteidigungsbudgets und der Auslandeinsätze regelmäßig an den Wünschen der Regierung orientiert hat.

Nun stehen wir aber vor, beziehungsweise schon im Beginn einer Krise, deren Auswirkungen denen einer kriegerischen Auseinandersetzung mit anschließender Besatzung und Reparationspflichten, einschließlich der Demontage von Infrastruktureinrichtungen und industriellen Fertigungsanlagen kaum nachstehen. Eine Krise, die der Wirtschaftsminister selbt so beschreibt:

„Wir verlieren die Industrie und damit nicht nur Arbeitgeber und Branchen, sondern maßgeblichen Teil des Wohlstands, mit den entsprechenden politischen, gesellschaftlichen, demokratischen Konsequenzen.“

Hätte man damals also auch besondere Mitsprache- und Einspruchsreche des Parlaments für alle anderen Großkrisen ins Grundgesetz schreiben müssen, um Regierungshandeln, das Krisen verschärft, statt sie aufzulösen, abwenden zu können?

Nein. Natürlich nicht. Das Parlament, als die Versammlung der gewählten Vertreter des Volkes repräsentiert den Souverän und steht damit in der Rangordnung eindeutig über der Regierung. Es bedarf keiner besonderen Ermächtigung des Parlaments, es bedürfte nur der Erkenntnis des Parlaments, das es primär die Verantwortung für das Regierungshandeln trägt, und des Mutes, der Frauen und Männer im Deutschen Bundestag, diese Verantwortung auch wahrzunehmen.

Dazu gehört nicht mehr als eine Mehrheit. Doch diese Mehrheit der „Vernünftigen“ gegen die Regierung zu organisieren gelingt nur, wenn angesichts der heraufziehenden Stürme Parteigrenzen überwunden werden und selbst Abgeordnete der Regierungsparteien ihr Gewissen über den Fraktionszwang und parteipolitische Ziele stellen.

Wäre es nicht Zeit dafür?

Die Lage im Lande ist nicht die beste und die Stimmung in Volk und Bevölkerung geht bereits von Besorgnis in Empörung und Zorn über. Die Regierung weigert sich jedoch, die Argumente ihrer Kritiker anzunehmen. Die Reaktion besteht stattdessen in einer zunehmenden Einengung des Meinungskorridors und immer schärferen Sanktionen gegen Kritiker. Ob diese Sanktionen dabei – direkt aus dem staatlichen Gewaltmonopol abgeleitet – in Verhaftungen, Strafprozessen oder Hausdurchsuchungen münden, oder über das unübersichtliche Vorfeld so genannter zivilgesellschaftlicher Organisationen mit Ächtungen, Rufmord, Sperren in den Sozialen Netzwerken oder der Kündigung von Konten durch die Banken einhergehen, ist dabei nicht entscheidend.

Entscheidend ist, dass der „herrschender Geist“ dabei ist, schon die geringsten natürlichen Regungen von Kritik und offener Diskussion, wie sie ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen kennzeichnen sollten, zu delegitimieren.

Unglücklicherweise haben sich Mehrheiten gefunden, die sowohl im Parlament als auch im öffentlichem Auftreten mit dazu beigetragen haben, diese Delegitimation auch auf jene 78 Abgeordneten der AfD auszudehnen, die noch am ehesten bereit sind, Kritik und Lösungsvorschläge vorzutragen. Der Graben, der da ausgehoben wurde ist tief, und die aus dem Aushub errichtete Brandmauer ist hoch, doch: Solange nicht die Ausgrenzung der Abgeordneten dieser Partei, der inzwischen mehr als ein Fünftel der Bevölkerung ihre Stimme geben würden, beendet wird, kann es ein Parlament, das seine Aufgabe in der Vertretung des ganzen Volkes sieht, bereit, im Ernst- oder Zweifelsfall auch gegen die Regierung zu agieren, nicht geben. Ich wünsche mir daher von den Abgeordneten jener Parteien, die sich über lange Zeit die Verantwortung für die deutsche Politik teilten, nämlich Union, SPD und FDP, einmal über den eigenen Parteischatten zu springen und sich dafür einzusetzen, diese Abgeordneten, denen es nicht gelingen kann, sich selbst aus dieser Ausgrenzung zu befreien, endlich auch faktisch, und nicht nur pro forma, ins Parlament aufzunehmen und damit auch die Meinungsfreiheit aller kritischen Geister, Querdenker, Skeptiker, Experten und Warner wieder herzustellen.

