300 Millionen Arbeitsplätze, so die Propheten, werden durch den Einsatz der Künstlichen Intelligenz wegfallen. In Hollywood streiken die Drehbuchautoren und die Schauspieler, weil sie fürchten, es könnten künftig Spielfilme nach Drehbüchern gedreht werden, die sich die KI ausgedacht hat, ohne Schauspieler, weil deren Aussehen, Stimme, Gestik und Mimik von der KI aus früheren Filmen adaptiert wurde, um sie fortan als künstlich erzeugte 3-D-Figuren agieren zu lassen.
Die Tatsache, dass dies für möglich gehalten wird, dass in so genannten Deep-fake-Videos tatsächlich ansatzweise diese Möglichkeiten erkennbar werden, hat aber bei genauerem Hinsehen mit Intelligenz immer noch nicht mehr zu tun, als die korrekte Wiedergabe auswendig gelernter Fragenkataloge in der theoretischen Führerscheinprüfung mit dem tatsächlichen Führen eines Kraftfahrzeuges im realen Straßenverkehr.
Natürlich weiß ich, dass die Arbeit an der Herstellung von Fahrzeugen, die tatsächlich das autonome Fahren beherrschen, weit fortgeschritten ist. Dass Kampfroboter bereits über das Prototypen-Stadium hinausgewachsen und in der Lage sind, Freund und Feind zu unterscheiden und Feinde mit den mitgeführten Waffen effektiv zu bekämpfen, ist mir ebenfalls nicht unbekannt.
Nun kann man sich staunend hinstellen und die Intelligenz bewundern, die dies alles möglich macht, man kann sich aber auch die Frage stellen: Welchen Ausschnitt an Fähigkeiten nutzen diese Maschinen, um als autonome Fahrzeuge an der roten Ampel zu halten und bei grün wieder mit dem Tempo loszufahren, das die Verkehrszeichen vorgeben, oder um als Kampfpanzer ein gegnerisches MG-Nest zu identifizieren und mit dem Granatwerfer zu eliminieren?
Würde ein autonom fahrender Pkw bemerken, dass ein Mitfahrender auf dem Rücksitz einen Herzinfarkt erlitten hat und dann unter Missachtung der meisten Verkehrsregeln das nächste Krankenhaus von alleine ansteuern, oder würde er Versuche des Fahrers, Verkehrsregeln zu missachten, um den Patienten so schnell wie möglich ärztlicher Behandlung zuzuführen, durch Eingriffe in Motorsteuerung und Bremssystem zu korrigieren versuchen? Ersteres wohl eher nicht, Letzteres wahrscheinlich schon.
Ist das intelligent?
Wenn man Intelligenz so definiert, dass nicht nur erlernte Regeln beherrscht und konsequent korrekt angewendet werden, sondern dass außerhalb dieser Regeln nach Möglichkeiten gesucht werden kann, ein Ziel auch gegen die Regeln zu erreichen, dann hat das Verhalten des Autos, das weder von selbst versucht, schnellstmöglich ein Krankenhaus zu erreichen, noch zulässt, dass der das Steuer übernehmende Fahrer die von außen (Gesetzgeber, Straßenverkehrsordnung) gesetzten Regeln in erheblichem Umfang übertritt, mit Intelligenz eher wenig zu tun. Übrig bleibt nur die Fähigkeit, sich im Straßenverkehr regelkonform fortzubewegen. Nun könnte man sich bei den Automobilherstellern durchaus darauf einigen, einen Not- und Krisenfahrmodus zu erfinden, der vom Fahrer – nach nochmaliger Identifizierung und Eingabe eines Sicherheitscodes – eingestellt werden kann, mit dem Teile der Assisstenzsysteme deaktiviert und spezielle andere aktiviert werden, was zwar die Nutzungsmöglichkeiten, nicht aber die Intelligenz des Fahrzeuges erweitern würde.
Es ist ziemlich unbefriedigend, die jeweils neuesten Errungenschaften der KI unter die Lupe zu nehmen, ihre neuen Fähigkeiten zu würdigen, dabei aber immer wieder erkennen zu müssen, dass es sich dabei um alles Mögliche handelt, nur nicht um Intelligenz.
Warum also nicht ein neues Szenario als Bewährungsprobe für „Intelligenz“ aufstellen, in dem von der KI gefordert wird, sich insgesamt menschenähnlich intelligent zu verhalten?
Ein gut geeignetes Vorbild sehe ich in der Rolle eines Unternehmers, der noch die Gesamtverantwortung für sein Unternehmen trägt, die operationale Arbeit aber schon weitgehend an Fachkräfte delegiert hat. In Frage käme zum Beispiel die Rolle eines Mechatroniker-Meisters, der seine eigene Autoreparaturwerkstatt mit zehn (menschlichen) Mitarbeitern führt, darunter eine Bürokraft und zwei Auszubildende.
Wenn es einem autonomen System aus Software und Hardware gelingen sollte, einen solchen Betrieb mit einem Eigenkapital von 500.000 Euro neu zu gründen, zu errichten und auszustatten, und gegen die am Standort existierende Konkurrenz ein Jahr lang erfolgreich zu führen – und erfolgreich soll hier bedeuten, dass der Betrieb einen angemessenen Gewinn erzielt – dann wäre ich bereit, der KI eine normale menschliche Intelligenz mit einem IQ von etwa 110 zuzubilligen.
Weitere Vorgaben würde ich nicht machen. Der Kreativität bei der Umsetzung dieser Aufgabenstellung sollen keine Grenzen gesetzt sein, außer der einen, dass es sich tatsächlich um ein vollständig autonomes System handeln muss, dem selbstverständlich die Nutzung des Internets offen steht, schon alleine um die Steuererklärungen online einreichen zu können, das aber von den Entwicklern, vom Startschuss an, in keiner Weise mehr gewartet oder mit Updates versehen werden darf.
Nun die Frage an meine Leser:
Halten Sie es für möglich, dass ein solches System innerhalb der nächsten zehn Jahre erschaffen werden könnte, und worauf stützt sich Ihre Annahme?
Falls Sie das nicht für möglich halten, was meinen Sie, woran und aus welchen Gründen wird es scheitern?
Antworten bitte an ewk@egon-w-kreutzer.de