Wahlbeobachter

Entgegen meiner Gewohnheit bin ich gegen 03.30 ohne Wecker aufgewacht und habe, wie schon vor vier Jahren, Stellung vor dem Fernseher bezogen.

Am 9. November 2016, gegen 9.00 Uhr hatte ich diesen Tageskommentar online gestellt:

9. November 2016

09.00 Uhr Eleven Nine – Nine Eleven

 

Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn sich etwas ändert,
aber dass sich etwas ändern muss, wenn es besser werden soll, das ist sicher.
 

Vermutlich war es dieser Gedanke, oder auch nur dieses Gefühl, das die Mehrheit der US-Amerikaner bewogen hat, ihre Stimme Donald Trump zu geben.

Heute Nacht bin ich um halb vier wach geworden – ohne Absicht – habe mit die Kopfhörer aufgesetzt und den Fernseher eingeschaltet. Die „Lange Wahlnacht der ARD“. Zunächst war die Stimmung noch verwundert, überrascht und in Maßen zuversichtlich, bis dann eine Art Schockstarre einsetzte. Es war überdeutlich – darauf war man nicht eingerichtet.

Gegen halb sechs brach dann die blanke Panik aus. Es gab – ich weiß nicht mehr genau wann – einen Einspieler mit Czem Özdemir, der trotz äußerlicher Ruhe offenbar fix und fertig war. Man merkte an ihm besonders deutlich, wie sehr die transatlantischen Seilschaften um ihr Überleben bangen. Ursula von der Leyen, etwas später interviewt, kam schnell auf den Gedanken, nun die europäische Armee voranzubringen und den Verteidigungsetat zu erhöhen, Martin Schulz, noch später, war schon etwas gefasster und obervorsichtig, doch gelang es ihm, ihm, dem Vorsitzenden der Volkskammer der EU, die USA mit Donald Trump auf der Stufenleiter der demokratischen Werteskala unterhalb der EU zu positionieren.

Um halb neun, als klar war, dass Trump die Mehrheit von 270 Wahlmännern glatt übersprungen hatte, habe ich den Fernseher ausgeschaltet.

Meinen Einschätzungen vom 16. März, die ich gestern auch hier auf meinem Blog veröffentlicht habe, habe ich nichts mehr hinzuzufügen.

Abonnenten von EWK-Zur Lage hatten acht Monate Zeit, sich vorzubereiten. Ich hoffe, sie haben diese Zeit genutzt.

Heute ist auch um 10.00 Uhr noch nichts entschieden.

Die Anti-Trump-Stimmung im Öffentlich Rechtlichen Fernsehen unterschied sich kaum von der Stimmung von vier Jahren, aber die Überraschung darüber, dass sich Trump besser gehalten hat als erhofft, war viel geringer, was den Unterhaltungswert der Wahlberichterstattung stark vermindert hat.

Mein Problem besteht jetzt darin, mich dazu zu äußern, dass Trump sich vor dem Ende der Auszählung, das ja erst frühestens morgen erwartet wird, schon zum Sieger erklärte, den Stopp der Auszählung forderte und ankündigte, mit diesem Ansinnen vor das Oberste Gericht zu ziehen.

Einerseits halte ich Trump nach wie vor im Vergleich zu Biden für die bessere Wahl, wie schon vor vier Jahren, als er gegen Hillary Clinton angetreten ist, andererseits verstehe ich diesen Versuch, die Wahl per „Behauptung“ für sich als gewonnen zu erklären, absolut nicht.

Seine Begründung, es müsse verhindert werden, dass da noch Stimmen „gefunden“ werden, schließt zwar an seine schon seit Wochen geäußerten Befürchtungen über Manipulationen bei der Briefwahl an, doch fehlen dazu heute die belastbaren Beweise, die sich allenfalls aus einer Nachprüfung der Wahl, nach vollständiger Auszählung der Stimmen in den entscheidenden Staaten, herleiten ließen.

Noch in der Wahlnacht zu fordern, die Auszählung zu stoppen, beschädigt ihn und die Republikaner mehr als ihnen dies jemals nützen könnte.

Ich hoffe und wünsche mir, dass er davon möglichst bald wieder abrückt, die Auszählung ungestört laufen lässt, und am Ende, wenn das Ergebnis feststeht,  eine Entscheidung trifft, ob er die Wahl anfechten und überprüfen lassen will.