Den Abgeordneten der Fraktion „Bündnis 90 – Die Grünen“, will ich diese Bitte nicht vortragen. Wie könnte ich jene, deren Überzeugungen und Absichten, umgesetzt in Regierungshandeln, einen wesentlichen Anteil zu der Verschlechterung der Situation beigetragen haben, auffordern, ihren Kritikern mehr Gehör zu verschaffen? Es wäre ein aussichtsloser Appell, und selbst wenn sie dem folgen sollten, liefe das auf den politischen Selbstmord hinaus, weil der unversöhnliche Parteienstreit im Lande das Eingestehen von Fehlern und alle Versuche, einmal ausgesprochene „Gewissheiten“ auf den Prüfstand zu stellen und ggfs. zu revidieren, mit Spott und Häme, mit dem Vorwurf der Wankelmütigkeit und des Umfallertums, härter bestraft, als das unerbittliche, destruktive Voranschreiten auf einem falschen Weg.

Ich weiß, dass die Abgeordneten von Union, SPD und FDP diesem politischen Ritual und den sich daraus ergebenden Zwängen ebenso unterworfen sind, und da muss noch nicht einmal das leidige Thema „Fraktionszwang“ bemüht werden, denn es genügt, dass die Medien die Rolle der Schäferhunde übernommen haben und schon dafür sorgen, dass die Herde zusammenbleibt.

Aber: Wer, außer diesen,
sollte denn dafür sorgen können,
dass den realen Veränderungen im Lande
endlich wieder Rechnung getragen
und der Kurs korrigiert wird?

Ihre Rolle als Vertreter des Souveräns, und damit als Mitglieder des ranghöchsten Staatsorgans, ist es doch nicht, zu allem, was ihnen auffällt, was sie innerlich vielleicht gar nicht mittragen wollen, einfach nur zu schweigen, weil es um „Werte“ wie den Koalitionsfrieden, die Stabilität der Regierung oder gar nur um einen sicheren Listenplatz bei der nächsten Bundestagswahl geht.

Ihre Rolle ist es, die drängenden Fragen zur Diskussion zu stellen, Argumente anzuhören, zu bewerten, Lösungen zu finden und sich dabei nicht zu scheuen, die Regierung, auch wenn ihre Mitglieder der gleichen Partei angehören,  da wo es erforderlich ist, zu kritisieren und zu Korrekturen aufzufordern, und dies gegegebenenfalls mit vom Parlament verfassten und verabschiedeten Gesetzen zu erzwingen. Denn es ist die Regierung, die an die Verfassung und die Gesetze gebunden ist, und es ist nicht das Parlament, das die Absichten und Maßnahmen der Regierung im Gesetzgebungsprozess bedingungslos zu unterstützen hat.

Meine Bitte, meine dringende Bitte an die Abgeordneten von Union, SPD und FDP lautet daher:

Erheben Sie sich!

Die Lage ist ernst.
Nehmen Sie die Rolle wahr, die auszufüllen Sie gewählt wurden.
Vertreten Sie das Volk!

Gehen Sie in freiem Geist voran, wenn es gilt, auszusprechen,
was endlich ausgesprochen werden muss,
und anzupacken, was endlich angepackt werden muss.

Nur wenn Sie den Mut zeigen,
sich öffentlich zu den Erfordernissen der Realität zu bekennen,
werden auch die Bürger, die diese Erfordernisse längst erkannt haben,
wieder angstfrei ihre Meinung sagen
und damit einen Beitrag zur Willensbildung leisten können.

Die Zeit, sich als Abgeordnete zu emanzipieren, ist in diesen Tagen günstig wie nie.

Das Volk wartet auf eine Veränderung. Werfen Sie einen Blick auf die Ergebnisse der Demoskopen, das sollte vollauf genügen, statt darauf zu hoffen, dass sich das Stimmungsbild bis zu den Wahlen schon wieder ändern wird.

Die Regierung ist zerstritten und der Auflösung nahe. SPD, Grüne und FDP versuchen nur noch, ihre eigenen Ziele durchzusetzen. Die Außenministerin korrigiert den Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister schießt auf den Finanzminister, der Finanzminister auf den Wirtschaftsminister, die Innenministerin verscherzt es sich mit den Grünen, der Minister für Digitales und Verkehr nicht minder, und so weiter, und so weiter. 

Parteipolitisches Taktieren ist aber das Letzte,
was Deutschland jetzt braucht.

Wir brauchen jetzt das Zusammenstehen der Demokraten über alle Parteigrenzen hinweg. Wir brauchen eine Koalition der Vernunft, hinter der alle Ideologien zurücktreten müssen. Die Lösungen liegen alle auf dem Tisch. Hören Sie auf, diese zu verweigern, nur weil sie von der vermeintlich falschen Seite vorgetragen werden.

Meine Bitte richtet sich nicht an das Kollektiv der Abgeordneten der angesprochenen Parteien, sondern an jede und jeden Einzelnen. Einer muss den Anfang machen. Ein Zweiter wird zögernd folgen, ein Dritter und Vierter werden sich anschließen. Danach wird es schneller gehen und sich eine parlamentarische Mehrheit bilden, die Deutschland wieder auf die Beine bringen und die Freiheiten der Bürger wieder herstellen kann.

Haben Sie den Mut?