Das langweiligste Weihnachtsgeschenk

Diese kleine Geschichte hatte ich im Dezember 2014 geschrieben und damals auch veröffentlicht, inzwischen aber total vergessen.
Nun hat mich ein Leser mit seinen Weihnachtsgrüßen daran erinnert. Das hat mich animiert, den kleinen Beitrag noch einmal in den Schluchten meiner Festplatten zu suchen und WordPress-tauglich neu online zu stellen.

Das langweiligste Weihnachtsgeschenk

 

Es war schon so komisch eingepackt.
Auch das Gewicht stimmte nicht.
Fühlte sich irgendwie zu schwer an.

Skeptisch zerfetzte ich das Geschenkpapier.
Ich hatte es gewusst.
Es konnte nichts anderes sein.
Da hielt ich es nun in der Hand.

Schön langweilig in Papier
eingewickeltes Papier.

Kein Display, kein Sensor, nicht ein einziges blinkendes LED-Lämpchen, kein Lautsprecher, kein USB-Anschluss – nichts.

Vollkommen unbrauchbares Papier,
beidseitig bedruckt.

 

Dennoch ließ ich ein kurzes Aufleuchten von Freude über mein Gesicht huschen als ich mich bei Oma bedankte. Schließlich wusste ich, dass sie gleich sagen würde:

 

„Schau mal rein!“.
 

„Danke. liebe Oma!“, sagte ich und drückte sie dabei ein bisschen.
 

„Schau mal rein!“, sagte sie, wie erwartet.
 

Das Buch schlug sich ganz von selbst da auf, wo Oma den 50-Euro-Schein zwischen die Seiten gesteckt hatte.

„Danke, Oma! Danke“, sagte ich, und, „das wäre doch nicht nötig gewesen“.

Damit meinte ich nicht den Schein.
Oma schon.

 

Die Feiertage vergingen.

Das neue Smartphone konfigurieren und mit allen wichtigen Apps versorgen.

Geschenke fotografieren, Fotos bei Facebook einstellen und checken, was 482 Freunde und deren Freunde und deren Freundesfreunde von ihren Geschenken geshared haben.

Dazwischen essen, trinken, chatten, twittern und dringend empfohlene Youtube-Videos ansehen …

Silvester, Neujahr, Dreikönig …

Am dritten Dienstag im Januar sollte die Papiertonne geleert werden. Ich kam zu spät. Die Tonne quoll längst über. Der Restmüll auch.

 

Es ist mir fast peinlich, das zuzugeben,
aber ich hab das Ding dann tatsächlich gelesen.


An einem Abend von der ersten
bis zur letzten Seite.
 

Es hat mir gefallen. Hat mich gefesselt. Ein bisschen komisch schon, so ganz ohne Werbepausen, aber es geht zur Not auch ohne.

Oma hat wirklich gut gewählt.

Das Problem ist, dass man ein paar Stunden Zeit braucht, für so ein Buch. Das schreckt schon ab.

Außerdem braucht man nicht nur Zeit, sondern in der Zeit auch noch Ruhe, vielleicht sogar Muße, um ein Buch genießen zu können.

Die Geschichte im Buch ist ja nicht schon fertig, wie bei einem Film. Du musst sie beim Lesen mit der eigenen Fantasie aus den Buchstaben herauswachsen lassen.

Da stört der
Klingelton.

 

Ich kenne ein paar liebe Menschen, die vergessen haben, dass man ein Smartphone auch ausschalten kann.

Die bekommen zu Weihnachten ein Buch von mir.

Weil Lesen wirkt.